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Update: Wie war das noch?

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Von: Kathrin Passig

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Wie haben die das früher gemacht?
Wie haben die das früher gemacht? © PantherMedia/everett225

Um über die Technik der Gegenwart zu schreiben, muss man gelegentlich Texte über Technik der Vergangenheit lesen. Die Kolumne „Update“.

Texte über Technik der Vergangenheit sind zwar leichter auffindbar als früher, aber meistens unverständlich auf eine von zwei Arten. Ein Teil ist unverständlich geworden, weil sie von Fachleuten für Fachleute geschrieben wurden. Wer für ein solches Publikum schreibt, kann vieles voraussetzen und braucht es nicht zu erklären. Vielleicht würden die Fachleute Erklärungen sogar kränkend finden.

Ein paar Jahrzehnte später ist der Fachtext nur noch für Menschen im Rentenalter deutbar, und noch etwas später nur für eine neue Sorte von Fachleuten, die sich mit der Wissenschaftsgeschichte des jeweiligen Themas befassen. Alle anderen bräuchten beim Lesen eigentlich Fußnoten, so wie bei der Werther-Lektüre, wo man auch nicht von allein darauf kommt, dass das Walzertanzen einmal etwas ganz anderes bedeutet hat als heute. Weil es diese Fußnoten nicht gibt, müssen wir die Gründe für technische Entscheidungen, die das zeitgenössische Publikum noch kannte, jetzt erraten: War die Lösung, die im Rückblick naheliegend erscheint, noch gar nicht erfunden? War sie noch zu teuer? Was bedeuten die unbekannten Begriffe? Manche Wörter sind in Vergessenheit geraten, andere gibt es weiter, aber sie bezeichnen nicht mehr dasselbe. Das klassische Beispiel ist der „Computer“, der vom 17. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre ein rechnender Mensch war, oft eine Frau.

Die zweite Sorte unverständlicher Texte sind die, in denen Leute wie ich für ein allgemeines Publikum über Gegenwartstechnik schreiben und über deren Folgen für die Zukunft spekulieren. Diese Texte werden schon mit wenigen Jahren Abstand unlesbar. Oft kennt die Autorin die gerade aktuellen Entwicklungen eher flüchtig und benutzt sie vor allem als Aufhänger für Spekulation, Ressentiment oder irgendein altes Lieblingsthema. Über die eigentliche Technik erfährt man wenig. Meistens kann man aus diesen Texten nicht einmal lernen, warum und auf welche Art die Spekulationen von damals falsch waren. Denn damit wir später sagen können: „Hier irrte die Autorin“, müsste drinstehen, von welchen Aspekten welcher Technologien die Texte eigentlich handeln. Das steht selten drin, stattdessen geht es um die „Herrschaft der Elektronengehirne“, das „Labyrinth des World Wide Web“, den „Käfig der Algorithmen“, die „Gefahren der sozialen Medien“ und die „Versprechungen des digitalen Kapitalismus“. Entwicklungen sind in diesen Texten immer „längst“ im Gang.

Wenn ich einen zwanzig, fünfzig oder hundert Jahre alten Text über Technik lese, will ich herausfinden, was damals technisch möglich war, was tatsächlich praktiziert wurde und von wem, was das kostete, wie man darüber dachte und was die ungelösten Fragen waren. Aber die meisten dieser Themen sind für die jeweilige Gegenwart unattraktiv. Die Schreibenden verschwenden selten Zeit und Zeilen auf eine Einordnung in den Kontext der Zeit, den sie als bekannt voraussetzen können und der ihr Publikum vielleicht langweilen würde. Die ungelösten Technikprobleme einer Gegenwart sind nicht immer greifbar. Manchmal sind sie so offensichtlich, dass man darüber nicht zu schreiben braucht, weil alle wissen, dass Strom, Speichermedien oder Rechenleistung zu teuer oder gar nicht verfügbar sind. Und manchmal sind sie so unsichtbar, dass erst im Rückblick klar wird, welcher Baustein damals gefehlt hat. Viele unserer derzeitigen Probleme mit sozialen Netzwerken gehören wahrscheinlich in diese Kategorie. Die Frage, was gerade tatsächlich praktiziert wird und vom wem, ließe sich nur mit einem Aufwand klären, den die meisten Schreibenden nicht leisten können.

Außerdem ist das Schreiben über eine neue Technologie nur in einem bestimmten Zeitfenster wirtschaftlich attraktiv. Leider ist das gleichzeitig die Zeit, in der wir noch am wenigsten über sie wissen. Später, wenn sich der Staub etwas gelegt hat, könnte man kompetenter darstellen, was sich eigentlich durch Telegrafie, Tabellenkalkulation oder Textverarbeitungssysteme verändert hat. Das interessiert jetzt aber nur noch ein paar verstreute Gestalten in Kulturwissenschaft und Technikgeschichte.

Die meisten meiner Texte sind unbrauchbar auf die zweite Art, es steht zu wenig drin. Im Techniktagebuch-Blog gebe ich mir größere Mühe, für die Zukunft zu schreiben. Das macht es für die Gegenwart weitgehend unlesbar, weshalb es auch den Untertitel trägt: „Ja, jetzt ist das langweilig. Aber in 20 Jahren!“ Allerdings sind von diesen zwanzig Jahren erst knapp zehn vergangen. Vielleicht stellt sich am Ende heraus, dass es eine dritte Textsorte gibt, die man weder in der Gegenwart noch in der Zukunft lesen kann.

Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de
Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de © privat

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