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Mit der Wiese leben

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Von: Christian Thomas

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Berlins Mitte als Brache

Die Hauptstadt wird in ihrem Herzen mit einer grünen Wiese leben müssen, und wie so etwas geht, wird sie erst einmal vormachen müssen. Nach sieben Jahren, und das darf man vielleicht heute schon symbolisch verstehen, wird die Frage sein, wie stark diese Gewöhnung dann ausgefallen sein wird. Denn durch den Beschluss des Bundestages, den Abriss des Palastes der Republik unverzüglich in Angriff zu nehmen, muss man in Berlin wesentlich länger als ursprünglich geplant mit einer Brache leben.

Während der vormalige Bundesbauminister Manfred Stolpe (SPD) einen Neu-Baubeginn für das Berliner Stadtschloss noch für 2007 glaubte ankündigen zu können, hat sein Nachfolger im Amt, Wolfgang Tiefensee, diesenEnthusiasmus fahren lassen. In einem Interview mit der Zeit hat Tiefensee so etwas wie einen Stadtschloss-Fahrplan aufgestellt. Danach kommt es nicht vor 2010 oder 2012 zu einem Neubau und: "Vor 2018, 2020 wird das Humboldtforum kaum eröffnen können".

Nun hat der sowohl mit Absicht in die Asbestfreiheit als auch mit Umsicht in die Verwahrlosung überführte Palast der Republik zuletzt nach außen hin den Reiz eines schwer verunglückten Parkhauses ausgestrahlt - unabhängig von dem Performancecharme, den zuletzt die Künste aus dem Stahlskelettbau herauskitzelten. Angesichts dieser suggestiven Qualitäten haben Hardliner gerne ignoriert, dass der Abrissbeschluss längst verbindlich war. Dennoch hat sich der Bundestag in eine ideologische Debatte über das Bauwerk treiben lassen - eine Debatte, die gezeigt hat, dass die Halbwertzeit realsozialistischer Symbolpolitik noch längst nicht abgelaufen ist. Anstatt sich in ideologischen Kraftmeiereien (auf der einen Seite: der Palast als subversive Teilzeitarena; andererseits: das Stadtschloss als demokratisch vollgültige Residenz) zu verrennen, wäre es schlicht zukunftsweisend gewesen, über Formen der Zwischennutzung zu sprechen. Eine solche kulturelle Funktion, die möglicherweise allein das blanke Stahlbaugerippe als Korsett genutzt hätte, hätte eine erhebliche Kostenminimierung zur Finanzierung eines Hauptstadtkulturforums mit sich gebracht.

Mit dem Abriss zeichnet sich jedoch nicht allein eine Brache ab, sondern so etwas wie eine - sagen wir - baukulturelle Leerstelle. Denn Bundesbauminister Tiefensee hat in dem Interview weiterhin angekündigt: "Erst müssen die Geldfragen geklärt werden, und das ist schwierig. Dann soll Ende 2007 der Bundestag den Baubeschluss fassen. Dann kommen Investorenwettbewerb, Architektenwettbewerb ..." - und hier darf man unterbrechen. Die Frage ist nämlich, warum entgegen üblichen Gepflogenheiten demokratischer Baukultur, ein Investorenwettbewerb einem Architekturwettbewerb vorangestellt werden soll? Mag sein, dass das Bundesbauministerium, das mit seiner "Initiative Baukultur" manchen Flyer unterschrieben hat, sich noch nicht richtig hat verständlich machen können. Auf jeden Fall ist es bemerkenswert, dass der Bundesbauminister der Meinung anhängt, dass einem privaten Investor sozusagen die Richtlinienkompetenz eingeräumt wird, wie ein nicht ganz unmaßgebliches Kulturforum aussehen wird, für das drei Viertel des Finanzen vom Bund und ein Viertel vom Land Berlin aufgebracht werden sollen.

Mit Blick auf die nahe Zukunft hat gestern die Bundesarchitektenkammer festgestellt, dass die " Empfehlung der Expertenkommission Historische Mitte Berlin in wesentlichen Punkten nicht realisierbar" ist und die Lösung einer "Schlossreplik" angezweifelt. Angesichts des ideologischen Fraktionszwangs, von dem sich die Bundestagsabgeordenten durchaus haben leiten lassen, muss man sich um das weitere politische Verfahren, bei dem es um die Sicherung baukultureller Standards des Wettbewerbswesens geht, Sorgen machen.

Und die grüne Wiese? Historisches Bewusstsein könnte versucht sein, angesichts der Spätfolgen des 2. Weltkriegs an eben genau diesem Ort von einem rekonstruierten Morgenthau-Plan zu sprechen, jedenfalls einem temporären. Doch keine Gewöhnung ohne Routine, und keine Routine, auch das gehört zu ihrem Wesen, die nicht eine gewisse Sucht entwickelte. Das haben gerade die Routinen der Stadtschlossdebatte gezeigt, nachdem eine Replik der preußischen Residenz der Hohenzollern durch Rot-Grün zum Staatsschloss der Berliner Republik Deutschland promoviert wurde. Insofern darf die Republik, mit all ihren noch funktionierenden föderalen Energien, freudig dem Tag entgegensehen, an dem die berlinische Wiese zu einer Staatswiese erklärt wird.

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