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Wenn das Schicksal zuschlägt

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ARD-Moderator Günther Jauch.
ARD-Moderator Günther Jauch. © dpa/Archiv

Günther Jauch bespricht am Sonntagabend im Ersten die Konsequenzen von Schicksalsschlägen wie Krankheit und Querschnittslähmung. Dabei schrecken er und seine Redaktion nicht vor einer reißerischen Umsetzung zurück.

Von Michael G. Meyer

Manche Themen kommen in Wellen – und manche Bücher auch.  So war es bei Sarrazin, und beim Gesprächsbuch von Helmut Schmidt und Peer Steinbrück. So ähnlich fühlt es sich derzeit an, wenn Samuel Koch, der Ex-Stuntman und Unfallopfer derzeit sein Buch vorstellt, in dem er seinen Weg zurück ins Leben beschreibt.

Koch war im Dezember 2010 bei Thomas Gottschalk in „Wetten, dass….?“ so unglücklich gestürzt, dass er seitdem vom Hals ab fast völlig gelähmt ist.   In der letzten Woche veröffentlichte die BILD-Zeitung vorab Auszüge aus seinem Buch, heute gibt er in Berlin eine Pressekonferenz und gestern Abend widmete sich Günther Jauch Samuel und seinem Schicksal.

Boulevardeskeste Sendung seit langem

Doch die mediale Überpräsenz war gar nicht das Hauptproblem. Es war die mit Abstand boulevardeskeste Sendung von Jauch seit langem. Man könnte auch sagen die Widerlichste.  Was Jauch da ablieferte war streckenweise der reinste Sozialporno.

STERN-TV lässt grüßen.  Den seit 1966 querschnittsgelähmten ehemaligen Intendanten des MDR Udo Reiter presste  Jauch das Geständnis ab, dass er schon mal überlegt hatte, sich mit einer Pistole das Leben zu nehmen. Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland beichtete, dass er nach dem frühen Leukämie-Tod seiner Tochter schon mal an Gott gezweifelt habe – „ich habe Gott fürchten gelernt“. 

Wie er sich denn gefühlt habe in den Wochen nach dem Unfall , hakte Jauch bei Samuel Koch nach und der antwortete, nein, an Selbstmord habe er nicht wirklich gedacht, aber schon, dass es „im Himmel schöner sein muss als hier“.  Die BILD-Zeitung hätte es kaum anders gefragt. 

Auch wenn Jauch und seine Redaktion offenbar viele, viele Zuschriften bekam im Vorfeld der Sendung und das Thema die Zuschauer ganz sicher bewegt, so ist doch die Frage, ob man ein solches Thema derartig reißerisch umsetzen muss.

Ein Abend zum Fremdschämen

Man war schon froh, dass Jauch nicht auch noch nach den Aspekten Sex und Körperpflege fragte.  Es war ein Abend zum Fremdschämen – und da nützte es auch nichts, dass Philippe Pozzo di Borgo, der am 27. Juni 1993 beim Pargliding abstürzte und sich dabei schwer an der Wirbelsäule verletzte, einen Gruß per Video übermittelte.

Di Borgo war das Vorbild für die die Figur des querschnittsgelähmten Industriellen im Film „Ziemlich beste Freunde“.  Udo Reiter meinte denn auch, der Film sei „Querschnittsgelähmten-Zucker“ und doch recht unrealistisch.  Recht hatte er – wer einen einigermaßen authentischen Film über das Schicksal Querschnittsgelähmter sehen will, dem sei „Renn, wenn Du kannst“ empfohlen.  Ein deutscher Film mit durchaus melancholischer Note. 

Eines steht jedenfalls fest:  Um das Schicksal behinderter Menschen zu verstehen, braucht man eine Sendung nicht: Jene von Günther Jauch vom gestrigen Abend. 

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