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Unter den Axeln

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Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Sektkelchen werfen: Auftrieb bei der Eröffnung der Axel-Springer-Passage in Berlin.
Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Sektkelchen werfen: Auftrieb bei der Eröffnung der Axel-Springer-Passage in Berlin. © ddp

Arbeiten und Flanieren zwischen Seidenschals und Sonnenbänken: Ein Besuch in der neuen Axel-Springer-Passage in Berlin

Von OLIVER GEHRS

Für den Journalismus ist ja das richtige Leben nicht abträglich, und dennoch streben die großen Verlage immer wieder danach, sich Paralleluniversen zu schaffen, in denen ihre Angestellten von äußeren Einflüssen möglichst unberührt vor sich hin bosseln können. Die Gruner+Jahr-Welt am Hamburger Baumwall ist so ein Fall: Dort sitzen sie zu Tausenden in der Kantine, entscheiden sich täglich auf's Neue zwischen Gegrilltem und einem Gericht aus der Brigitte-Diät und üben beim Nachtisch soziale Kontrolle aus: Wer darf heute beim Stern-Chef sitzen und wie mache ich den neuen Zeitschriftenvorstand auf mich aufmerksam? Das sind so die Fragen.

Nach Feierabend muss niemand nach Hause, sondern kann sich in etlichen Betriebssportgruppen für den nächsten Kantinen-Tag fit machen. Dasselbe gilt auch für den Verlag Milchstraße, bei dem durch die Errichtung des hauseigenen Fit-for-fun-Restaurants und eines Sportclubs Arbeitszeit und Feierabend quasi eins geworden sind.

Auch die Axel-Springer-Passage in Berlin, die soeben von Helmut Kohl, Verlegerwitwe Friede Springer und dem von ihr offenbar als Axel-Springer-Reinkarnation geschätzten Vorstandsvorsitzenden Matthias Döpfner mittels Banddurchschneiden eröffnet wurde, ist so eine Biosphärenreservat für Journalisten, in dem sich ausgestorben geglaubte Unterarten dieser Spezies tummeln. Im "Deli-News-Café" etwa, in dem asiatisch schlichte Innenarchitektur in Form von kubistisch anmutenden Hochhockern mit abendländischer Pasta kombiniert werden. Dort sieht man junge Journalisten in der traditionellen Kluft, die schon der Gründer spazierentrug: dunkelblauer Blazer mit Gold- oder Silberknöpfen, kombiniert mit Jeans und einer Frisur, wie sie auch von Bild-Chef Kai Diekmann und Springer-Enkel Aggi geschätzt wird - stramme Gel-Kappe mit lockerem Nacken-Gekräusel. Ansonsten gibt es im Café "Deli News" noch so gut wie keine Kunden, dafür aber gleich vier Köche mit Kochmütze zu bestaunen, die gemeinsam Nudeln mit Tomatensugo zubereiten.

Gegenüber in der "Mittel-Bar" trifft man dann auf den Typen, die dem Verleger in einem späteren Stadium gleichen: An der schwarz-granitenen Theke stehen sie und sehen so aus, als hätten sie im Verlag mal was zu sagen gehabt: Ihr Getränk ist Weißwein, ihr bevorzugtes Accessoire der Seidenschal, ihr Kopf edel ergraut. Man ist also auch hier unter Axeln. In den schwarzen Ledersesseln gegenüber sitzen derweil Berliner Rentnerinnen und rätseln bei einem frisch gezapften Bier darüber, was es mit dieser Passage auf sich hat, mal abgesehen, dass der stramm in der Hauptstadt expandierende Verlag neue Büros braucht - aber das findet ja in den oberen Stockwerken statt.

In der "Mittel-Bar" darf sich auch der konzernfremde Gast ganz wie der Verleger fühlen: Am teuersten kommt ihn nämlich das Welt-Frühstück zu stehen. Dafür erhält er ein Glas Prosecco, Räucherlachs mit Meerrettich und Krabben mit Rührei. Zieht man von den 14,50 Euro die zwei Euro ab, die man spart, wenn man die überall kostenlos herumliegenden Zeitungen Bild, B.Z. und Morgenpost einsteckt, macht man aber einen guten Schnitt und weiß, wie die Quersubventionierung im Haus funktioniert. Wer es morgens nicht ganz so opulent mag, kann auch das Sport-Bild-Frühstück mit O-Saft und Joghurt bestellen (11,50 Euro).

Es wird nicht nur an den Preisen liegen, dass es die "Mittel-Bar" schwer haben wird, und auch nicht an den verschmutzen Aquarien, die inmitten des Theken-Gevierts thronen (nur kleine Fische), sondern vor allem daran, dass über der an einen Ferienclub gemahnenden gastronomischen Vielfalt im Erdgeschoss der Passage die riesige Kantine schwebt, zu der es die gemächlich und stets mit einem wohlmeinenden "Mahlzeit" auf den Lippen herummäandernden Journalistengrüppchen wie magisch hinzieht. Denn dort ist es billiger, man ist noch ein wenig mehr unter sich und kann auf andere hinabschauen, was ja ab und an ganz gut tut.

Da auf eine gesunde Bräune im Hause Springer schon immer wert gelegt wurde, und man sie sich in Berlin nicht Springer-typisch beim Mittagspausen-Segeln auf der Außenalster holen kann, hat sich in der Passage die Sun-City breit gemacht - ein Bräunungscenter, das für "hellhäutige Europäer" bis zum "mittelmeerischen Typ" diverse Sonnenbänke anbietet - und zwar in solcher Zahl, dass es selbst zu den Stoßzeiten nach Redaktionsschluss kaum Verzögerungen geben dürfte.

Für die besser verdienenden Führungskräfte, von denen es im Verlag reichlich gibt, schließlich kennt die Firmenhierarchie neben den Stellvertretern des Chefredakteurs auch noch die stellvertretenden Chefredakteure, empfiehlt sich das Top-Modell "800 Excellence UTP Extreme" mit "Turbo Power Lamps", "Face Pigment Tuning" und "Aromas Breeze". Nicht billig, aber dafür sieht die futuristisch gestaltete Liege so aus, als könnte man sich damit schnurstracks in die nächsthöhere Gehaltsklasse beamen.

Auch die Ärzte, die sich in den oberen Etagen niedergelassen haben, scheinen um die besonderen Schwachstellen der Journalisten zu wissen: So gibt es neben einem Spezialisten für Bronchialheilkunde auch einen Augenarzt und einen Chiropraktiker, der die verbogenen Schreibkräfte wieder einrenkt und dafür sorgt, dass die gläserne Bild-Redaktion schon bald kerzengerade am Tisch sitzt, wenn endlich der Devotionalien-Bild-Shop öffnet, in dem man dann beim Ausdenken der Schlagzeilen zugucken kann.

Seltsamerweise ist das - sich durch seine Glasfassade eigentlich transparent gebende - Haus im Inneren eigenartig hermetisch. Im lang gezogenen , überdachten Patio, der mit seiner groben Pflasterung auf echtes Trottoir macht, herrscht die überdachte Tristesse einer x-beliebigen Shopping-Mall. In diesem Fall mit der Verschärfung, dass rund zwei Drittel der Ladenlokale, in die man sich flüchten könnte, leer stehen und man am Ende der Passage zur Umkehr gezwungen wird, weil es hier nur für Angestellte des Hause weitergeht und eine Sicherheitsschleuse wie am Flughafen den Weg versperrt. Man ist halt doch am liebsten unter sich.

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