Boris Palmer über Flucht und Asyl bei Markus Lanz: Alles ist zu deutsch hier

Auch am Donnerstag (16. Februar) ging es bei Markus Lanz (ZDF) um das Thema Integrationspolitik. Die kritischste Position nahm Boris Palmer ein.
Hamburg – Seit 1949 wurden nicht mehr so viele Menschen in Deutschland aufgenommen wie im vergangenen Jahr. In der Politik wird gerne über das „moderne Einwanderungsrecht“ gesprochen, aber nur ungern über dessen „Schattenseiten“, findet Markus Lanz. Deshalb diskutiert er mit Boris Palmer (parteiloser Oberbürgermeister in Tübingen), Güner Balci (Integrationsbeauftragte in Berlin-Neukölln), Ralf Stegner (SPD-Politiker) sowie Gerald Knaus (Soziologe) im ZDF erneut über die deutsche Asyl- und Einwanderungspolitik.
Integrationspolitik bei Markus Lanz im ZDF: Wie viel Zuwanderung verträgt eine Gesellschaft?
Die Zahl der Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien steigt stetig. Schon jetzt ist es dort die schlimmste Naturkatastrophe der letzten 100 Jahre, führt Gerald Knaus bei Markus Lanz (ZDF) aus. Viele Gastarbeiter sind damals aus den jetzt betroffenen Regionen nach Deutschland gekommen und natürlich möchten diese jetzt ihren Verwandten und Freunden dort helfen – und es soll auch geholfen werden, „wenn humanitäre Hilfe geboten ist.“ Manche in Deutschland sehen „immer nur den Erdogan, den hier niemand leiden kann“, erklärt Ralf Stegner, aber die Türkei kümmert sich um die Flüchtlinge, sodass die Probleme in der EU nicht noch größer werden.
Das sollte auch die EU zu schätzen wissen und viel mehr finanzielle Hilfe senden, findet er. Worauf ihm Güner Balci vehement widerspricht, denn es gibt nach wie vor in der Türkei viele dokumentierte Fälle von Menschenrechtsverletzungen. Da sollte auch jetzt nichts idealisiert oder gar „schöngeredet“ werden.
Integrationspolitik bei Markus Lanz (ZDF): Wo sind die Grenzen der Hilfsleistungen?
Kommt es zu einer „inneren Überdehnung“, wenn jetzt schon wieder neue Menschen in Deutschland aufgenommen werden, fragt Markus Lanz. Darüber zu reden und Maßnahmen auf dem Papier zu beschließen ist das eine, die ganzen Strukturen tatsächlich auch umzusetzen das andere. Boris Palmer sieht da wesentliche Probleme in der Organisation: Alles ist zu deutsch, kompliziert und bürokratisch. Wo und wie sollen die Menschen langfristig untergebracht werden? Kinderbetreuung fehlt essenziell, genau wie Integrationskurse. Die deutsche Ausländer-Bürokratie sieht er komplett überfordert, allein schon die vielen Anträge überhaupt zu beantworten.
Zwar entstehen „in der größten Not“ auch „die größten Ideen“, aber dann „scheitert man an der Verwaltung“, stimmt Güner Balci ihm zu. Das verhindert innovative Entwicklungen, die schnell benötigt werden: Es ist in Deutschland unmöglich, flexibel zu sein und es sind die Bürokratien, die „in Notsituationen nichts taugen“, formuliert es Ralf Stegner. Auch wenn „die Gegner von schnellen Maßnahmen“ in Deutschland nicht „die Qualität-Standards auf Dauer ändern“ wollen, sollten die Menschen, die hier arbeiten wollen, auch arbeiten dürfen, findet der SPD-Politiker bei Markus Lanz.
Doch „nicht jeder kommt als protestantischer Workaholic auf die Welt“, witzelt Boris Palmer. Überall gibt es Menschen, die auch dem „Müßiggang huldigen.“ Er bemängelt, dass alle gerade komisch reagieren, wenn er klar ausspricht, dass in Tübingen 50 Prozent der Geflüchteten keiner Arbeit nachgehen wollen. Doch: „Das ist einfach die Wirklichkeit.“ Da sind alle Menschen „gleich gestrickt“: Menschen, die arbeitsscheu sind, finden sich in allen Kulturen, fügt Güner Balci hinzu. Und da ist es auch „nicht so, dass Menschen, die arbeiten, in diesem Land belohnt werden, wenn sie einen Asyltitel haben“, ergänzt Boris Palmer pragmatisch.
Integrationspolitik bei Markus Lanz im ZDF: Integrationsbeauftragte kritisiert Merz-Aussage
Ralf Stegner ist es „schnurz, welche Nationalität die haben.“ Hauptsache sie arbeiten, erklärt er in etwas unglücklicher Wortwahl, sodass auch Markus Lanz etwas irritiert ist. Menschen sind nicht nur Arbeitsmaterial. Aber der SPD-Politiker will auch nicht „Arbeit vorschreiben, sondern Arbeit ermöglichen“, versucht er die ungute Nähe zum Nationalsozialismus („Arbeit macht frei“) zu umschiffen. Er will nur die „Dinge anders sortieren.“ Seine Frau ist Lehrerin und er findet, da wird im System viel zu oft die Augen zugedrückt, viel hingenommen ohne Konsequenzen und auch Gewalt zu sehr akzeptiert.
Markus Lanz vom 16. Februar | Die Gäste der Sendung |
Ralf Stegner (SPD) | Politiker |
Gerald Knaus | Soziologe |
Güner Balci | Integrationsbeauftragte |
Boris Palmer (Parteilos) | Politiker |
Die, die medial auffallen, sind immer die Extremfälle, versucht Güner Balci zu erklären. Da gibt es durchaus Männer, die mit Lehrerinnen in einer Sprache reden, die sie in der Sendung nicht wiedergeben möchte, aber „der Merz-Satz über die kleinen Paschas“ greift zu kurz und kommt zudem „von oben herab.“ Die „kleinen Paschas“ kann als Formulierung einer bestimmten Einstellung, einer Attitüde gelten, aber die Gesellschaft trägt die soziale Verantwortung dafür mit.
Integrationspolitik bei Markus Lanz (ZDF): Palmer sieht Hilfsbereitschaft zusammenbrechen
Sie sieht in den unterschiedlichen Milieus schon lange getrennte Wirklichkeiten entstehen: Natürlich führt das zu Konflikten, wenn diese Milieus dann aufeinandertreffen. Da muss energisch entgegengesteuert werden, denn solche immer wiederkehrenden negativen Erfahrungen „gefährden die Akzeptanz insgesamt.“
Hier kann sich Deutschland „die vielen Illusionen nicht weiter leisten“, fügt Boris Palmer bei Markus Lanz hinzu. Das System ist so überlastet, dass auch die Hilfsbereitschaft irgendwann zusammenbrechen wird. An einem friedlichen und stimmigen Zusammenleben muss miteinander und nicht gegeneinander gearbeitet werden: Eine „Helfer-Nation verdient Respekt“. Wer diese Hilfe nur für eigene Zwecke ausnutzt oder generell mit Füßen tritt, hat seiner Ansicht nach auch keinen Anspruch darauf, Hilfe zu bekommen. Oder die Gesellschaft wird so bald nicht mehr funktionieren, prophezeit der Unparteiische. (Tina Waldeck)