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Update: Easy Irgendwas

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Von: Kathrin Passig

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Achtung! Steht irgendwo „easy“ ist es eher schwer zu benutzen.
Achtung! Steht irgendwo „easy“ ist es eher schwer zu benutzen. © Panthermedia/Illustration: Judith Kohl

Stiglers Gesetz besagt, dass wissenschaftliche Entdeckungen oft nach Menschen benannt sind, die die Entdeckung nicht (oder jedenfalls nicht als Erste) gemacht haben. Passenderweise wurde das Gesetz nicht von seinem Namensgeber zum ersten Mal beschrieben, sondern von Robert Merton. Die Kolumne „Update“.

Ein ähnliches, bisher meines Wissens noch namenloses Gesetz scheint es bei der Benennung neuer Dinge zu geben: Bei einem „Kulturpark“ kann man ziemlich sicher sein, dass er wenig Kultur und ganz bestimmt keinen Park enthält. Wahrscheinlich handelt es sich um Betongebäude mit Verwaltungsbüros drin. Beim „Technologiepark“ genauso, nur mit mittelständischen Schraubenfabriken. Und wenn eine Neubausiedlung „Birkenwiese“ heißt, bedeutet das, dass hier jetzt keine Birkenwiese mehr ist, sondern eine Neubausiedlung.

Im Technikbereich kann man sich darauf verlassen, dass Produkte, deren Name das Wort EASY enthält, schwieriger zu benutzen sind als alle anderen. Als ich das letzte Mal ein „Seniorenhandy“ in der Hand hatte, wünschte sich dessen Besitzerin etwas ganz Einfaches: Das Gerät solle nicht ständig laut piepsen. Bei einem normal komplizierten Smartphone eine Sache von ein paar Sekunden. Das Seniorenhandy ist „besonders leicht zu bedienen“. Das heißt, man muss jeden Piepstonanlass einzeln abschalten und die Einstellung dann noch einmal separat speichern, sonst zeigt das Handy sie zwar an, vergisst sie aber wieder.

Die Steuerung erfolgt, wie bei Nicht-Touchscreens üblich, über zwei Tasten. Aber nicht über die Tasten an der Unterkante des Bildschirms, wie es in der Zeit vor dem Smartphone üblich war. Das wäre zu einfach. Es sind zwei Tasten, die ganz woanders liegen. Ich brauchte für die Abstellung der Töne 20 Minuten, in denen ich 30 Mal versehentlich die als Kurzwahl eingestellte Festnetznummer anrief.

Das müsste nicht so sein. Anderswo haben wir ja auch gesetzliche Vorgaben zur Benennung neuer Dinge. Ich kann nicht einfach ein Zuckerwasser auf den Markt bringen, dem ich mal ein Foto einer Maracuja gezeigt habe, und es „Maracujasaft“ nennen. Saft muss 100 Prozent Fruchtgehalt haben. Wenn „Nektar“ auf der Flasche steht, muss der Fruchtsaftgehalt je nach Geschmacksrichtung 25 bis 50 Prozent betragen. Ein „Fruchtsaftgetränk“ ist Zuckerwasser mit 6 bis 30 Prozent Saftanteil. So steht es in der „Verordnung über Fruchtsaft, Fruchtnektar, koffeinhaltige Erfrischungsgetränke und Kräuter- und Früchtetee für Säuglinge und Kleinkinder (FrSaftErfrischGetrTeeV)“.

Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de
Hier schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de © privat

Man könnte zum Beispiel festlegen, dass ein Technologiepark mindestens 50 Prozent Park enthalten muss. Wenn es sich nur um eine Ansammlung von Beton mit einer handtuchgroßen Wiese in der Mitte handelt, müssen die Zuständigen einen anderen schönen Begriff aus der Natur finden, zum Beispiel Technologie-Felsenmeer. Und wenn die darin angesiedelte Technologie nicht mindestens 70 Prozent futuristisches Wunschdenken enthält, sondern Schrauben, ist es ein Industriegebiet. Oder eine Bürosiedlung.

EASY dürfte nur auf Produkten stehen, die von 99 Prozent eines gemischten Testpersonenpanels innerhalb von 5 Minuten vollständig verstanden werden. Wenn die Hälfte der Testpersonen dafür mehr als eine Stunde braucht, handelt es sich um ein SPEZIAL-Gerät, und wenn 30-Jährige mit Hochschulabschlüssen aus technischen Berufen nach einem Jahr immer noch in der Anleitung nachsehen, muss RATESPIEL-Gerät auf der Verpackung stehen.

Bis zur Einführung einer Verordnung gegen irreführende Benennungen von allem (IrrBenAllV) ist es also am besten, keine Geräte zu kaufen, die besonders einfache Benutzbarkeit versprechen. Und zwar insbesondere dann nicht, wenn diese Geräte von Menschen benutzt werden sollen, die auf diese Einfachheit angewiesen sind, weil sie zum Beispiel vergesslich sind oder nicht so gut sehen. Das einfachste Gerät ist das, das von den meisten Menschen verwendet wird. Je größer die Zielgruppe, desto wahrscheinlicher ist es, dass Beschwerden über verwirrende Elemente in ausreichender Menge ins Internet geschrieben werden.

Leider bedeutet eine große Menge von Beschwerden noch lange nicht, dass ein Unternehmen deshalb umdenkt, Usability-Forschung in Auftrag gibt und die Ergebnisse dieser Forschung vielleicht sogar ins Produkt einfließen lässt. Schon deshalb wäre die IrrBenAllV ein Schritt zur Weltverbesserung. Zusatzvorteil: Wenn eine Straße danach Schillerstraße heißt, dann schillert sie auch wirklich.

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