1. Startseite
  2. Kultur

Update: Ich find’s doof

Erstellt:

Von: Kathrin Passig

Kommentare

Propheten, Hohepriester, Päpste, Gurus und Vorbeter predigen die Vorteile des Neuen
Propheten, Hohepriester, Päpste, Gurus und Vorbeter predigen die Vorteile des Neuen. © PantherMedia/Andrew Lozovyi

Viele Texte über neue Technologien sind voll mit religiösen Metaphern. Die Kolumne „Update“.

Propheten, Hohepriester, Päpste, Gurus und Vorbeter predigen die Vorteile des Neuen, die Gläubigen und Jünger jubeln, die Geräte sind Kultobjekte, die Unternehmen Heilsbringer. Alle gemeinsam pilgern ins Gelobte Land und nach Mekka, also ins Silicon Valley oder, als das noch ging, nach Hannover auf die Cebit-Messe.

Seit dem Ende der Cebit im Jahr 2018 ist der Mekkaposten frei geworden: „Chemnitz wird zum Mekka der intelligenten Datenanalyse“, Berlin ist nach wie vor „ein Mekka für die Start-up-Szene“, „Wiesbaden soll Mekka für Nachhaltige Gründer werden“, „Augsburg macht sich immer mehr einen Namen als ‚Mekka‘ für künstliche Intelligenz“ und „Die Schweiz wird zum Mekka des Metaverse“. Die vom Geist der neuen Technologie Beseelten haben Visionen, suchen nach dem Heiligen Gral, führen Kreuzzüge, bekehren Ungläubige, und wenn es in Interviews um die Zukunft geht, wird viel orakelt.

Wer so über eine Technologie schreibt, macht sich ein bisschen darüber lustig. Der religiöse Eifer der Beteiligten! Ihre Inbrunst! Das Leuchten in den Augen! Jemanden einen Propheten nennen heißt: Der Autor oder die Autorin des Artikels erkennt in der Gegenwart keine Anzeichen dafür, dass das Angekündigte besonders wahrscheinlich ist. Eine Prophezeiung kann man nur glauben oder nicht, so wie „Wenn der eiserne Hund durch den Vorderwald bellt, fängt der große Krieg an“ oder „Am 21. Dezember 2012 geht die Welt unter“. Die Verwendung religiöser Metaphern sagt, dass es sich um irrationale Vorgänge handelt und keine guten Argumente im Spiel sind. Je enthusiastischer und trunkener die Jünger der neuen Technologie im Artikel auftreten, desto nüchterner und rationaler wirken die Berichtenden.

Wenn man eine Technologie für überzeugend hält, verwendet man statt der religiösen Metaphern wissenschaftliche: Die Zukunft wird nicht prophezeit, sondern simuliert und berechnet. Das Neue beruht auf Grundlagenforschung und Expertise, wird nicht in Mekkas und Gelobten Ländern, sondern in Laboren, Forschungszentren und Universitäten entwickelt, und ist überhaupt schon längst Realität.

Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de
Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de © Norman Posselt

Metaphern, es geht nicht mit ihnen, es geht nicht ohne sie (aber vor allem Letzteres). Bei journalistischen Textgattungen, in denen es als unfein gilt, „Ich“ zu sagen, hat man über die Wahl der Metaphern die Möglichkeit, doch noch die privaten Ansichten im Artikel zu verstecken. Kolumnen sind aber zum Glück Refugien des Ich-Sagens, und ich sage: Der Gebrauch von Religionsmetaphern bei neuen Technologien, die man persönlich nicht überzeugend findet, ist ein bisschen unanständig in mehr als einer Hinsicht.

Zum einen ist es respektlos der Religion gegenüber. Historisch kommt es ein bisschen überraschend, dass Religionsmetaphern mittlerweile so deutlich sagen: Hier passiert etwas, das ich als Berichterstatterin für ausgedacht, irrational und unwahrscheinlich halte. Selbst Metaphern aus dem Bereich der Zauberei sind positiver. Wer eine Technologie beschreibt, bei der etwas wie von Zauberhand passiert, wie Magie wirkt oder eine magische Anziehungskraft ausübt, versucht damit nicht, sich von diesem Zauber zu distanzieren, sondern steht dazu, dass das Beschriebene faszinierend ist. Ich bin aus der Kirche meiner Kindheit aus- und seitdem in keine neue eingetreten. Trotzdem kommt es mir unangemessen vor, Religion als Metaphernsteinbruch für die subtile Diffamierung neuer Technologien zu verwenden. Wer die Technikgebräuche oder -ideen anderer Menschen als Religion beschreibt, beleidigt Technik und Religion zugleich.

Außerdem bringen die religiösen Metaphern es nebenbei mit sich, dass man über eine Welt aus Männern spricht. Ich will niemandem unterstellen, dass das bei der Übertragung religiöser Strukturen auf den Technologiebereich absichtlich geschieht. Versehentlich ist es schon blöd genug.

Das Problem „Menschen finden eine Innovation nicht überzeugend, müssen aber trotzdem Artikel darüber schreiben, in denen sie nicht ‚also ich find’s doof‘ sagen dürfen“ wird nicht in absehbarer Zeit verschwinden. Es gibt aber auch keinen alternativen Metaphernbereich, der die journalistischen Vorteile des Religionsvergleichs (prunkvoll, dramatisch, international, irrational) mit Gleichberechtigung der Geschlechter verbindet. Oder doch, einen gibt es, aber wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der Technologie in Metaphern aus dem Bereich des „Eurovision Song Contest“ beschrieben wird? Vielleicht ist die einfachste Lösung die Genehmigung von Fußnoten im Journalismus, in denen am Ende des Artikels einfach steht: „P.S.: Also ich find’s doof.“

Auch interessant

Kommentare