"Wir schneiden euch die Köpfe ab"

In den vergangenen Tagen haben sich Morddrohungen gegen eine liberale Moskauer Zeitung gehäuft. Sie gilt vielen als "Vaterlandsverräter"
Der abgeschnittene Hammelkopf, der in einem Korb vor dem Redaktionsgebäude lag, war blutig, der Text auf dem Zettel daneben knapp: „Für den Chefredakteur, mit Grüßen an Korotkow.“ Am Vortag hatte sich dort schon ein Begräbniskranz gefunden, er war mit der Fotografie des Reporters Denis Korotkows versehen und mit der Aufschrift „Vaterlandsverräter“. Außerdem schickten Unbekannte einen Strauß mit einer geraden Zahl von Blumen, in Russland bei Begräbnissen üblich, per Kurier an Korotkows Wohnung in Sankt Petersburg. Dazu eine Visitenkarte: „Wir vergessen dich nicht.“
Die Botschaft sei verständlich: „Wir schneiden euch die Köpfe ab“, sagt Dmitri Muratow, der Herausgeber der oppositionellen „Nowaja Gaseta“. Muratow erklärte unserer Zeitung, schon vorher hätten nationalistische Medien und Online-Bots eine Verleumdungskampagne gegen seine Zeitung und ihren neuen Reporter Korotkow gestartet.
So berichtete das wenig bekannte Portal „Ran“, die russischen Sicherheitsdienste hätten in der Uralstadt Ufa mehrere Terroristen des sogenannten Islamischen Staats festgenommen. Bei dem Versuch, Familien russischer Luftwaffenpiloten zu ermorden, die in Syrien kämpften. Die Adressen ihrer Opfer aber hätten sie angeblich aus Artikeln Denis Korotkows. Die „Nowaja Gaseta“ bezeichnet diese Behauptung als Fake-News. Und die Petersburger Internetzeitung „Fontanka“, für die Korotkow bis August arbeitete, schreibt, er habe niemals sensible Angaben über Wehrpflichtige wie Dienstnummern oder Geburtsdaten veröffentlicht.
Finanzierte Söldnergruppe Wagner
In der rechten Nachrichtenagentur RIA FAN wurde Korotkow trotzdem als „Vaterlandsverräter“ beschimpft. Er arbeite schon seit September in der „Nowaja Gaseta“, habe aber noch nichts veröffentlicht, weil er insgeheim damit beschäftigt sei, die BBC und Leute des Exiloligarchen Michail Chodorkowski mit Informationen zu versorgen.
Es gilt in Russland als offenes Geheimnis, dass RIA FAN dem kremlnahen Großunternehmer Jewgeni Prigoschin gehört. Er soll auch die Söldnergruppe Wagner finanzieren. Über ihre Kämpfer hatte Korotkow früher für „Fontanka“ zahlreiche Artikel geschrieben, über ihre Einsätze in der Ostukraine und in Syrien, auch über ihre schweren Verluste dort. Prigoschin soll außerdem die „Fabrik der Trolle“, ein Petersburger Zentrum für Internetpropaganda, bezahlen. Und sein Petersburger VIP-Restaurant „New Island“ besucht auch der russische Staatschef gern; böse Zungen bezeichnen Prigoschin als „Putins Koch“, inzwischen auch als „Putins Schlächter.“
Journalisten, die sich zu heftig für seine Projekte interessieren, leben gefährlich. Der Jekaterinenburger Reporter Maxim Borodin hatte über Familien gefallener Wagner-Söldner berichtet; er stürzte im April von seinem Balkon im vierten Stockwerk und starb. Ende Juli wurden die liberalen Reporter Orchan Dschemal, Alexander Rastorgujew und Kirill Radtschenko in der Zentralafrikanischen Republik erschossen. Sie wollten einen Film über Wagner-Kämpfer drehen, die dort auch Goldminen bewachen. Laut dem Portal The Bell gehören diese zumindest zum Teil Firmen Prigoschins.
Blutiger Hammelkopf ist wohl Teil der Vendetta
In Medienkreisen heißt es, „Fontanka“ habe Korotkow auf Druck Prigoschins entlassen. Der blutige Hammelkopf sei wohl Teil der Vendetta Prigoschins gegen Korotkow, sagt Roman Dobrochotow, Chefredakteur des „The Insider“.
Seine investigative Internetzeitung hatte in den vergangenen Wochen die Namen der zwei GRU-Agenten enthüllt, die den Giftstoffanschlag auf den russischen Exdoppelagenten Sergei Skripal in Großbritannien verübt haben sollen. „The Insider“ blieb bisher unbehelligt.
„Wir leben in einem mittelalterlichen Feudalsystem, in dem jeder Lehnsherr seine eigenen Krieger hat“, sagt Dobrochotow, „Tschetschenen-Chef Kadyrow seine Leibgarde, Prigoschin seine Wagner-Söldner, manche Gebietsgouverneure Banditenbanden.“ Sich mit ihnen anzulegen, sei häufiger gefährlicher als mit Kreml.
Man habe noch keine Beweise, beschuldige bisher niemanden, „Nowaja Gaseta“-Herausgeber Muratow gibt sich gelassen. Dass Prigoschin eine eigene Armee und eigene Medien besitze, sei für Muratows Zeitung kein Grund, ihn als jemand Besonderes zu behandeln. „Für uns ist das ein alltäglicher Moment unserer Arbeit. Wir sind auch früher bedroht worden, einmal haben uns Neonazis angekündigt, sie würden die ganze Redaktion abschlachten, von der Putzfrau bis zum Chefredakteur.“ Es ist zu hoffen, dass hinter den jüngsten blutigen Drohungen nicht noch mehr Blutgier steckt.