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Die Verlorenen und die Schmerzfreien

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Bibiana Beglau als hundsgemeine Dr. Gallwitz.
Bibiana Beglau als hundsgemeine Dr. Gallwitz. © Thomas Kost/WDR

Manchmal gibt es eine Lösung, meistens aber nicht: Der großartig besetzte Dortmund-Tatort "Zorn".

Der neue WDR-Tatort aus Dortmund arbeitet mit scharfen Kontrasten aus dem Baukasten vielbeachteter gesellschaftlicher Konflikte, dies aber mit Geschick und in glänzender Besetzung.

Welten zum Beispiel liegen zwischen dem Leben des ehemaligen Bergarbeiters und der Verfassungsschützerin. Den ehemaligen Bergarbeiter zeigt Thomas Lawinky (vom Frankfurter Theaterpublikum unvergessen) mit einem glaubwürdigen, stumpfen Zorn, der jenseits der üblichen Wut im Bauch des Spielfilm-Proletariers liegt. Im Erlebnispark, der auf dem alten Zechengelände entstehen soll, hat man ihm einen Job in der Geisterbahn angeboten. Er nimmt nicht an. Die Verfassungsschützerin spielt Bibiana Beglau als Schlitzohr. Dabei bleibt sie aber nicht. „Halt deine Fresse, du dämliches Arschloch“, sagt sie nachher nämlich, und man muss nun wirklich hören, wie Bibiana Beglau das sagt, unheimlich ordinär aus dem Stand heraus. Adressat ist, man kann es sich schon denken, Ermittler Faber, Jörg Hartmann, der sie zur Weißglut bringt, indem er recht und die Übersicht hat.

Während die Kriminalhandlung recht munter mäandert, ist die sorgfältige Ausarbeitung der einzelnen Begegnungen der Trumpf im Buch von Jürgen Werner und in der Inszenierung von Andreas Herzog. Krumm vor Verlegenheit versucht Peter Kremer als Ex-Bergarbeiter Klaus die früheren Kumpel davon zu überzeugen, lachhafte Abfindungen für ein hartes Arbeiterleben und die unterwanderten Siedlungshäuschen anzunehmen. Die traurigen Wohnungen (irgendwann einmal hoffnungs- und liebevoll eingerichtet), das trostlose Vereinsheim, das trübe Wetter (kein Blatt am raren Baum), die unglücklichen Leute über ihren schmackhaft aussehenden, ordentlich gezapften Bieren: „Zorn“ vermittelt die Verlorenheit der Verlorenen noch deutlicher als ihren ja auch fürchterlich ins Leere gehenden Zorn.

Hemmungslos schmeißt Faber sich an einen lose an die Handlung angedockten „Reichsbürger“ heran, auch das sehenswert, obwohl Götz Schubert mit seiner Rolle auf sympathische Weise wenig anzufangen weiß (auch Werner und Herzog fällt dazu nicht viel ein). Nora Dalay, Aylin Tezel, steht derweil dem immer noch neuen Kollegen Pawlak, Rick Okon, mit einer Abneigung gegenüber, die sie dumm und unlogisch macht und einem unerfreulich vertraut vorkommt. Martina Bönisch, Anna Schudt, spricht imposante Sätze gelassen aus („Sie wollen mich nicht sauer sehen“) und findet für ihre Rückenschmerzen eine Lösung, die man nur hinreißend nennen kann.

Noch hinreißender ist es aber, wie unaufdringlich das alles zusammengefügt wird. Obwohl der Kriminalfall – ein Kumpel ist tot, die Zusammenhänge sind mannigfach – vor Spannung und Überraschungseffekten nicht erbeben lässt, ist die Qualität der Szenen aufregend genug. Denn obwohl es im Dortmund-Tatort noch nie an klarer Ansprache mangelte, findet die Holzhammermethode keine Anwendung. Alles ist Detail, alles ist individuell, und obwohl es um eine Maloche geht (ging), die sich unsereiner nicht vorstellen kann, gehört „Zorn“ zu den feinziselierten Tatort-Folgen.

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