Unendlicher Spaß

Steven Spielbergs Gamer-Phantasie "Ready Player One" ist die ultimative Liebeserklärung an die Popkultur der Achtziger.
Manche Menschen nennen zwölf Jahre Merkel-Kanzlerschaft schon eine Ewigkeit. Andere können sich die Welt nicht vor dem ersten Applecomputer anno 1984 vorstellen. Doch was man wirklich einmal versuchen sollte: sich das Blockbuster-Kino ohne Steven Spielberg vorzustellen.
Es ist schlichtweg unmöglich. Ohne seinen „Weißen Hai“, dessen Erfolg ihn 1975 selbst am meisten überraschte, hätte der ganze Spuk vielleicht niemals stattgefunden. Seit über vierzig Jahren aber arbeitet Hollywood nun nach Spielbergs Formel, die da lautet: jene Genre-Stoffe, die früher als billige B-Pictures produziert worden wären, mit den Budgets von Bibel-Epen auszustatten. Und immer wieder dreht der Meister auch selbst noch einen mit – leichthändig dahin geworfene Fingerübungen, in diesem Fall 175 Millionen schwer.
Nichts erinnert an Spielbergs feinsinnig-liberales Zeitungsdrama „The Post“, das erst vor drei Monaten ins Kino kam. „Ready Player One“ wirkt eher wie ein Nachschlag zu den phantastischen Jugendabenteuern, die Spielberg in den 80er Jahren produzierte, deren Regie er aber anderen überließ: „Gremlins“, „Zurück in die Zukunft“ oder „Die Reise ins Ich“.
Es liegt ein herrlicher Unernst über diesem futuristischen Gamertraum, für den das Wort Ironie schon fast eine Spur zu hoch gegriffen wäre. „Unendlicher Spaß“ trifft es besser, diese Terry-Gilliam-hafte Endzeitstimmung. In Columbus im Staat Ohio leben die Menschen in aufeinandergestapelten Wohnwagen. Ihr einziger Lebensinhalt ist ein Virtual-Reality-Game, das nicht umsonst „The Oasis“ heißt. Eigentlich ist nichts langweiliger im Kino, als Leuten beim Spielen zu zuzusehen. Spielberg allerdings verbreitet einen geradezu ansteckenden Spaß.
Bei all seinen Talenten traut man diesem Regisseur ja zwei Dinge nicht zu: grellen Humor (seit der glücklosen Kriegsklamotte „1941“) und Sex (den wird man auch hier nicht finden). Doch was hemmungslosen, überraschend unbeschwerten Spaß angeht, zeigte sich der Altmeister in fünf Jahrzehnten nicht so locker.
Die Idee der Romanvorlage von Ernest Cline erinnert ein wenig an Roald Dahls „Charlie in der Schokolodenfabrik“: Ein Spieleerfinder und biblisch-reicher Nerd (Mark Rylence) hat sich 2038 einen letzten Wunsch erfüllt: Passend zur Jahreszeit hat er in dem Online-Spiel, nachdem die Menschheit süchtig ist, drei Schlüssel und ein „easter egg“ versteckt: Wer die Dinge findet, der erbt seinen Reichtum und das Sagen über die „Oasis“. Geschicklichkeit oder gar Glück helfen dabei jedoch kaum weiter. Eher schon Fähigkeiten unorthodoxen Denkens, was unsere Aufmerksamkeit auf den Teenager Wade (Tye Sheridan) lenkt, der seinen Avatar „Parzival“ genannt hat – ein Typ, der auch mal ein Rennspiel kurz vor dem Ziel stoppt, um rückwärts sein Glück zu versuchen. Sieben Jahre versuchen das nun auch schon andere. Das Monopol des verstorbenen Game-Erfinders erstreckt sich über nahezu die gesamte Freizeit – sofern man diese überhaupt noch so nennen kann. Immerhin gibt es auch noch den Drohnen-Lieferservice für die Pizza.
Die Geschichte, wenn man sie so nennen möchte, könnte simpler nicht sein: Es gibt einen Schurken, der arme Gamer ausbeutet, um das „Easter Egg“ zu finden. Und es gibt eine dem Helden lange nur als ihr Avatar bekannte Mitstreiterin Art3mis (Olivia Cooke), in die er sich in der „echten“ Welt fraglos schneller verlieben würde. Doch wie schon die Beach Boys sangen: „Reality is not for me“.
Vergessen wir das Nichts von Handlung und erfreuen uns an der Inszenierung: Spielberg, der sich in seiner Karriere nur selten vor den Werken Anderer verbeugt hat (er tat es einmal, als er den kleinen Helden von „E.T.“ für den Außerirdischen seine Star-Wars-Figuren auspacken ließ) hat sich entschlossen, diesen Film randvoll mit Kultobjekten der 80er Jahre zu füllen. Das Autorennen gewinnt man zum Beispiel mit dem DeLorean-Wagen aus „Zurück in die Zukunft“.
Wer ein paar Spielsekunden zurück in die Zeit reisen will, braucht dazu einen nach dem Regisseur des Films benannten „Zemeckis-Würfel“. Echte Chancen hat in diesem Spiel, wer Fragen zu den Teenagerfilmen von John Hughes wie „Ferris macht blau“ beantworten kann. Den größten Hype aber widmet Spielberg einem Kultregisseur anderen Kalibers: Stanley Kubricks „The Shining“ markiert eine eigene Station im Game, komplett mit den unheimlichen Zwillingen und dem blutgefüllten Aufzug. Es ist schon merkwürdig, einen Regisseur vom Range Spielbergs ein Trivial-Quiz über die Popkultur der 80er Jahre leiten zu sehen – immerhin eine Epoche der Filmgeschichte, zu der er selbst Beachtliches beigetragen hat.
Es gibt nicht viele Spielfilme, die glaubhaft Interaktivität simulieren, und die meisten sind sehr schnell gealtert. Wie würde „Lola rennt“ heute wirken? Spielberg hat seinem Film eine eigene Versicherung gegen das Altern eingebaut, indem er eine wenig ruhmreiche Zukunft mit einem auf absurde Weise verklärten Jahrzehnt aus der Vergangenheit kurzschloss. Dass es ausgerechnet die 80er Jahre traf, eine in Geschmacksfragen alles andere als untadelige Zeit, stimmt bei allem Spaß beinahe unheimlich. Was, wenn sie jetzt wiederkommt, die Postmoderne?