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Die Lehren aus dem Lkw-Streik: Ausbeutung stoppen

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Von: Pitt von Bebenburg

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Die Lkw-Fahrer haben es geschafft, ein Schlaglicht auf eine Branche zu richten, in der Ausbeutung an der Tagesordnung ist.
Die Lkw-Fahrer haben es geschafft, ein Schlaglicht auf eine Branche zu richten, in der Ausbeutung an der Tagesordnung ist. © Michael Schick

Der erfolgreiche Streik der Lkw-Fahrer sollte ein Lehrbeispiel sein. Auch für andere Branchen. Der Leitartikel.

Frankfurt – Der Slogan klingt wie aus einer anderen Zeit. Dabei ist er so aktuell wie nie: Hoch die internationale Solidarität!

Die georgischen und usbekischen Lkw-Fahrer eines polnischen Speditionsunternehmens haben mit ihrem wochenlangen Streik an der hessischen Autobahn-Raststätte Gräfenhausen gezeigt, wie sie ist – und wie erfolgreich sie sein kann. Jetzt endlich kommt ihr Chef zur Vernunft und zahlt ausstehende Löhne. Der Fall hat auch deshalb Schlagzeilen gemacht, weil das so selten vorkommt. Denn der solidarische Zusammenhalt ist schwierig auf einem zersplitterten europäischen Arbeitsmarkt.

Meistens stehen die Beschäftigten für sich allein. Wo individuelle Verträge mit angeblich Selbstständigen geschlossen werden, fehlt die Solidarität in der Gruppe. Ganz zu schweigen von internationaler Solidarität, die auch über Sprachbarrieren und verschiedene Rechtssysteme hinweg funktioniert. Lernen können daraus nicht nur Beschäftigte in grenzüberschreitenden Tätigkeiten. Auch Gewerkschaften, deutsche und europäische Institutionen sollten ihre Lehren ziehen.

Erfolg für die Lkw-Fahrer: Ausbeutung darf nicht auf der Tagesordnung stehen

Die Lkw-Fahrer haben es geschafft, ein Schlaglicht auf eine Branche zu richten, in der Ausbeutung an der Tagesordnung ist. Aber die Logistikbranche ist keineswegs die einzige. Das Lohngefälle in Europa und darüber hinaus führt dazu, dass Menschen sich auf Jobs im Ausland einlassen, obwohl sie nach unseren Vorstellungen miserabel bezahlt werden. Im Führerhaus der Lkw auf deutschen Straßen sitzen oft Fahrer aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion oder Menschen aus Nepal oder den Philippinen.

Ähnlich prekäre Arbeitsverhältnisse sind bei der Paketzustellung zu beklagen. Bei Fahrradboten, die unter schwierigsten Bedingungen Waren ausfahren. Auf dem Bau, wo immer wieder Fälle bekannt werden, in denen Löhne vorenthalten werden. In der Saisonarbeit, wo es üblich ist, den Beschäftigten Geld – oft viel zu viel – für ihre Unterbringung vom Lohn abzuziehen. Ähnlich in der Fleischindustrie, wie der Fall Tönnies während der Corona-Pandemie gezeigt hat. Oder in der Pflege in privaten Haushalten. In all diesen Bereichen sind auch Unternehmen unterwegs, die gute Arbeit fair entlohnen und vernünftige Arbeitsbedingungen bieten. Doch sie müssen sich der unfairen Konkurrenz erwehren.

Deutschland macht sich mitschuldig: „Agenda 2010“ war ein Anfang

Zwei politische Entwicklungen haben dazu beigetragen: die Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland seit der „Agenda 2010“ und die europäische Freizügigkeit. Dabei ist die Möglichkeit, in ganz Europa leben und arbeiten zu dürfen, eine großartige Errungenschaft. Die politisch Verantwortlichen haben es aber versäumt, negative Begleiterscheinungen zu stoppen.

Firmen stehlen sich aus ihrer Verantwortung, indem sie Arbeiten an Sub-Sub-Sub-Unternehmen auslagern oder gleich an Scheinselbstständige. Unternehmen werden gegründet und verschwinden wieder, bevor sie die Löhne ausgezahlt haben. Die Beschäftigten stehen in der Regel alleine da, kennen ihre Rechte nicht und haben ohnehin kein Geld, um sie durchzusetzen. Es ist eine riesige Herausforderung, diese Missstände konsequent anzugehen. Notwendig sind deutlich mehr Kontrollen.

Immerhin hat sich die Politik hier bewegt: 2019 wurde das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch verabschiedet, das neue Befugnisse und mehr Personal für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls vorsieht. Es fehlt jedoch eine wirksame Begrenzung von Werkverträgen und Nachunternehmerketten, etwa im Bereich der Paketauslieferung.

Ins Zentrum sollte die Rechtsberatung für Lkw-Fahrer und andere grenzüberschreitend Beschäftigte rücken. Sie müssen möglichst in ihren Muttersprachen erfahren, welche Löhne ihnen zustehen, welche Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen gelten. Sie brauchen Unterstützung, um gegen Verstöße vorzugehen und ihre Rechte durchzusetzen.

Es braucht weiterhin Solidarität und internationale Gewerkschaften

Die Gründung der Europäischen Arbeitsagentur (ELA) vor vier Jahren war ein erster Schritt, dies institutionell abzusichern. Doch die Agentur ist nur schlagkräftig genug, wenn die nationalen Behörden mitziehen.

Das DGB-Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ hat in Gräfenhausen gezeigt, wie kompetent es die Fahrer unterstützen kann. Das ist keine Selbstverständlichkeit. An der Basis der Gewerkschaften macht sich nicht immer beliebt, wer mit den Mitgliedsbeiträgen auch diejenigen unterstützen will, die keine Beiträge zahlen. Insofern ist es folgerichtig, dass das Netzwerk mittlerweile nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch aus dem Bundeshaushalt finanziert wird. Fairness auf dem Arbeitsmarkt ist von öffentlichem Interesse.

Wer weiß, ob die Georgier und Usbeken ihren Streik so lange hätten aufrechterhalten können ohne die Unterstützung der internationalen Gewerkschaften und ohne die Solidarität aus der Bevölkerung. Diese Solidarität sollte Unternehmen ermutigen, einen klaren Schnitt zu machen und nur noch Transportfirmen zu beauftragen, die Menschen zu ordentlichen Bedingungen beschäftigen. Egal, aus welchem Land sie stammen. (Pitt von Bebenburg)

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