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„Volker Schlöndorff – Ein Leben für das Kino“: Die „Blechtrommel“ brachte ihn nach Hollywood

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Von: Harald Keller

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Volker Schlöndorff hat sich sein Leben lang mit Identitätsfragen auseinandergesetzt.
Volker Schlöndorff hat sich sein Leben lang mit Identitätsfragen auseinandergesetzt. © Cineteve/arte

Eine informative, aber stellenweise grob lückenhafte Würdigung des Oscar-prämierten Regisseurs bei Arte.

Die Beschäftigung mit dem deutschen Regisseur Volker Schlöndorff muss sich für den Dokumentarfilmer Pierre-Henri Gibert beinahe zwangsläufig ergeben haben. Gibert, auf filmhistorische Themen spezialisiert, hatte schon Porträts der Regiegrößen Jean-Pierre Melville und Louis Malle angefertigt. Schlöndorff beschrieb Melville 1981 in einer Monographie als Vaterfigur und denjenigen, von dem er „am meisten gelernt habe“. Er hatte, eine nicht immer ganz leichte Aufgabe, bei dessen Filmen „Eva und der Priester“ und „Der Teufel mit der weißen Weste“ als Regieassistent gearbeitet. So wie bei Louis Malle, in der Phase zwischen „Zazie“ bis „Viva Maria!“. In Giberts Film über Melville war Schlöndorff bereits als Zeitzeuge aufgetreten.

Pariser Filmszene

Eine Wiederbegegnung also, wenn Gibert nun auch Schlöndorff filmisch porträtiert. Ein bis zur Parteilichkeit wohlwollender Beitrag. Er beginnt mit Schlöndorffs größten Triumphen: der Goldenen Palme für die Günter-Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“ und dem Oscar für den besten ausländischen Film. Die Goldene Palme musste er sich allerdings mit Francis Ford Coppola teilen, der mit „Apocalypse Now“ ins Rennen gegangen war.

Seine Karriere im Filmgeschäft verdankt Schlöndorff, so sagt er selbst, einem glücklichen Zufall. In einer kleinen hessischen Gemeinde aufgewachsen, brachte ihn ein Sprachkurs nach Frankreich. Ein zweimonatiger Aufenthalt war geplant, es sollten zehn Jahre werden. Schulausbildung, Pro-Forma-Studium in Paris und vor allem regelmäßige Besuche in der Cinémathèque française, der Bildungsstätte angehender Regisseure und Regisseurinnen. Bekanntschaften mit den Filmkritikern und späteren Nouvelle-Vague-Regisseuren Godard und Chabrol. Bertrand Tavernier war Schlöndorffs Schulkamerad gewesen.

Skandal in Cannes

Der erste Kurzfilm über Exil-Algerier in Frankfurt, 1965 der erste Spielfilm, „Der junge Törless“ nach Robert Musil, die erste von vielen Literaturverfilmungen, die folgen sollten. Mit „Der junge Törless“ machte sich der 26-jährige Jungregisseur auf Anhieb einen Namen. In Cannes gab es den Kritikerpreis. Und einen kleinen Skandal: Der deutsche Kulturattaché verließ den Saal mitten in der Aufführung und knallte demonstrativ die Tür hinter sich zu.

Fruchtbare Kollaborationen

Anecken sollte Schlöndorff noch häufiger. Mit der Böll-Adaption „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, auch mit seinem Engagement für eine Verbesserung der Haftbedingungen einsitzender RAF-Terroristen. Beim Film, privat und auch politisch an seiner Seite war Margarethe von Trotta. Auf dem Plakat zu „… Katharina Blum“ allerdings stand: „Volker Schlöndorffs Film“, der Name Trottas nur klein in der Ecke als Koautorin der „Originalvorlage“. Die Vermarkter wollten es so.

Zuvor hatten Schlöndorff und Trotta „Strohfeuer“ realisiert, neben „… Katharina Blum“ eine der wenigen zeitkritischen Regiearbeiten Schlöndorffs, der bevorzugt auf literarische, oft historische Vorlagen zurückgriff. Bei „Die Blechtrommel“ und einigen späteren Filmen schrieb Jean-Claude Carrière das Drehbuch, der ebenfalls unter anderem mit Louis Malle und mit renommierten Filmschaffenden wie Luis Buñuel, Miloš Forman, Marco Ferreri gearbeitet hatte.

