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Update: Moderne Hausfrau

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Von: Kathrin Passig

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Man könnte es ja mal mit Crowdfunding probieren.
Man könnte es ja mal mit Crowdfunding probieren. © Imago

Warum sind gerade zwischen 2008 und 2010 gleich mehrere Crowdfundingplattformen entstanden? Was sind ihre Vor- und Nachteile? Die Kolumne „Update“.

Der US-Designer, Fotograf und Tastaturenfan Marcin Wichary ist 2016 in Spanien zufällig in ein Schreibmaschinenmuseum geraten und hat liebevoll darüber getwittert. Seine Begeisterung war ansteckend, seine Tweets und Fotos wurden von vielen Menschen weiterverbreitet. Wegen des großen Interesses hat Wichary daraufhin eine dreibändige Geschichte der Tastatur geschrieben und designt.

Sie ist den Vorschaubildern zufolge wunderschön, hat 1500 farbige Seiten und enthält mehr als tausend Fotos. Wenn man so etwas einem Verlag anbietet, seufzen die Zuständigen und sagen, dass sie das Buch „sehr gern“ machen würden, es aber leider ihren Verlag finanziell ruinieren würde. Deshalb hat Wichary im Februar und März 2023 auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter Geld für sein Buch gesammelt. 150.000 Dollar waren angepeilt, zusammengekommen ist eine knappe Dreiviertelmillion. Es ist das zweiterfolgreichste Sachbuch in der Geschichte von Kickstarter. (Das erfolgreichste war eine Geschichte des französischen Militärgewehrs.)

Offenbar sehnen sich mindestens 4278 Menschen nach diesem Buch, so viele haben das Projekt bei Kickstarter unterstützt. In der Welt vor Kickstarter und anderen Crowdfundingplattformen hätten diese 4278 Menschen vielleicht ohne Bildband über Tastaturen weiterleben müssen. Na ja, vielleicht auch nicht, denn im Buchhandel gibt es dieses Finanzierungsmodell schon länger. Friedrich Gottlieb Klopstocks 1774 erschienenes Buch „Die deutsche Gelehrtenrepublik“ hatte auch schon fast 3700 Subskribenten, also Interessierte, die vor dem Erscheinen des Buches dafür bezahlt hatten. Es war nur etwas mühsamer, so ohne Internet: Klopstock brauchte ein halbes Jahr, um diese Subskribenten anzuwerben, und hatte noch lange Ärger mit der „nicht immer fristgerechten“ Übersendung des Geldes. Wichary erreichte die ursprünglich angestrebten 150.000 Dollar schon am Tag der Ankündigung und bekommt das Geld einfach von der Crowdfundingplattform überwiesen.

Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de
Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de © privat

Ein bisschen besser ist die Welt also durch das Auftauchen der Crowdfundingplattformen geworden, so zwischen 2008 und 2010. Warum sind gerade um diese Zeit gleich mehrere dieser Plattformen entstanden, warum nicht zehn Jahre früher oder später? Manchen Quellen zufolge hat die Wirtschaftskrise von 2008 eine Rolle gespielt, weil es dadurch schwerer wurde, Kredite für kleine Projekte zu bekommen. Außerdem waren gerade erst die Unternehmen entstanden, die solche Zahlungen abwickeln konnten: Crowdfundingprojekte wenden sich oft an eine internationale Kundschaft, und das Geld wird erst eingezogen, wenn klar ist, dass das Projekt den nötigen Gesamtbetrag gesammelt hat. Mit Banken oder Kreditkartenunternehmen ging das nicht direkt, deshalb nutzten die Crowdfundingplattformen dafür in den Anfangsjahren Amazon Payments oder Paypal und später den Bezahldienst Stripe. Die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg von Crowdfunding waren aber die sozialen Netzwerke, in denen sich Nachrichten von neuen Tastatur-Bildbänden schnell, leicht und kostenlos verbreiten lassen. Und die gab es zehn Jahre vorher noch nicht.

Gleichzeitig ist die Welt ein bisschen schlechter geworden, denn Crowdfundingplattformen haben sich schnell als ideales Biotop für dubiose Produkte herausgestellt. Ich vermeide mal den Begriff Betrug, aber viele Menschen, die auf diesem Weg Geld einwerben, sind äußerst optimistisch und glauben, dass sich die technischen Probleme ihres von Drohnen getragenen Reisegepäcks bis zum angekündigten Auslieferungstermin schon irgendwie lösen lassen werden. Deshalb gibt es auf diesen Plattformen auch Stromgeneratoren mit eingebauter Kalter Kernfusion (immerhin neun Kaufinteressierte), praktische Geräte, mit denen man unter Wasser atmen kann, und immer wieder Dinge, die normalerweise Batterien brauchen, diesmal aber nicht. Das kommt so häufig vor, dass schon 2012 bei Reddit die Unterabteilung „shittykickstarters“ zur Dokumentation der ganzen Wunderwerke entstand.

Zwischen den realistischen Projekten und der Abteilung für Perpetua Mobilia und Magie liegt ein großer Bereich, für den vor der Entstehung von Crowdfundingplattformen vor allem der Versandkatalog „Die moderne Hausfrau“ zuständig war: Hundewaschmaschinen! Eine schnurrende Zahnbürste für Katzen! Das Faltboot für die Jackentasche! Wenn man das gecrowdfundete Produkt Jahre später zugeschickt bekommt, stellt sich heraus, dass es billiger Plastikmist ist, von Hund und Katze abgelehnt wird und gar nicht in die Jackentasche passt. Aber das war bei Klopstocks „Gelehrtenrepublik“ auch schon so. Goethe, der selbst zu den Subskribenten gehörte, schrieb: “... indem jedermann ein vollkommen brauchbares Werk erwartete, erhielten die meisten ein solches, dem sie auch nicht den mindesten Geschmack abgewinnen konnten. (...) Die junge schöne Welt verschmerzte den Verlust und verschenkte nun scherzend die teuer erworbenen Exemplare.“

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