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Volker Schlöndorff: „Ich bin absoluter Pazifist, aber nicht im Sinne von Gandhi“

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Von: Philipp Hedemann

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„Der Waldmacher“: Musiker Ablaye Cissoko spielt die Cora und besingt den Vorteil der Bäume (Senegal). Foto: Jean Diouf/Weltkino
„Der Waldmacher“: Musiker Ablaye Cissoko spielt die Cora und besingt den Vorteil der Bäume (Senegal). © Jean Diouf/Weltkino

Als jüngerer Mann, sagt Volker Schlöndorff, hätte er sich vielleicht der Fremdenlegion angeschlossen, um für die Ukraine zu kämpfen. Der Filmemacher über die Geflüchteten in seinem Haus, die Frage, wie man Krieg verhindert - und über seine Afrika-Dokumentation „Der Waldmacher“, der diese Woche in die Kinos kommt.

Hallo, Herr Schlöndorff, mit mir hat gerade eine junge Mutter mit Kinderwagen Ihr Grundstück hier am Griebnitzsee in Potsdam betreten. Erwarten Sie Besuch?

Sie haben eine Mutter aus Charkiw mit ihrem dreijährigen Kind gesehen. Ich habe sie heute Morgen bei mir aufgenommen. Darum ging es hier auch etwas chaotisch zu. Ich musste Bettzeug, Töpfe, Pfannen und so weiter organisieren und ihr alles erklären. Damit war ich heute Vormittag beschäftigt.

Was hat Sie dazu bewogen, Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, aufzunehmen?

Bei mir wohnten seit fünf Jahren Geflüchtete aus Kamerun. Aber da sie mittlerweile drei Kinder haben, wurde die Wohnung zu eng und die Familie ist vor vier Wochen ausgezogen. Und dann kam dieser Flüchtlingsstrom. Für mich war sofort klar: Der Platz ist frei und muss wieder besetzt werden.

Wie lange werden die Frau und ihr Kind bei Ihnen bleiben?

Wahrscheinlich bis der Krieg in der Ukraine beendet ist und es sicher für sie ist, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Sie können bleiben so lange es nötig ist und so lange sie wollen. Das kann alles bedeuten: Von einer Woche bis an mein Lebensende.

Weiß die Frau, wer Sie sind?

Ich glaube nicht. Ich habe sie in einem internationalen Begegnungscafé in Potsdam getroffen, zu dem ich seit vielen Jahren engen Kontakt habe. Ich habe dort mit vielen Leuten gesprochen. Gott sei Dank wissen sie nicht, wer ich bin.

Der Krieg rückt damit an Sie heran. Was bedeutet das für Sie?

Das kann ich noch nicht sagen. Sie sind ja erst vor zwei Stunden eingezogen. Aber wenn ich jünger wäre, würde ich mich vielleicht der Fremdenlegion anschließen, um in der Ukraine zu kämpfen.

Warum?

Weil diese Ungerechtigkeit einfach empörend und schwer zu ertragen ist. Ein Diktator, der auch sein eigenes Volk unterdrückt, muss bekämpft werden. Ich bin in den frühen 60er Jahren während des Algerienkriegs mit meinem Regisseur Louis Malle in Algerien gewesen. Danach habe ich die Unabhängigkeitsbewegung als Kofferträger unterstützt.

So wurden in Frankreich vor allem französische Intellektuelle genannt, die während des Algerienkriegs Aktivitäten der Nationalen Befreiungsfront Algeriens in Frankreich unterstützten.

Richtig. Aber schlussendlich sagt man sich: Vielleicht war das nicht genug! Vielleicht hätte ich mich auch als kleiner aktiver Soldat zur Verfügung stellen sollen.

Klingt nicht gerade pazifistisch...

Ich bin absoluter Pazifist, aber nicht im Sinne von Gandhi. Um Krieg zu verhindern, muss man sich rüsten. Das sehen wir ja gerade wieder. Sollte es der Ukraine gelingen, Putin zumindest bis in den Osten der Ukraine zurückzudrängen oder womöglich sogar ganz, dann ist das doch der beste Beweis, dass man sich bewaffnet verteidigen muss.

