Weißer Rassist, schwarzer Verräter

Die Doku-Serie "Flint Town" auf Netflix begleitet Polizisten in einer der ärmsten und kriminellsten Städte der USA. Die Einwohner haben ihr Vertrauen in die Gesetzeshüter längst verloren. Teil 15 der Kolumne "Nächste Folge".
Am 8. November 2016 ist doppelter Wahltag. Während die USA der Entscheidung im Zweikampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump entgegenfiebern, hat die Polizei in Flint, Michigan, weit konkretere Sorgen. Die Bürger entscheiden über mögliche Kürzungen des Budgets für Polizei und Feuerwehr, das über ihre Grundsteuer finanziert wird. Für die öffentliche Sicherheit wären Stellenstreichungen fatal, denn schon jetzt sind weniger als 100 Polizeibeamte für eine Stadt mit knapp 100.000 Einwohnern viel zu wenig. Und dann ist da noch der Wasserskandal. Behörden und Politiker hatten monatelang vertuscht, dass aus den Leitungen der Bewohner bleiverseuchtes Wasser fließt.
In den Sechzigern war Flint stolzer Produktionsstandort von General Motors mit 80.000 Arbeitsplätzen in der Autoindustrie, mit der Verlagerung ins Ausland begann der Verfall. Von 2010 bis 2012 galt Flint basierend auf FBI-Statistiken als gefährlichste Stadt der USA. Was es bedeutet, in solch einer Umgebung für einen hoffnungslos unterbesetzten Polizeiapparat zu arbeiten, lässt die Netflix-Doku „Flint Town“ in acht Episoden erahnen.
„Fuck the Police“ steht an der Hauswand
Neben Einwohnern, Reportern und Politikern kommen vor allem Polizisten zu Wort. Die Dokumentarfilmer Drea Cooper, Zackary Canepari und Jessica Dimmock begleiteten die Beamten von Ende 2015 an ein Jahr lang bei ihren Einsätzen durch heruntergekommene Wohngegenden, wo gefühlt an jeder zweiten Hauswand „Fuck the Police“ zu lesen ist. Das Vertrauen der Einwohner schwindet mit jedem Anruf bei der Notrufzentrale, der erst nach Stunden oder gar nicht verfolgt wird. Die mehrheitlich schwarze Bevölkerung empfindet die Gesetzeshüter weniger als Freund und Helfer denn als Bedrohung. Schwarze Polizisten müssen sich von ihren Nachbarn als „Verräter“ beschimpfen lassen, weiße stehen unter dem Verdacht, rassistisch zu sein.
Das Attentat auf Polizisten in Dallas und mehrere Fälle von Polizeigewalt gegenüber Schwarzen heizen die Stimmung weiter an. Die Stärke von „Flint Town“ besteht darin, keine Stellung zu beziehen, sondern die Meinungen unkommentiert gegenüberzustellen. Schockierend ist die Reaktion weißer Polizisten auf das Handy-Video, das die Erschießung des Afroamerikaners Philando Castile bei einer Verkehrskontrolle zeigt. Keiner der Beamten zeigt Mitgefühl für das Opfer, stattdessen wird seine Lebensgefährtin kritisiert, die die Situation vom Beifahrersitz aus gefilmt hatte. Diese und andere weiße Polizisten fühlen sich von der Obama-Regierung vernachlässigt und werden mehrheitlich Trump wählen, weil er Zucht und Ordnung und vor allem mehr Geld für den Sicherheitsapparat verspricht – auch wenn er ein „Arschloch“ sein mag, wie ein Polizist zugibt.
Was die ernüchternde Realität von „Flint Town“ erträglicher macht, sind jene Szenen, in denen die überarbeiteten Polizeibeamten in ihrem Streifendienst Respekt und Mitgefühl gegenüber den Verdächtigen zeigen. „Du siehst aus wie dein Daddy“, sagt ein schwarzer Officer, der sich nach vielen Dienstjahren in der Community auskennt, zu einem mutmaßlichen Drogendealer. Er setzt den Verdächtigen ins Auto, damit seine Socken nicht nass werden, wenn er die Schuhe auf Drogen untersucht. Dem verdienten Ruhestand sieht der Officer auch mit Sorge entgegen, denn wahrscheinlich wird ein weißer Polizist nachrücken, der von außerhalb kommt und von den Verhältnissen in Flint keine Ahnung hat.
Am Tag der Wahl von Trump gewinnt auch die Polizei in Flint. Niemand muss entlassen werden, sogar 16 neue Vollzeit- und acht Teilzeitstellen kommen dazu. Das ist noch viel zu wenig und wird auch unter Trump nicht besser, wie die Statistik zeigt. 2017 gehörte Flint wieder zu den zehn gefährlichsten Städten der USA – ein Ranking, das die Stadt im Vorjahr bereits verlassen hatte.