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Wahlen in Österreich: Happy End statt Rechtskoalition?

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Von: Claus Leggewie

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Österreich, wie es sein will: Wiener Prater im Frühling.
Österreich, wie es sein will: Wiener Prater im Frühling. © afp

Die nächste Rechts-Koalition in Österreich kann verhindert werden. Die Grünen mischen nämlich mit, und zwar tüchtig.

Österreich stand schon 2016 vor einer Entscheidung, die mittlerweile zum Paradigma der Politik in Europa und darüber hinaus geworden ist. Damals ging es darum, ob ein Grüner (Alexander van der Bellen) oder ein Blauer (Nobert Hofer) Bundespräsident werden sollte. Der Grüne gewann, die Freiheitlichen fochten das Ergebnis an und verloren die aus formalen Gründen erforderliche Neuwahl dann knapp.

Schwarz-Blau in Österreich zum dritten?

Die Retourkutsche kam sofort, Sebastian Kurz und die ins Türkise gekippten Konservativen koalierten mit den Rechten, deren Charakter nicht erst mit dem berüchtigten Ibiza-Video erkennbar wurde, sondern aus zwei gemeinsamen Regierungen (2000-2003, 2018/9) sattsam bekannt war. Das Video führte bekanntlich zum Sturz der Regierung, aber bei der anschließenden Europawahl zeigte sich, dass der rechte Rand hart blieb – die Freiheitlichen kassierten immer noch 17,2 Prozent der Stimmen und der blamierte Strache ad personam 37 000 Vorzugsstimmen, die er, Brüssel verachtend, liegen ließ, um sein Comeback daheim vorzubereiten.

Die Umfragen für die auf den 29. September angesetzten Neuwahlen verheißen dem gestürzten Kanzler Kurz mit 35 bis 38 Prozent eine glänzende Rückkehr, die kaum geschmälerte FPÖ bleibt der von der Mehrheit der Österreicher bevorzugte Koalitionspartner. Auch die jüngsten Korruptionsvorwürfe, angebliche Absprachen der Regierungsparteien mit dem Glückspielkonzern Novomatic bei der Besetzung des Vorstandes der Casinos Austria und möglicher künftiger Lizenzen, und Hausdurchsuchungen bei Strache haben das nicht verändert.

Schwarz-Blau zum dritten? Was andernorts (in Ostdeutschland) ein Tabubruch wäre, ist in Österreich Routine. Das konservative, christlich tuende Bürgertum legt sich bedenkenlos ins Bett mit den Ultras, adaptiert deren völkisch-identitäre Ideen, beschädigt den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung, sägt also an den Grundfesten der Demokratie. Dabei übertrumpfen sich die Koalitionäre, die sich als Anwälte der kleinen Leute aufspielen, in der Demontage des Sozialstaats und der Arbeitnehmerrechte. Das alles beherrschende Thema ist die Wahnvorstellung der „Umvolkung“, des angeblichen Bevölkerungsaustausches der alteingesessenen Christen durch Muslime und heidnische Afrikaner, die die Rechte in einer neuen Türkenschlacht zu verhindern verspricht.

In Österreich gibt es wählbare Alternativen - in Brandenburg, Sachsen und Thüringen auch

Dazu muss es in Österreich so wenig kommen wie in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, weil es wählbare Alternativen gibt. In der vom alerten Kanzler Kurz kastrierten ÖVP ist der Widerstand gegen eine schwarz-blaue Koalition schwächer als in der CDU/CSU, aber die Sozialdemokratie ist an Donau und Inn rüstiger als hierzulande. Vor allem haben sich auch in Österreich die Grünen regeneriert, eine türkis-grüne Koalition (eventuell unter Einschluss der liberalen Neos) ist rechnerisch denkbar, wenngleich vom Wahlvolk demoskopisch bisher von allen Konstellationen am wenigsten erwünscht. Ein schwerer Gang würde das also.

Andererseits: Eine erneute Koalition mit Strache, Kickl und Co. wird Kurz europäisch und international isolieren; Geschichte schreiben (was er doch so gerne will) könnte der junge Mann eher, wenn er mit den Grünen eine attraktive Umweltpolitik auf die Beine stellte, wofür sich auch der grüne Präsident in der Hofburg stark macht, der in der jüngsten Krise erheblich an Statur gewonnen hat. In vier Bundesländern regieren die Grünen mit schwarzen Landeshauptleuten, und in Sachfragen (Bodenschutz, Schulpolitik, Pflege, Raumordnung) wurden sie mit denen relativ geräuschlos einig.

Das Potenzial der Grünen in Österreich ist größer als die Umfragewerte

Ende September steht damit auch eine Weichenstellung für die Europäische Union an. Mit der Neuauflage der Rechtskoalition reihte sich Österreich faktisch ein in die Visegrad-Verhinderungs-Front, würde ein Habsburg-Reich im Kleinformat die (wenigen) hoffnungsvoll stimmenden Ansätze von Kommission und Parlament durchkreuzen können, die Renationalisierung vorantreiben. Rot-grüne Koalitionen sind in Österreich, wo die SPÖ um 20 Prozent pendelt, ausgeschlossen und liegen schon lange nicht mehr im europäischen Trend.

Das Potenzial der Grünen ist größer als die aktuellen Umfragewerte. Mit dem Schrumpfen der Volksparteien verläuft die politisch-kulturelle Spaltungs- und Konfliktlinie in Europa wesentlich zwischen Grün und Blau, und die Grünen können mit dem Rückenwird der außerparlamentarischen Jugend-Bewegung für Klima-, Arten- und Umweltschutz einen sozialökologischen Pol in der Mitte bilden.

Das könnte der schlecht renommierten, auf Ausgleich und Konsens bedachten Konkordanzdemokratie in Österreich, die sich in Jahrzehnten großer Koalition verschlissen hat, einen neuen Sinn verleihen.

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