Finden Sie es richtig, dass die Bundesregierung beschlossen hat, 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu investieren?

Ja, denn das war lange überfällig. Wir können doch nicht verlangen, dass die Amerikaner das alles für uns machen. Da haben wir uns zu lange in eine zu bequeme Position gegeben. Das hätte ich vor 40 oder 50 Jahren so nicht gesagt, aber schon lange vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine.

Während in der Ukraine Krieg herrscht, feiert Ihr neuer Film Premiere. Ihre erste Kinodokumentation handelt von Tony Rinaudo, einem ehemaligen australischen Missionar, der mit einer von ihm wiederentdeckten Methode in Afrika und der ganzen Welt Bäume wachsen lassen, den Klimawandel bremsen und so Armut bekämpfen möchte. Wie sind Sie auf ihn gestoßen?

Vor zwölf oder 15 Jahren habe ich in einem Flüchtlingslager in Uganda Wolfgang Niedecken, den Sänger der Band BAP, kennengelernt. Er engagierte sich dort mit der Hilfsorganisation World Vision für die Resozialisierung ehemaliger Kindersoldaten. Er sagte mir, dass World Vision eine tolle Organisation sei und dass ich mich da mal melden solle. Das habe ich getan und anschließend Patenschaften für Kinder in Entwicklungsländern übernommen und mich als Botschafter für World Vision engagiert.

Und was hat das mit dem Protagonisten Ihres Filmes zu tun?

Tony Rinaudo arbeitet auch für World Vision. 2018 erhielt er für seine Verdienste den Alternativen Nobelpreis. Auf der Rückreise aus Stockholm hielt er einen Vortrag in Berlin. Den habe ich mir angehört. Ich war sofort begeistert von Tonys Persönlichkeit und seiner Methode, aus alten Wurzeln neues Leben entstehen zu lassen und habe ihm vorgeschlagen, einen Dokumentarfilm über ihn zu machen. Bereits vier oder fünf Wochen später habe ich Tony gefilmt, als er in Mali auf einer Konferenz zur Bekämpfung des Hungers in der Sahelzone seine Methode vorstellte. Für den Film habe ich auch in Indien, Niger, Ghana, Burkina Faso, Äthiopien und im Senegal gefilmt.

Sie sagten einmal über Rinaudo: „Wenn er der Messias ist, dann will ich sein Prophet sein.“ Das ist nicht gerade das, was man kritische Distanz nennt. Ist diese Verehrung eine gute Voraussetzung für einen Dokumentarfilm?

(Lacht). Naja, ich mache ja keinen investigativen Dokumentarfilm. Was ich gemacht habe, ist eher Impressionismus. Es ist ein Film-Essay, weil ich darin so viele verschiedene Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle einbringe. „Der Waldmacher“ ist ein erzählerischer Film, dafür brauche ich überhaupt keine Distanz. Im Gegenteil: Ich war am Anfang vielleicht zu skeptisch, aber Tony hat mir die Skepsis mit seinem Optimismus ausgetrieben.

Der Waldmacher ist sehr religiös und schöpft aus seinem Glauben die Kraft für seine Arbeit. Hat er versucht, Sie während der Dreharbeiten zu missionieren?

Ich weiß nicht genau, ob ich gläubig bin. Religiös bin ich jedenfalls nicht. Trotzdem hat Tony nicht versucht, mich zu missionieren.

Was wollen Sie mit dem Film erreichen?

Ich möchte Tonys Methode bekannter machen. Sein Ansatz hat sich in den letzten Jahrzehnten ganz langsam von Dorf zu Dorf und von Land zu Land ausgebreitet. Wenn der Film dazu beitragen könnte, das zu beschleunigen, wäre das der schönste Lohn.

