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Ampel-Koalition einigt sich auf Kompromiss: Placebo-Politik vom selbsternannten „Klimakanzler“

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Von: Joachim Wille

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Es steht schon jetzt fest: Die Ampel will keine wirkliche Verkehrswende, sondern asphaltiert voran für noch mehr Pkw- und Lkw-Kilometer.
Es steht schon jetzt fest: Die Ampel will keine wirkliche Verkehrswende, sondern asphaltiert voran für noch mehr Pkw- und Lkw-Kilometer. © Kay Nietfeld/dpa

Ein abgewracktes Klimagesetz kommt heraus, wenn zwei Parteien regieren, die nichts gemein haben, mit einem Kanzler, der seinen Job nicht macht. Der Leitartikel.

Frankfurt – Ist das die „Fortschrittskoalition“ für den Klimaschutz, Energie- und Verkehrswende, die Deutschland braucht? Nach den Marathon-Beratungen der Ampel-Koalitionsspitzen steht fest: Die Bundesregierung baut weiter kräftig Autobahnen, und zwar beschleunigt. Sie werden aber mit Solaranlagen an den Lärmschutzwänden ausgestattet. Asphalt mit grüner Einrahmung. So was ist: Placebo-Politik.

Es ist das, was herauskommt, wenn FDP und Grüne, die beim Mega-Zukunftsthema Klima zu wenig gemeinsame Schnittmengen haben, zusammen eine Regierung bilden und von einem selbsternannten „Klimakanzler“ von der SPD angeführt werden, der seinen Job nicht macht.

Ampel-Kompromiss zeigt: Die Regierung will keine Verkehrswende

Die „Solar-Autobahn“, die unter dem Strich natürlich mehr statt weniger CO2 produziert, ist das Sinnbild für das daraus erwachsende Versagen. Auch wenn, wie ebenfalls beschlossen, die Lkw-Maut ausgeweitet wird und dann mehr Geld in Sanierung und Ausbau der Bahn fließt, es steht schon jetzt fest: Die Ampel will keine wirkliche Verkehrswende, sondern asphaltiert voran für noch mehr Pkw- und Lkw-Kilometer. Das ist nicht nur in diesem Sektor fatal, der seit Beginn der Klimapolitik vor gut drei Jahrzehnten praktisch nichts zum CO2-Sparen beigetragen hat. Damit geraten die Klima-Ambitionen der Koalition insgesamt unter die Räder.

Wäre das Ergebnis nicht so unterirdisch, man müsste den Hut ziehen vor solch politischer Durchschlagskraft: Die Zähigkeit, mit der die FDP und ihr Bundesverkehrsminister Volker Wissing sich gegen eine Umkehr sperren, hat vollen Erfolg gehabt.

Wissing führt eigene Regierung vor: keine nachhaltigen Beschlüsse für den Mobilitätssektor

Beschlüsse für den Mobilitätssektor, die die Emissionen senken könnten und schnell wirken würden, fehlen völlig, darunter ein generelles Tempolimit für Autobahnen, der Abbau von Subventionen bei Diesel und Dienstwagenprivileg oder eine Bonus-Malus-Regelung bei der Kfz-Steuer. Wissing, der sich bisher eisern dagegen gesperrt hat, einen nachvollziehbaren Plan zur Einhaltung der mehrfach gerissenen Klimaziele in seinem Sektor vorzulegen, hat nun einen Freifahrtschein für seine Verweigerung bekommen. Nachdem er schon die EU mit seiner Eskapade zum Verbrenner-Aus vorgeführt hat, schafft er das nun auch in der eigenen Regierung. Chapeau, sagt man dazu, wenn auch widerwillig.

Ampel-Koalition: Regierung betreibt bei Energiewende Wunschdenken

Wissing kann sich locker wegducken, wenn sein Bereich in den nächsten Jahren erneut über dem CO2-Limit liegt, was schon sicher ist. Das liegt daran, dass die Ampel de facto die Sektorziele im Klimaschutzgesetz beerdigt hat samt der Pflicht, Maßnahmen gegebenenfalls schnell nachzuschärfen. Sie setzt darauf: Andere Sektoren, etwa die Industrie oder die Kraftwerke, müssen einspringen, wenn der Verkehr es wieder nicht schafft.

Das ist Wunschdenken. Auch dort wird es ambitioniert und kostspielig, die Energiewende zu vollenden, Stichwort Wasserstoff. Das CO2-Unlimited-Ticket für den Verkehr bedeutet entweder, dass die Klimaziele insgesamt gekippt werden müssen, oder aber, dass die anderen Sektoren so viel mehr leisten müssen, dass das einen Aufstand erzeugen wird.

Die Kritik an den Plänen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zur Umstellung der Gebäudeheizungen auf Wärmepumpentechnik, die nun mit höheren Zuschüssen und mehr Flexibilität bei der Weiternutzung von Gasgeräten entschärft werden soll, ist dagegen nur ein laues Lüftchen.

Kompromiss nach Ampel-Streit: „Kanzler für Klimaschutz“ ist abgetaucht

FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner war sich nicht zu schade, bei der Vorstellung der radikalen Schwächung der deutschen Klimapolitik noch eine Girlande um diesen knallharten Lobbyjob für Autokonzerne und Logistikbranche zu winden. Er sagte, man müsse das Klimagesetz „konzeptionell“ ändern, weil die bisherigen Regeln darin zu „nicht durchführbaren Ergebnissen“ geführt hätten. Nun öffne die Ampel „den Raum für marktwirtschaftliche Ergebnisse“. Nebulöser geht es kaum. Der neue Kurs widerspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen wegweisendem Klimaurteil von 2021. Das hatte die Bundesregierung darauf verpflichtet, die nötigen CO2-Reduktionen frühzeitig umzusetzen, um drastische Einschnitte in die Freiheitsrechte zu verhindern, die andernfalls in wenigen Jahrzehnten nötig würden. Einschnitte, die so radikal sein werden, dass die Corona-Lockdowns dagegen wie ein Kindergeburtstag wirken dürften.

Um gerecht zu sein, die Ankündigung, dass das Klimagesetz seiner Zähne beraubt werden solle, stand schon im Ampel-Koalitionsvertrag, wenn auch etwas wolkig formuliert. Nun wird das hart umgesetzt. Das Gesetz wird zum Papiertiger.

Die Grünen hatten sich bis zuletzt dagegen gesperrt, doch nun erlebten sie ihre Abfuhr, weil Ampel-Chef Scholz und seine SPD sich auf die Seite der FDP geschlagen haben. Der „Kanzler für Klimaschutz“, wie er sich im Wahlkampf 2021 nannte, ist abgetaucht. Und die Grünen müssen sich fragen, was besser ist: falsch zu regieren – oder gar nicht. (Joachim Wille)

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