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Update: Nicht schimpfen

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Von: Kathrin Passig

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Gut, dass es Wikipedia gibt, oder?
Gut, dass es Wikipedia gibt, oder? © Getty Images

Dass es die Wikipedia gibt, ist gut, weil man manchmal dringend alles über Pastetenvögel erfahren möchte, während man auf den Bus wartet.

Es ist außerdem gut, weil eine Enzyklopädie, an der alle einfach mitschreiben dürfen, so wenig existieren kann wie eine Hummel fliegen. Beide mussten durch ihre eigene Existenz (Wikipedia) beziehungsweise durch Herumfliegen (Hummel) erst mal das Gegenteil beweisen. Dass Hummeln nach den Gesetzen der Aerodynamik nicht fliegen können dürften, war in Wirklichkeit nie ein verbreiteter Glaube, wie ich dem Wikipediaeintrag „Hummel-Paradoxon“ entnehme. Die Meinung, dass offene Enzyklopädien nichts taugen können, war aber in den ersten Jahren der Wikipedia, zwischen 2001 und 2005, wirklich üblich. Erst seit etwa 2010 muss darüber nicht mehr ganz so viel diskutiert werden.

Ein Nachteil der Wikipedia ist, dass viele dort ihre ersten Erfahrungen mit der Beteiligung an offenen Projekten sammeln und diese Erfahrungen oft unangenehm sind: Hilfsbereit legt man einen Beitrag über das eigene Lieblingseis an und bekommt ihn unter schroffen Kommentaren sofort wieder gelöscht. Wobei „oft“ vielleicht gar nicht stimmt. Vielleicht sind die meisten ersten Wikipedia-Erfahrungen neutral bis positiv, aber die negativen Erfahrungen sprechen sich mehr herum. Das passiert insbesondere dann, wenn hauptberuflich Forschende oder Schreibende – also Leute, die genau wissen, dass sie für die Mitarbeit an Enzyklopädien qualifiziert sind – zum ersten Mal einen Wikipediaeintrag bearbeiten. Oft ist das der zu ihrer eigenen Person. Die Änderungen werden abgelehnt, weil Quellenangaben fehlen, und die Betroffenen lassen jahrelang keine Gelegenheit aus, diesen Skandal in Artikeln und Interviews zu erwähnen.

Aber am schlechten Ruf der Wikipedia-Mitarbeit sind nicht nur gekränkte Prominente schuld. Es gibt ausreichend Forschung dazu, die besagt, dass es wirklich nicht so einfach ist, einen Fuß in die Wikipediatür zu bekommen. Auch wenn man mal drinnen ist, ist die Erfahrung vielen zu streitbefrachtet, und sie gehen lieber wieder. Schließlich ist die Mitarbeit eine Freizeitbeschäftigung, und da sehnt sich kaum jemand nach zusätzlichem Stress.

Es wäre falsch, daraus zu schließen, dass die Mitarbeit an offenen Projekten im Internet nur was für Menschen mit dickem Fell ist. Oder nur was für Menschen mit Technikkompetenzen, oder solche mit besonders großer Geduld für unbequeme, historisch gewachsene Editier-Oberflächen. Das stimmt alles nicht. Wer gern dem Internet etwas zurückgeben möchte, kann das an schönen und friedlichen Orten tun, manchmal sogar mit Werkzeugen, deren Benutzung Spaß macht. Man hört nur nicht ganz so oft von ihnen.

Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de
Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de © privat

Das freie Kartenprojekt OpenStreetMap wirkt in vieler Hinsicht so verschroben, wie man es von einem nichtkommerziellen Projekt erwarten darf. Ich habe viel Geduld gebraucht, um mit der dazugehörigen Navigations-App die elementarsten Dinge hinzubekommen. Aber die Editier-Ansicht der Karte, in der man Gebäude, Hausnummern und Öffnungszeiten eintragen kann, ist überraschend angenehm und einfach zu benutzen. Noch leichter geht es mit der App „StreetComplete“, in der auch Freiwillige ohne alle technischen Vorkenntnisse Fragen zur Umgebung beantworten und damit die Karte ergänzen können. Das macht als Herumlauf- und Sammelbeschäftigung ungefähr so viel Spaß wie Pokémon Go, erzeugt aber zusätzlich einen Nutzen für die Allgemeinheit. Ich habe lange nicht daran geglaubt, aber offenbar ist es auch in nichtkommerziellen Projekten möglich, schöne und freundliche Benutzungsoberflächen hinzubekommen. Und OpenStreetMap ist nur eins von vielen Projekten, in denen man die Welt nebenbei ein bisschen verbessern kann, ohne ein Wort mit den anderen Beteiligten zu wechseln.

Manche Projekte bringen mehr Diskussionsbedarf mit sich als andere, und die Wikipedia hätte es auch dann schwerer, wenn sie ausschließlich von netten, kooperativen und an Inklusion interessierten Menschen befüllt würde. Friedliche Zusammenarbeit ist leichter, wenn es um relativ eindeutige Fakten geht wie die Existenz von Briefkästen, Strommasten oder Bushaltestellen. Irgendwo im Überschneidungsgebiet von Frankfurter Rundschau und OpenStreetMap lacht an dieser Stelle jemand hohl auf und sagt, dass man sich lange und erbittert über Bushaltestellen streiten kann, von Landesgrenzen mal ganz zu schweigen. Ich ahne das, aber ich kann es bei dieser Ahnung belassen, weil der Streit besser versteckt ist als in der Wikipedia. Falls mir eines Tages Meinungen über Kartografie wachsen, die ich ausdiskutieren möchte, finde ich schon noch früh genug hin.

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