ZUr Person

Volker Schlöndorff, am 31. März 1939 in Wiesbaden geboren, zog als 16-Jähriger auf eigenen Wunsch nach Frankreich, wo er das Baccalauréat ablegte. Er studierte Jura in Paris, wurde aber Autor, Regisseur und Filmproduzent. Seine Verflmung von Günter Grass’ „Die Blechtrommel“ erhielt 1980 den Oscar als bester ausländischer Film. Weitere wichtige seiner Filme sind etwa „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ (1971), „Die Fälschung“ (1981), „Homo Faber“ (1991), „Der Unhold“ (1996), „Die Stille nach dem Schuss“ (2000) oder „Rückkehr nach Montauk“ (2017).
„Der Waldmacher“ dokumentiert die Arbeit des australischen Agrarwissenschaftlers Tony Rinaudo (65), der als junger Mann in den Niger kommt, um die Ausbreitung der Wüste und das Elend der Bevölkerung zu bekämpfen. Seine Versuche, neue Bäume zu pflanzen scheitern, fast alle Setzlinge gehen ein. Dann bemerkt er unter dem vermeintlich toten Boden ein gewaltiges Wurzelnetzwerk, aus dem er zusammen mit einheimischen Bauern neue Wälder wachsen lässt. 2018 wurde er mit dem alternativen Nobelpreis geehrt. „Der Waldmacher“ kommt am 7. April in die Kinos.

Sie sind selbst oft im Film zu sehen. Warum?

Ursprünglich wollte ich das nicht. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es unvermeidlich ist, dass ich im Film vorkomme. Es geht nicht nur um Tony, sondern auch um meinen Dialog mit Tony und wie ich darauf reagiere. Da darf man keine Scheu haben, sich mit einzubringen. Abgesehen davon, war es auch eine Budgetfrage. Der Film ist mit ganz, ganz geringen Mitteln entstanden. Er hat nur etwas mehr als 400 000 Euro gekostet. Das liegt auch daran, dass ich mit lokalen Kameramännern gearbeitet und selbst die zweite Kamera gemacht habe.

Ein alter weißer Mann macht einen Film über einen anderen alten, weißen Mann, der sich vorgenommen hat, Afrika zu retten. Passt das noch in die Zeit?

Ja, das passt total in die Zeit. Ich finde: Das mit den alten weißen Männern ist solch ein Unsinn!

Warum?

Erstens: Du kannst keinem alten Mann, egal, ob er weiß oder schwarz ist, verbieten, dass er aktiv ist. Das gilt auch für Tony und mich. Zweitens: Afrika braucht noch viele alte weiße Männer. Aber es braucht auch noch viele junge, gelbe, grüne oder blaue Männer und Frauen. Afrika braucht einfach Hilfe. Und wo Hilfe nötig ist, da darf man nicht gucken, welches Alter oder welche Hautfarbe die Helfenden haben. Die Hilfe muss einfach geleistet werden. Ende! Wo Not am Mann ist, darf man nicht mit solchen moralischen Kategorien kommen.

Haben Sie auch mal Hilfe bei alten weißen Männern gesucht?

Natürlich! Als junger Filmemacher habe ich immer wieder den Rat alter Männer gesucht. Fritz Lang, Billy Wilder oder wer auch immer. Meine Ex-Frau Margarete hat deshalb immer gesagt: „Du mit Deinen Väterchen!“ (lacht) Gott sei Dank, gab es diese alten Männer mit Erfahrung.

1980 erhielt Ihre Verfilmung von Grass’ „Blechtrommel“ den Oscar für den besten ausländischen Film. Jetzt haben Sie einen Dokumentarfilm über afrikanische Landwirtschaft gedreht. Fürchten Sie das Urteil der Kritik?

Nein. Ich habe den Film ja nicht aus künstlerischen Gründen gemacht, sondern weil mich die Sache interessiert. Was die Kritik dazu sagt, ist mir ehrlich gesagt egal.

Was tun Sie persönlich für den Klimaschutz?

Ich bin für jede Art von Aktivismus und gehe auch auf Fridays-for-Future- und andere Klimaschutz-Demos. Ich versuche, den Verbrauch von Plastik zu reduzieren. Aber ansonsten mache ich leider genauso so wenig wie alle anderen auch. Wobei: Seitdem ich mit Tony unterwegs war, mache ich vielleicht noch öfter den Lichtschalter aus. Allerdings: Das habe ich eigentlich auch schon vorher getan. Ich bin Nachkriegskind. Sparen macht mir gar nichts aus.

