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Umdeutung der Geschichte

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Von: Norbert Mappes-Niediek

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Ein "Denkmal für die gehenkten Patrioten", die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen hingerichtet wurden.
Ein "Denkmal für die gehenkten Patrioten", die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen hingerichtet wurden. © REUTERS

Das hitzige Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in Ex-Jugoslawien: Mit der Wehrmacht kompromittierten sich auch alle Verbündeten, aber wer zählt dazu?

Anderswo in Europa wird der Befreiung und des Kriegsendes mit ein- und abgeschliffenen Reden, mit Feiern und Paraden gedacht. Im früheren Jugoslawien dagegen sind es feinst abgezirkelte Worte und Gesten. Unter maximalem Misstrauen der kroatischen Öffentlichkeit begab sich letzten Donnerstag die neue Staatspräsidentin Kolinda Grabar Kitarovic nach Kärnten, legte an einem Mahnmal für die „kroatischen Opfer der Bleiburger Tragödie im Mai 1945“ still Blumen nieder und zündete eine Kerze an. Ihr Büro verbreitete eine gewundene Erklärung, nach der das Kriegsende und der Sieg über den Nazismus „eines der tragischsten Kapitel der kroatischen Geschichte“ bezeichneten.

Der Zufall wollte es, dass am gleichen Donnerstag ein Gericht in Belgrad posthum das Todesurteil gegen Dra?a Mihajlovic aufhob, den Anführer der serbischen Tschetniks, die im Zweiten Weltkrieg erst Widerstand gegen die deutschen Besatzer geleistet, dann aber gemeinsam mit ihnen gegen die kommunistischen Partisanen gekämpft hatten. Für die Präsidentin in Zagreb bot sich mit dem Belgrader Richterspruch also Gelegenheit, ihre antifaschistische Seite hervorzukehren – wenigstens da, wo es um die Serben ging: Sie sei „unangenehm überrascht“, sagte Grabar Kitarovic, „und als Präsidentin Kroatiens muss ich jeden Versuch des historischen Revisionismus entschieden verdammen“.

Überall im früheren Jugoslawien, von Slowenien bis ins Kosovo und nach Mazedonien, teilt die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg die Bevölkerung in zwei Lager. In Kroatien haben sie zwei Erinnerungsorte: das KZ Jasenovac in Slawonien und Bleiburg in Kärnten, wo die Briten im Mai 1945 geflüchtete NS-Kollaborateure an die Partisanen übergaben. „Die unterschiedliche Erinnerung trennt Dörfer, Familien, Freundeskreise“, sagt der Balkanexperte Du?an Reljic. Während der Auflösungserscheinungen in den 90er Jahren war die Trennlinie von den nationalen Gegensätzen überlagert. Nun tritt sie wieder ans Licht.

Die Rolle der Partisanen

Die klassische Geschichtserzählung, wie sie in der Tito-Ära gepflegt wurde und heute in ganz Europa akzeptiert ist, hebt die Rolle der Partisanen als eines wichtigen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition hervor. Umgekehrt kompromittierten sich mit der Wehrmacht, die auf dem Balkan die Deportation und Vernichtung der Juden verantwortete, auch alle ihre jugoslawischen Verbündeten: die Tschetniks ebenso wie die slowenischen Heimwehrleute, besonders aber die kroatische Ustascha, die in Groß-Kroatien ein Terrorregime etablierte, das in seinem Rassismus und Vernichtungswahn dem deutschen nacheiferte.

Schon seit den 80er Jahren hat die klassische Heldengeschichte Korrekturen erfahren. Noch zu jugoslawischer Zeit erhob eine serbisch-kroatische Historikerkommission die Zahl von 85 000 Kollaborateuren und deren Angehörigen, die nach dem Krieg von Partisanen umgebracht wurden. Die Nachkriegsmorde werden heute überall als Verbrechen benannt. Am großen Bedauern aber fehlte es; trotz der Gräuel blieben die Partisanen die moralischen Sieger der Geschichte.