Humanismus und Widerstand

Im Interview spricht Schlöndorff selbst an, welch bedeutenden Einfluss Trottas Mitarbeit auf sein Filmschaffen hatte. Andere Drehbuchautoren, auch Kameraleute und sonstige Mitwirkende finden keine Erwähnung. Pierre-Henri Gibert hängt offenbar der längst überholten „Autorentheorie“ an, die den Regisseur als alleinverantwortlichen Künstler auffasst. Eine Idee, die selbst Jean-Luc Godard als einer der Miturheber dieses Gedankens längst verworfen hat. So rühmt Gibert gleich in der Einleitung das Œuvre Schlöndorffs vorgreifend mit den blumigen Worten: „Ein Werk, in dem die inneren Verwerfungen und der ansteckende Humanismus seines Autors mitschwingen. Ein Werk, das zum Widerstandleisten inspiriert.“

Die Inhalte seiner Filmbiografie unterwirft er konsequent diesem Programm. Schlöndorffs Spielfilm „Mord und Totschlag“ aus dem Jahr 1967, zugleich Zitat und Umbau US-amerikanischer Genrevorbilder mit der Musik von Rolling-Stones-Mitglied Brian Jones, überspringt er.

Kino und Fernsehen

Schlöndorffs US-amerikanische Filme, ermöglicht durch den internationalen Erfolg von „Die Blechtrommel“, stellt Gibert in einen Kinokontext. „Tod eines Handlungsreisenden“ mit Dustin Hoffman und John Malkovich – beide gewannen einen Emmy für ihre schauspielerische Leistung – sowie „Ein Aufstand alter Männer“ mit Holly Hunter und Louis Gossett jr. aber wurden in den USA von der Senderkette CBS als Fernsehfilme verbreitet. Kofinanzier von „Ein Aufstand alter Männer“ war der Hessische Rundfunk. Daraus ergibt sich eine interessante Fragestellung, denn bei der Vorbereitung des Filmprojekts „Die Päpstin“ wandte sich Schlöndorff später gegen die aufkommende Praxis, aus demselben Drehmaterial sowohl eine Kinoversion wie auch einen – anderen dramaturgischen Gesetzen gehorchenden – Fernsehmehrteiler zu erstellen. Gern hätte man erfahren, welche Erfahrungen er ehedem mit den CBS-Redakteuren gemacht hatte.

Nebenbei: Schlöndorffs Ko-Preisträger von 1979, Francis Ford Coppola, hatte dessen Ausführungen schon 1977 widerlegt, als er aus „Der Pate“ und „Der Pate II“ unter dem Titel „The Godfather – The Complete Novel for Television“ einen allgemein als gelungen geltenden Fernseh-Vierteiler erstellte, der das Geschehen anders als die Kinofassungen chronologisch erzählte. Ähnlich wurde Wolfgang Petersens „Das Boot“ mit zusätzlichem Material versehen und in Fortsetzungen ausgestrahlt, als Sechsteiler für die BBC und als Dreiteiler für das deutsche Fernsehen. 2003 gelangte die Serie in die USA und lief dort auf dem Abonnementkanal Encore, der seit 2005 unter dem Namen Starz firmiert.

Noch immer kursiert das Ammenmärchen, dass bis vor wenigen Jahren eine strikte Trennung zwischen Kino- und Fernsehproduktion geherrscht habe. Nicht nur die hier genannten Fakten widerlegen diesen Unfug.

Flüchtigkeiten und Missgriffe

Pierre-Henri Giberts Filmporträt Schlöndorffs blättert durch dessen Biografie, macht mit seiner – hier allerdings unvollständigen – Filmografie bekannt und lässt als wichtige und auf das Werk einwirkende Aspekte auch Schlöndorffs politisches Engagement, seine Freundschaften und die Tätigkeit als Geschäftsführer der Filmstudios Babelsberg nicht unerwähnt. Kritik – die es vor allem an den gediegenen, dabei oft statischen Literaturverfilmungen – durchaus gegeben hat, berücksichtigt Gibert hingegen nicht. Ärgerlich sind manche Ungenauigkeiten. So spricht der Autor stets von Deutschland, auch bei Aspekten, bei denen zwingend zwischen West- und Ost-Deutschland unterschieden werden muss. Fragwürdig ist die Praxis, Archivmaterialien aus anderen Kontexten so zu montieren, dass sie dem Publikum biografisch erscheinen müssen.

Die Zuschauer erwartet also kein Diskurs über Schlöndorffs Werk, keine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern ein biografischer Reigen, der auch unterhaltsame Momente bereithält.

Ergänzend zeigt Arte um 20:15 Uhr Schlöndorffs Spielfilm „Diplomatie“ aus dem Jahr 2014 über den deutschen General Choltitz, der als Pariser Stadtkommandant von Hitler aufgefordert wurde, die französische Hauptstadt vor dem Abrücken vollständig zu zerstören.

Eine Anmerkung: Arte hält es nicht für nötig, in seinem Programmheft Pierre-Henri Gibert als Filmautor, geschweige denn andere Mitwirkende, zu nennen. Für einen „Kultursender“ ein schieres Armutszeugnis.

„Volker Schlöndorff – Ein Leben für das Kino“,

Mittwoch, 6.5.2020, 21:35 Uhr, Arte

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