Zum Tod von Nadja Tiller: Die nahbare Diva mit dem Eigensinn

Zum Tod der Schauspielerin Nadja Tiller, die 93 Jahre alt geworden ist.
Wenn Sie demnächst mit Spannung in dies Theater gehen“, so erklang es 1958 in einem Trailer zum Film „Das Mädchen Rosemarie“, „werden Sie die Blüten des deutschen Wirtschaftswunders sehen.“ Und wenig später erhielt Nadja Tiller dazu in der Rolle der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt die Mahnung: „Provoziere nicht die Gesellschaft, Du bist ihr Produkt.“
Auch wenn der Film nur bedingt etwas mit einem der ersten handfesten Polit-Skandale der jungen Bundesrepublik und dem umstrittenen Mordfall Nitribitt zu tun hat, dessen Spuren in die gehobenen Kreise führten, wurde er als gesellschaftskritisches Drama schnell zum Erfolg. Das hatte einiges mit dem Stoff, sehr viel mehr aber wohl mit dem Auftreten der zuvor in Heimatfilmen und Komödien reüssierenden Nadja Tiller zu tun, die nun von der internationalen Filmszene als Stilikone des deutschen Wirtschaftswunders angesehen wurde.
Gespür für den Zeitgeist
Schnoddriger Wortwitz und trotziger Eigensinn waren Eigenschaften, für die in deutschen Filmen bis dahin kein Platz war. Nadja Tiller nutzte die Chance, Charme und Verführungskraft mit großem Gespür für den Zeitgeist zu verbinden. „Blond, schlank, sachlich“, so formuliert ein Freier im Film seine Ansprüche an die Escort-Dame. Für Nadja Tiller waren es Attribute, die sie in Dutzenden Filmen zur Charakterdarstellerin machten.
Ein Jahr nach der Rolle der Nitribitt spielte Nadja Tiller unter Regie von Robert Siodmak in dem britischen Drama „Das Bittere und das Süße“, für das kein Geringerer als Ken Adam, der Gestalter der James-Bond-Filme, die Ausstattung besorgt hatte. Es folgten Rollen neben internationalen Stars wie Jean Gabin, Robert Mitchum, Michael Caine und Nino Manfredi.
Die 1929 als Tochter zweier Schauspieler in Wien geborene Nadja Tiller hatte von 1945 an das legendäre Max-Reinhardt-Seminar besucht und ihre Ausbildung schließlich an der Wiener Musik- und Schauspielakademie fortgesetzt. Mit zwanzig war sie festes Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt, aber bald lockte der Film.
Bei einer dieser Arbeiten lernte sie Anfang der fünfziger Jahre den Schauspieler Walter Giller kennen, 1956 heirateten die beiden. Ihre beinahe gleichlautenden Namen wurden zur Marke, und in der Biedersinn nicht abgeneigten Glamourwelt der sechziger Jahre galten sie als Traumpaar des Films, das diese Rollenzuschreibung auf beeindruckende Weise bis ins hohe Alter mit viel Witz und der Begabung zur Selbstreflektion ausübte.
Eine große Portion Selbstironie dürfte auch im Spiel gewesen sein, als Nadja Tiller nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2010 ein Angebot des Punkmusikers und Theatermannes Schorsch Kamerun annahm, um in dem Stück „Vor uns die Sintflut“ die Rolle der „größten Diva aller Zeiten“ zu spielen.
Nun ist die nahbare Diva Nadja Tiller im Alter von 93 Jahren in Hamburg gestorben.