Cynthia Bonsant versucht nach zwei Jahren, in denen sie ihren todkranken Ehemann pflegte, den Wiedereinstieg in ihren Beruf. Inzwischen hat sich viel getan. „Du unterscheidest zwischen Web und wirklicher Welt?“, spottet Chefredakteur Tony Brenner (Axel Stein). „Wow. Das tut mir leid.“ Und lachen muss er, weil Cynthia ihre Bewerbungsunterlagen als Ausdruck vorlegt.
Zero“ (ARD), Mittwoch 03.11.2021 | |
Rolle | Darsteller:in |
Cynthia | Heike Makatsch |
Viola Bonsant | Luise Emilie Tschersich |
Philipp Bonsant | Fabian Joest Passamonte |
Geoff Pesceur | Matthias Weidenhöfer |
Tony Brenner | Axel Stein |
Janine | Meriel Hinsching |
Carl Montik | Sabin Tambrea |
Zero | Pit Bukowski |
Arg anachronistisch, diese ehemalige Star-Journalistin. Vielleicht hätte er sie postwendend nach Hause geschickt, wäre nicht während ihres Gesprächs ein Drohnenangriff auf den Fahrzeugkonvoi von Innen- und Kanzleramtsminister verübt und direkt auf die Redaktionsbildschirme übertragen worden. Die Verantwortung für die Aktion übernimmt eine Gruppe namens Zero, die sich dem Kampf gegen die „Datenkraken“ verschrieben hat. Cynthia bekommt ihren ersten Auftrag: eine Hintergrundstory über Zero.
Freemee hat noch ein anderes innovatives Produkt auf den Markt gebracht. Eine App gibt ihren Benutzern Verhaltensmaßregeln, die auf den ersten Blick die Sozialverträglichkeit verbessern. Wer artig den Empfehlungen der Computerstimme folgt, erhält Smartpunkte als Belohnung. Kaum noch futuristisch, Ähnliches kennen wir aus China.
Freemee gibt Geräte und App teilweise sogar kostenlos ab. Doch hinter dem zur Schau gestellten Altruismus stecken ganz andere Interessen. Die Zero-Aktivisten sind dem Geheimnis auf der Spur. Gewisse Vorfälle haben auch Cynthias Misstrauen geweckt. Ihre Recherchen nehmen eine neue Richtung, und die ist nicht ungefährlich. Bald kommt es zu ersten Todesfällen.
Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, wenn TV-Filme wie „Zero“ (ARD) oder auch TV-Serien aktuelle Themen aufgreifen und zeitkritisch Stellung beziehen, statt, wie so viele Produktionen kommerzieller Programm- und Streaminganbieter, mit Fantasie-, Horror- und Thrillerproduktionen Positionierungen und Verbindlichkeit zu vermeiden. Zwar ist die gegenüber der Vorlage stark verdichtete Romanadaption „Zero“ thematisch faszinierend geraten, in der handwerklichen Umsetzung aber wenig überzeugend.
Denn immer wieder wird der Erzählfluss von „Zero“ in der ARD durch irritierende Missgriffe gestört. Nicht sehr glaubwürdig zum Beispiel, dass sich die technophile, modebewusste Schülerclique um Cynthias siebzehnjährige Tochter Viola (Luise Emilie Tschersich) regelmäßig auf einer tristen Vorstadtbrache trifft.
Schauplatz des Geschehens ist ein verhässlichtes, trostloses und nahezu menschenleeres Berlin, wobei der offensichtliche Niedergang des öffentlichen Lebens keine Erklärung findet. Wenn aber die Dramaturgie der Geschichte Passanten nötig macht, sind die natürlich, der Regieassistenz sei Dank, prompt zur Stelle.
Gelebt und gearbeitet wird in karg möblierten, kalten Räumlichkeiten, die völlig im Widerspruch stehen zu den Konsumanreizen der inkriminierten Konzerne. Wem verkaufen die ihre Waren, die offenbar niemand haben will, nicht einmal die betuchten Kreise?
Regelrecht albern wird es, wenn Cynthias Journalistenkollege an der Wand stehend mit dem Netbook auf dem Arm einhändig tippend seiner Arbeit nachgeht. Eine tolle Leistung, sollte er das einen ganzen Arbeitstag lang durchhalten. Und ein ganz auf sein Smartphone fixierter Jugendlicher soll nicht merken, dass ihm das Ding aus der Hand fällt?
„Zero“, Mittwoch, 3.11.2021, um 20:15 Uhr im Ersten und bereits in der ARD-Mediathek.
Auf diese Weise gerät die Geschichte immer wieder ins Holpern und Stolpern, läuft nicht rund, wird kenntlich als arrangiertes Schauspiel. Vielleicht hatte Regisseur Jochen Alexander Freydank, der einen Kurzfilm-Oscar sein eigen nennt, genau dies, der Brecht’schen Idee der Illusionszertrümmerung folgend, im Sinn. Aber dann fehlt es an der nötigen Konsequenz, seine Inszenierung mäandert halbherzig zwischen den Konzepten.
Gar nicht im Sinne Brechts wäre wohl die Produktwerbung gewesen, die man in dieser auffälligen Form eher von Streaming-Diensten wie Netflix kennt. (Harald Keller)