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Die Verschlossene

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Mala Emde (Mitte) als Julia, in der Defensive und im Hintergrund: Borowski, Axel Milberg, und Brandt, Sibel Kekilli.
Mala Emde (Mitte) als Julia, in der Defensive und im Hintergrund: Borowski, Axel Milberg, und Brandt, Sibel Kekilli. © Christine Schroeder/NDR

Der 999. Tatort kommt aus Kiel und erzählt eine düstere Geschichte über die gefährliche Nähe zu einer Terrorzelle, eingenistet in einer Moschee.

Der 999. Tatort erzählt von einer Verstörung, die man sich nicht wirklich erklären kann, die man aber möglicherweise gerade deshalb einigermaßen nachvollziehen wird. Verstörungen lassen sich nicht immer zu Ende erklären. Das Mädchen Julia hat gewiss zahlreiche Probleme, aber alles tritt nun offenbar zurück vor ihrem Hineingleiten in den Islam und nicht nur in den Islam, sondern auch gleich in die gefährliche Nähe zu einer Kieler Terrorzelle, eingenistet in einer Moschee.

Julias verzweifelte, fundamentale Haltlosigkeit macht dem Zuschauer mehr Angst als die bärtigen Männer, für die der neue NDR-Tatort „Borowski und das verlorene Mädchen“ sich keine großen Überraschungen ausgedacht hat. Das Böse, Machomäßige und Dumme ist das Böse, Machomäßige und Dumme, aber wie geraten Menschen, die weder böse noch dumm und noch dazu emanzipiert aufgewachsene junge Frauen sind, da hinein? Autorin Charlotte I. Pehlivani und Regisseur Raymond Ley umkreisen das Themenfeld durchaus, vor allem umkreisen sie aber die Hauptdarstellerin. Das ist Mala Emde, die durch die HR-Produktion „Meine Tochter Anne Frank“ sehr bekannt wurde, hier aber eine ganz andere geworden ist. Nur die Intensität des Spiels entspricht sich, die ins Glaubhafte wendet, was sonst doch kaum zu glauben wäre.

Julia, die Verschlossene, ist nun so ernsthaft verschlossen, wie es Verschlossenen im TV-Krimi normalerweise keine halbe Stunde erlaubt wird. Sogar Ermittler Borowski, Axel Milberg, wird irgendwie leise und vorsichtig. Seiner Kollegin Brandt, Sibel Kekilli, will selbst die klassische Aussprache unter jungen Frauen nicht über die Lippen gehen.

Julia plappert selbstverständlich Sachen nach – Konsumterror, der Westen als Ausbeuter der übrigen Welt, die Leere des Lebens, in dem man an nichts glaubt –, aber es fällt den vernünftigen Polizisten nicht leicht, ihr frohgemut zu widersprechen. Brandt hat recht, sie lieber nach der Ordnung und dem Sinn ihres eigenen Lebens zu befragen. Julia wendet sich ostentativ dem Tod zu – dass sie nach den Plänen der Moschee-Männer irgendwo im Ausland einen Kämpfer heiraten soll, hat wenig mit Liebe zu tun, viel mit der Suche nach Halt.

Es ist ein schöner, trauriger Dreh im Buch, dass Julia eigentlich trotzdem die Liebe meint und sie sogar gefunden hat. Aber keiner hat es gemerkt, auch sie selbst nicht früh genug.

Um Julia herum herrscht eine Verwirrung, bei der der Zuschauer selbst entscheiden muss, ob er sie nun doch zu verworren findet, oder sich darauf kapriziert, alles dem LKA-Staatsschutz zuzuschieben. Vertreten durch Jürgen Prochnow in einer coolen Cameo-Rolle, richtet dieser ein Unheil an, dass den Taten des Verfassungsschutzes in Sachen NPD in etwa entsprechen dürfte: Man fragt sich, wie weit die Kieler Islamisten gekommen wären, stünde nicht an jeder Ecke schon ein verdeckter Ermittler hilfreich bereit. Klar, vielleicht nutzt es auch, aber hier ist davon nichts zu sehen.

Die ursprüngliche Krimihandlung – das Verschwinden einer jungen Frau, die später tot geborgen wird – ist im übrigen nur der aufwendige Start (kein Vorspann, um Erdnüsse einzufüllen). Nachher findet sich hierfür eine andere Lösung. In einem Kriminalfilm wirkt das manchmal lapidar und etwas schlampig. Tatsächlich dürfte das dem Leben da draußen aber entsprechen, das eben lapidar und schlampig ist. Vielleicht ist es das, was Julia nicht aushält.

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