Bewegung tut not

Der Frieden erscheint so bedroht wie lange nicht mehr, aber der Protest gegen Krieg und Gewalt ist eher schwach. Sind Demos wie die Ostermärsche überflüssig geworden? Der Leitartikel.
Das war’s schon wieder mit dem Tauwetter. Unter den wenigen Gründen zur Hoffnung, die mancher nach dem Amtsantritt von Donald Trump suchte, war die Ankündigung des neuen US-Präsidenten gewesen, das Verhältnis zu Moskau zu verbessern. Wegen der Kriege in der Ukraine und in Syrien war da gerade wieder von einem kalten Krieg die Rede – Trump aber lobte Putin und machte Rex Tillerson, einen Ölmanager mit besten Russland-Connections, zum Außenminister. Wer zur Hoffnung wild entschlossen war, sah darin immerhin eine kleine Chance für mehr Frieden in der Welt.
Diese Hoffnung ist vorerst dahin: Schon vor Tillersons Besuch bei seinem Amtskollegen Sergej Lawrow sagte Kremlchef Wladimir Putin, die Beziehungen zu den USA hätten sich unter Trump sogar verschlechtert. Kein Wunder nach den US-Luftangriffen auf Russlands Verbündeten, Syriens Präsidenten Assad, und nach Trumps Ankündigung, nuklear aufzurüsten. Beide Außenminister nutzten das Treffen folgerichtig für gegenseitige Vorwürfe, Tillerson sprach von „scharfen Meinungsverschiedenheiten“.
Das fügt sich in ein desolates Bild, das die Welt zu Ostern 2017 abgibt: Europa wird von Terroranschlägen aufgeschreckt, in Afrika herrschen Hungersnöte, Asien fürchtet ein nuklear bewaffnetes Nordkorea, der kalte Krieg droht zurückzukehren – einige Politiker und Experten warnen gar vor der Gefahr eines neuen Weltkrieges. Und in dunklen Momenten ist man sogar geneigt, diese Furcht zu teilen.
Kurz: Lange gab es keinen besseren Zeitpunkt, für den Frieden auf die Straße zu gehen, als jetzt.
Doch wenn die Veranstalter der Ostermärsche für das anstehende Wochenende zu bundesweit 60 Friedensdemonstrationen aufrufen, rechnen sie selbst nicht mit einem Zulauf wie in den 80er und 90er Jahren, als teilweise Hunderttausende durch die deutschen Städte zogen. Sicher, es gibt naheliegende Ursachen: Die Bewegung schwächelt, der ritualisierten Latschdemo wird kaum noch Wirkmacht zugetraut, charismatische Vordenker fehlen. Junge Leute verabreden sich eher per Facebook-Gruppe zum Freiwilligeneinsatz im Flüchtlingsheim. Mancher Friedensbewegte wollte zudem neue Anhänger durch neue Bündnisse bis in rechte Kreise hinein rekrutieren. Das schreckte ab.
Ohnmacht und Resignation: ein Denkfehler
Viele Engagierte sind es auch nicht mehr gewohnt, größtmögliche Toleranz walten zu lassen: Liefen einst Christen, Gewerkschafter, K-Gruppen, Ökos und Familienausflügler einträchtig gegen Wiederbewaffnung und Aufrüstung auf, griff zuletzt eine Sinnkrise um sich: Gegen wen richtet sich so ein Aufmarsch? Warum zieht er vor das Kanzleramt, aber nicht vor die russische Botschaft? Selbst simple Slogans wie „Die Waffen nieder“ mochte sich nicht jeder Friedensfreund zu eigen machen: Wie kann man den Schlächtern dieser Welt Einhalt gebieten, wenn man völlig auf Interventionen verzichtet? Schließlich ist da noch der Terrorismus, vor dem viele Deutsche mehr Angst hatten als vor dem Atomtod. Müsste man nicht eher gegen den „Islamischen Staat“ demonstrieren?
So waren es auch Ohnmacht und Resignation, die so viele Normalbürger vom Ostermarsch fernhielten. Doch dahinter steckt ein Denkfehler. Die Lage der Welt mag zu schwierig sein für einfache Antworten, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerade sagte. Doch in der Friedensfrage hilft es, Komplexität zu reduzieren: Viele Ostermärsche laufen 2017 unter dem Slogan „Nein zu Krieg und Terror“. Dort hat man verstanden, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt: Letztlich wird auch der Terrorismus in den Krisenregionen dieser Welt geboren.
Ist wirklich naiv, wer gegen Rüstungsexporte, Aufrüstung und für die rechtzeitige Vorbeugung gegen Konflikte und Kriege demonstriert, wie es die Friedensbewegung tut? Oder sind es nicht vielmehr diejenigen, die an der untauglichen Strategie festhalten, den Frieden herbeizubomben?
In vielen Städten gehen seit Wochen Tausende als „Pulse of Europe“ auf die Straße, weil sie die Europäische Union bedroht sehen und die Vorteile, die sie daraus ziehen. Es ist nicht ganz klar, gegen wen sie sich richten. Aber das öffentliche Signal ist nicht zu übersehen.
Vieles spricht dafür, dass im anstehenden Wahlkampf auch die Frage eine Rolle spielen wird, ob Deutschland tatsächlich Jahr für Jahr weitere zusätzliche Milliarden in seinen Wehretat buttern soll – nur weil Donald Trump es so will. Deutschland hat gerade die UN-Verhandlungen zur Ächtung der Atombomben boykottiert. Und noch immer befinden sich Nuklearwaffen auf deutschem Boden.
Damit Hunderttausende gegen den Krieg auf die Straße gehen, braucht es wohl einen akuten Anlass und ein klares Feindbild – wie bei George W. Bushs Irakkrieg im Jahr 2003. Dass Donald Trump als Feindbild taugt, ist unbestritten. Man wünscht sich eine Friedensbewegung, die genug öffentlichen Druck aufbaut, um neue Anlässe für Massendemos vorab zu verhindern.