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Arte zeigt Dreiteiler „Versteckt im hohen Gras“: Die Heimlichkeiten der Provinz

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Von: Harald Keller

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„Versteckt im hohen Gras“ (Arte): Emmanuelle Devos spielt Eve Merrieu
„Versteckt im hohen Gras“ (Arte): Eve Merrieu (Emmanuelle Devos) macht sich Sorgen um den verschwundenen Mounir Sefraoui und beginnt die Suche nach ihm auf eigene Faust. © Image & Compagnie/Arte

In seinem Arte-Dreiteiler unterläuft Autor und Regisseur Jérôme Bonnell den unbeschwerten Tonfall leichtgewichtiger Sommerkomödien. 

Frankfurt – In der Öffentlichkeit ist es kein großes Thema, aber Arte France, der französische Arm des Kultursenders, ist einer der eifrigsten Produzenten von Mehrteilern und Serien. Viele davon können im deutschen Streamingangebot abgerufen werden. Das gilt auch für den Dreiteiler „Versteckt im hohen Gras“. Ein Titel, den man wörtlich gleichwie metaphorisch auffassen darf.

Als Autor und Regisseur zeichnet Jérôme Bonnell, eine Art Wunderkind des französischen Kinos. Er realisierte seinen ersten Langfilm im Alter von 23 Jahren und hat seither einiges an Festivalpreisen einheimsen können. „Versteckt im hohen Gras“ ist sein erster TV-Mehrteiler.

„Versteckt im hohen Gras“ (Arte): Seriendebüt eines Wunderkindes

Auf ansprechende Art zieht Bonnell das im Übermaß präsente, von Vermarktern oft auch geforderte konventionelle Krimischema einmal anders auf: Er kehrt es um. Für gewöhnlich ereignet sich relativ früh ein Verbrechen, die Ermittler:innen treten auf und erkunden das private und berufliche Umfeld des Opfers, was nicht nur unter kriminologischen Aspekten mehr oder minder interessante Einblicke gewährt. Bonnell hingegen beginnt seine Geschichte in der privaten Sphäre und holt weit aus. Das könnte anfangs irritieren.

RolleDarsteller:in
JulesAntonin Chaussoy
AmbroiseLazare Gousseau
GlennJonathan Couzinié
LucilleLouise Chevillotte
Maud LefortIndia Hair
Eve MerrieuEmmanuelle Devos
Mounir SefraouiRaphael Acloque
Raoul BelhomertQuentin Bardou
Cyril BelhomertClément Bertani
IngridFlore Babled

Die Mutter des zehnjährigen Jules (Antonin Chaussoy) liegt nach einem schweren Unfall im Krankenhaus. Ihre Schwester gerät in eine Zwickmühle. Sie kann den Jungen nicht aufnehmen und gibt ihn bei Freundin Ingrid (Flore Babled) und deren Lebensgefährten Glenn (Jonathan Couzinié) in ländlicher Umgebung in der Provinz Touraine in Pflege. Beide kümmern sich liebevoll um Jules, der wenig redet, aber mit großen Augen alles um ihn herum wahrnimmt und zu verstehen versucht.

„Versteckt im hohen Gras“ (Arte): Ein harmloser Sturz mit dramatischen Folgen

Er wird die Wege von Eve (Emmanuelle Devos) kreuzen, einer Frau mittleren Alters, von Beruf Übersetzerin, die allein, aber nicht enthaltsam lebt. Das Publikum hat sie schon kennengelernt, wie sie beim Pflaumenpflücken von der Leiter fiel. Mounir (Raphael Acloque), ein Franzose mit algerischen Vorfahren, als Saisonarbeiter auf einem nahen Bauernhof tätig, eilt ihr zu Hilfe. Die beiden sind sich auf Anhieb sympathisch, er ihr vielleicht ein bisschen mehr als umgekehrt. Einige Zeit später möchte sie ihm als Dankeschön Eingemachtes vorbeibringen und erfährt vom Bauern, dass Mounir verschwunden ist. Weitergezogen, meint er schulterzuckend. Die Polizei weigert sich, Mounir zu suchen. Die Aktion wäre zu teuer, wie Eve unter der Hand erfährt.

Wäre noch die muntere Maud (India Hair) von der Flurpolizei vorzustellen. Sie hat soeben ihrem verheirateten Liebhaber den Laufpass gegeben, vergisst noch ein paar Tränen, ist aber bald wieder obenauf und eine erfrischende Kraft im Geschehen, das jetzt merklich Fahrt aufnimmt. Immer öfter lässt Bonnell durchblicken, dass sich abseits des Blickfelds ungemütliche Dinge ereignen, durch Details und den Einsatz der wie heimlich aufzeichnenden Kamera.

„Versteckt im hohen Gras“

Donnerstag, 6. Januar 2022, 21:50 Uhr, drei Teile in Folge und in der Arte-Mediathek.

„Versteckt im hohen Gras“ hat eine typisch französische Note. Die Hauptfiguren gehören eher den gehobenen Ständen an: Übersetzerin, freie Journalistin, Ex-Polizist, Comiczeichner … Es gibt Flirts, heimliche tête-à-têtes, ersprießliche Plaudereien, Liebeleien, Kriseleien. Junge Frauen, die im luftigen Sommerkleid durch besonnte Dorflandschaften radeln.

„Versteckt im hohen Gras“ (Arte): Kinderaugen sehen mehr

Manche Kinoregisseure begnügen sich mit solchen bukolischen Szenen. Nicht so Bonnell, der die Romantik peu à peu unterminiert. Er greift in den Fundus altbekannten Szenen und komponiert ein vielschichtiges, tiefe Tragik bergendes Drama, das – aufmerksam besehen – über die eigentliche Erzählung hinaus den durchkalkulierten Charakter wohlgemuter Sommerkomödien offenlegt.

Vieles sehen wir mit Jules’ zunächst staunenden, dann vorwurfsvollen Augen. Der Kameramann Pascal Lagriffoul führt in diesen Momenten die Kamera auf Augenhöhe des Zehnjährigen, zeigt die Welt aus seiner Perspektive.

Jules weiß dann auch als erster, wer in der sommerlichen Idylle zum Verbrecher wurde. Und versteht. (Harald Keller)

Zuletzt zeigte Arte die intensive französische Serie „In Therapie“ – ein erstaunliches Werk in 35 Teilen.

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