Neben der klassischen, „jugoslawischen“ Geschichtserzählung wurde die ganze Nachkriegszeit über in den Familien, in den Kirchen und vor allem in der Emigration aller beteiligten Nationen eine zweite, „nationale“ kultiviert. Danach war der Zweite Weltkrieg in Jugoslawien ein Bürgerkrieg gegen den Kommunismus und zwischen den Nationalitäten, der von den Deutschen nur ausgelöst wurde. Die Kollaboration mit den Besatzern wird darin kleingeredet. In Serbien sehen sich manche Erben der Tschetniks lieber als potenzielle Verbündete der Amerikaner.

Alle Nachfolgestaaten Jugoslawiens übernahmen nach 1991 die klassische Geschichtserzählung, wenn auch in nationaler Tönung, und beziehen sich positiv auf die Partisanentradition. Gleichzeitig gewann aber die alternative, „nationale“ Erzählung mit der Eigenstaatlichkeit und der Rückkehr der politischen Emigranten überall stark an Boden. Kroatiens Staatsgründer Franjo Tudjman, der selbst Partisan war, schwebte eine nachträgliche „Versöhnung“ beider Lager vor. Einen ganz ähnlichen Ansatz wie seinerzeit Tudjman verfolgt heute die regierende serbische Fortschrittspartei in Belgrad. „Sie will sich damit als die eigentliche serbische Nationalpartei profilieren“, sagt Reljic.

Neben der offiziellen Gedenktradition und gegen sie hat sich in Kroatien in den letzten drei, vier Jahren eine „Banalisierung“ und „popkulturelle Rehabilitierung“ der Ustascha breitgemacht, sagt der Politologe Dario Brentin, und sei „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. Die Münchner Südosteuropa-Historikerin Marie-Janine Calic erkennt in den tastenden Schritten der neuen Präsidentin auch wieder aktuelle, politische Motive für neuen Revisionismus: Die Partisanentradition müsse, als Gründungsmythos des sozialistischen Jugoslawien, „delegitimiert“ werden – gegen die Serben, die Linken, die „geistigen Jugoslawen“, von denen radikale Veteranenverbände sprechen.

Die Umdeutung der Kriegsgeschichte

Am weitesten gediehen ist die Umdeutung der Kriegsgeschichte in Slowenien. „Es geht den Negationisten hier schon gar nicht mehr um Versöhnung“, sagt der Historiker Oto Luthar. Ein Angebot der Regierung vom vorigen Jahr, eine gemeinsame Gedenkstätte für die Opfer beider Seiten einzurichten, stieß rechts auf Abwehr. Selbst für die Geisel-Erschießungen der Wehrmacht würden die Partisanen verantwortlich gemacht: Hätten sie nicht gegen die Deutschen gekämpft, hätten diese auch keine Geiseln erschossen.

Vor allem auf kirchlichen Friedhöfen, aber auch in rechts regierten Gemeinden stehen inzwischen etwa 240 Ehrenmale für getötete „Domobranzen“. Spiritus Rector des slowenischen Revisionismus ist der Museumsdirektor Joze De?man, der als fanatischer Kommunist begann und heute mit dem gleichen Eifer gegen die Partisanentradition zu Felde zieht.

Ein Faschist ist der Geschichtspolitiker De?man nicht, im Unterschied zu den Ustascha-Apologeten in Kroatien rund um die rechten Kleinparteien, die den Gruß „Za dom spremni“, das kroatische „Sieg Heil!“, rehabilitiert sehen wollen. In De?mans Geschichtsdarstellung hätten die slowenischen Domobranzen im Grunde viel lieber als mit den Deutschen mit den Westalliierten paktiert – wären diese nicht so naiv gewesen, ihr Herz an die kommunistischen Partisanen zu hängen.

Die Geschichtswissenschaft will da nicht recht mit. Ein erstes Angebot der Nationalslowenen, künftig mit Briten und Amerikanern gegen die Deutschen zu kämpfen, datiert erst vom 5. Mai 1945 – volle sechs Wochen nachdem selbst Heinrich Himmler versucht hatte, mit seiner SS auf die Seite der Westalliierten zu wechseln. „Ein Historikerstreit“, sagt Oto Luthar, „ist das keiner.“

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