Als Dank für Ihre „Homo Faber“-Verfilmung schenkte Max Frisch Ihnen kurz vor seinem Tod seinen Jaguar 420 Saloon aus dem Jahr 1967. Vor ein paar Wochen haben Sie den Wagen einem Verkehrsmuseum in Luzern geschenkt. War das auch eine Klimaschutzmaßnahme?

(Lacht) Nein! Das habe ich getan, weil ich nicht so ein Oldtimer Fanatiker bin, der am Sonntag im Hof steht und sein Auto poliert. Die Entscheidung hat etwas mit meinem eigenen Energiehaushalt zu tun. Ich verwende meine Energie lieber für anderes als für einen Oldtimer. Ich habe jetzt einen neuen Kleinwagen und bin damit sehr happy. Er fährt sich sehr viel leichter als der alte Jaguar.

Sie sind jetzt 83 Jahre alt. Wenn Sie jetzt auf Ihr Leben zurückblicken...

Das vermeide ich tunlichst. Aber bitte fahren Sie fort.

Worauf sind Sie besonders stolz?

(Überlegt lange.) Dass ich überhaupt noch da bin. Denn zu viele Freunde und Familienmitglieder sind schon auf der Strecke geblieben. Aber kann man stolz darauf sein, dass man noch lebt? In einem gewissen Sinne schon. Denn ich habe immer sehr, sehr bewusst gelebt. Ich bin sehr bewusst mit meinem Körper und mit meinen Kräften umgegangen. Der andere Teil sind die Gene.

Gibt es noch etwas, was Sie stolz macht?

Ich habe wahnsinnig viel Glück gehabt, dass ich immer wieder im richtigen Moment die richtigen Menschen getroffen habe und etwas mit ihnen gemacht habe. Ich habe das Talent, andere Menschen zu erkennen, und zu erkennen, mit wem ich arbeiten kann. Filmemachen ist ja Teamarbeit. Das Wichtigste ist immer, für jeden Film das richtige Team und die richtigen Schauspieler zu finden. Manchmal waren es bekannte, manchmal völlig unbekannte Schauspieler, die dann bekannt wurden. Also: Vielleicht kann ich stolz darauf sein, dass ich mich in den allermeisten Fällen mit der Besetzung meiner Hauptdarsteller nicht getäuscht habe. Das hat etwas mit Menschenkenntnis zu tun, und die nimmt ja mit dem Alter zu.

Dann sollten Sie noch möglichst viele Filme drehen...

Stimmt! Eigentlich müsste ich noch viel machen. Andererseits: Der Film, wie ich ihn gekannt habe, ist ein auslaufendes Modell. Diese Unikate, Spielfilme, die Unterhaltung mit Anspruch, oder man könnte fast sagen Aufklärung verbinden, sind ja überhaupt nicht mehr angesagt.

Haben Sie keine Ideen mehr?

Ich habe noch Ideen, aber ich habe nicht mehr den Drang, sie unbedingt umzusetzen. Aber ohne Dringlichkeit kann man keinen Film machen. Ohne diesen Willen geht es nicht. Und von diesem Willen habe ich vielleicht nicht mehr genug.

Also war „Der Waldmacher“ Ihr letzter Film?

Solche endgültigen Worte sollte man nie benutzen. Es kann sein, dass mir morgen irgendein Thema über den Weg läuft, was ich unbedingt umsetzen will. Aber wenn man es nicht unbedingt machen will, dann soll man es lassen. Nur machen, um zu machen, ist nicht nötig.

Gibt es etwas, was Sie bereuen?

Man sollte nie bereuen, denn auch wenn man einen Fehler macht, entsteht daraus oft etwas Gutes. Ich habe mir abgewöhnt, zu entscheiden, ob etwas richtig oder falsch war.

Interview: Philipp Hedemann

Volker Schlöndorff (l.) mit Tony Rinaudo in Ghana. Foto: World Vision
Volker Schlöndorff (l.) mit Tony Rinaudo in Ghana. © WORLD VISION

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