Ärger in der Berlinale-Chefetage

Deutsche Filmemacher fordern ein Umdenken in der Organisation der Berlinale. Woher kommt der breite Unmut? Der Leitartikel.
Freundlichere Umstürzler hat es wohl nie zuvor gegeben. „70 Filmemacher zetteln Revolution bei Nachfolge von Dieter Kosslick an“, titelte Donnerstag früh „Spiegel Online“, doch ein Putsch in der Berlinale-Chefetage findet nicht statt. Zwar stieg die Zahl der Unterstützer mit jeder Aktualisierung des Artikels weiter an. Aber ist das schon eine Revolution?
Eine Absetzung Kosslicks wird nicht gefordert. Erst wenn sein Vertrag 2019 sowieso auslaufe, so die für den langjährigen Festivalchef eigentlich beruhigende Nachricht, möge sich doch bitte etwas zum Guten verändern.
Ungenannte Adressatin ist die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters: „Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen.“
Sprengstoff zwischen den Zeilen
Wer wollte da widersprechen? Auch die Forderung nach einem transparentem Verfahren klingt selbstverständlich. Doch genau darauf wollte sich Grütters bislang nicht einlassen; ausgerechnet bei der Besetzung eines der höchst dotierten Posten im deutschen Staatsdienst überhaupt. 2014 bezifferte die „Bild-Zeitung“ Kosslicks Bezüge auf 276 839 Euro.
Kein Wunder, dass es, wie aus Berlinale-Kreisen verlautet, an Bewerbungen nicht mangelt. Auch bei einer Gesprächsrunde am kommenden Montag ist keine Öffentlichkeit geladen.
Der eigentliche Sprengstoff steckt zwischen den Zeilen. Offensichtlich fürchten die Unterzeichner, dass eine „kuratorische Persönlichkeit“ gar nicht gewünscht ist. Noch immer hält sich das Gerücht, Grütters favorisiere mit Kirsten Niehuus, der derzeitigen Chefin des Medienboards Berlin-Brandenburg, abermals jemanden aus der Filmförderung.
Das Beispiel von Kosslick (ehemals Chef der Filmstiftung NRW) zeigt: Wer Filme finanzieren hilft, wer das wirtschaftliche Überleben einer Branche garantieren muss, der lernt, seine persönlichen Vorlieben zurückzustellen. Genau das aber müssen Kuratoren leisten. Sie müssen erkennen und verteidigen, was gut ist, neu und radikal. Und dabei nicht nur die inländische Branche im Blick haben.
Und hier nun kommt das eigentliche Dilemma, denn solche Kuratoren gibt es kaum. Denn anders als etwa in der bildenden Kunst, wo man etwa bei der Besetzung der Documenta-Leitung aus dem Vollen schöpfen kann, hat der Filmbetrieb an Kunstvermittlung wenig Interesse. Geradezu gefürchtet ist die Filmkritik, aus deren Reihen viele berühmte Festivaldirektoren stammen, legendäre Persönlichkeiten wie Ulrich Gregor, der Begründer des „Internationalen Forums“ der Berlinale.
Die Furcht vor der Meinung der Filmvermittler, der Kritiker und Wissenschaftler führte dazu, dass die Branche auch den Deutschen Filmpreis, die „Lolas“, inzwischen selbst verteilt. Nicht einmal als Mitglied der Filmakademie wäre sie zugelassen, jene „kuratorische Persönlichkeit“, wie man sie nun wünscht.
Eigentlich wäre es die Aufgabe der Filmakademie gewesen, eine solche Erklärung abzugeben. Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, dass Spiegel-Online die Umfrage selbst zumindest mitorganisiert hat, um exklusiv darüber zu berichten.
Die Filmemacher müssen umdenken
Nein, nicht nur Politikerinnen und Politiker, auch die Filmemacher müssen umdenken. Sie dürfen die Filmkritik nicht länger als ihre Feindin ansehen und müssen endlich anfangen, sich dafür zu interessieren, wer ihre Kunst vermittelt. Die Filmkultur leidet unter einem immensen Bedeutungsverlust, und die Branche trägt maßgeblich die Schuld daran. Wer sich mehr für die Finanztöpfe interessiert als dafür, wie anspruchsvolle Filme denn ihr Publikum finden sollen, muss sich nicht wundern, wenn Funktionäre statt Filmliebhabern die Festivals leiten.
Natürlich gibt es sie, die „leidenschaftliche Persönlichkeit, die für das Kino brennt“, wie es in der Erklärung heißt. Doch sie wird sich vermutlich nicht bewerben, weil sie über ihren schlecht bezahlten Job in einem kommunalen Kino gar nicht daran denkt.
Wer in Deutschland als Filmvermittler echte Leidenschaft für das Kino hat, der wähnt sich gar nicht auf dem Radar derjenigen, die über eine Berlinale-Leitung entscheiden. Jeder wünscht sich auf diesem Job jemanden wie den Programmchef von Cannes, Thierry Frémaux: einen geistreichen und charmanten Intellektuellen, der auch an einem vollen Festivaltag noch die Zeit findet, eine flammende Einführung in einen Klassiker der Retrospektive zu halten.
Nur machen solche Cinephile in Deutschland, wo es nur eine Handvoll Filmmuseen und ein paar unterfinanzierte kommunale Kinos gibt, keine Karrieren. Sie arbeiten oft ehrenamtlich für die vielen kleinen und größeren Festivals im Land und leben von Filmkritiken, Uni-Jobs oder von der Hand in den Mund.
Aber die deutschen Filmmacher haben natürlich Recht: Genau so jemand muss die Berlinale retten. Jemand, der vielleicht nicht vom Kino lebt. Sondern für das Kino.