Unbefleckte Empfängnis auf der Raumstation

Mit Halle Berry und Goran Visnjic ist die Science-Fiction-Serie „Extant“ namhaft besetzt, produktionstechnisch wird allerhand geboten. Doch die Dramaturgie der schnellen Reize geht zu Lasten der Geschichte.
Das Raumschiff aus der ersten Szene ist nur ein Spielzeug. Aber der Sprung ins All lässt nicht lange auf sich warten. Die Science-Fiction-Serie „Extant“ stammt aus den Werkstätten von Steven Spielbergs Produktionsfirma Amblin Entertainment und dort lässt man sich für gewöhnlich nicht lumpen.
Eine Rückblende führt zur Raumstation Seraphim und zu Molly Woods‘ (Halle Berry) 13-monatiger Solomission, die rätselhafte Ereignisse in Gang setzt. Die permanente Videoaufzeichnung weist Lücken auf, Mollys Erklärung stößt bei ihren Vorgesetzten auf Misstrauen. Richtig in Wallung aber kommen die Gemüter aller Beteiligten, als die Ergebnisse von Mollys Gesundheitsprüfung vorliegen: Sie hat sich draußen im Weltall eine Schwangerschaft zugezogen.
Offenbar ein Fall von unbefleckter Empfängnis, denn Molly war allein unterwegs und hatte über die vollen 13 Monate ausschließlich den klugen Bordcomputer als Ansprechpartner. Allerdings gab es da einen Vorfall, den sie anfänglich verschweigt: Sie halluzinierte eine Begegnung mit ihrem früheren Ehemann. Doch der ist lange tot, Molly mittlerweile neu verheiratet mit John (Goran Visnjic), der verständlicherweise einige Mühe hat, die Situation zu verkraften.
Kulleraugenmomente
Nicht leicht auch, die veränderte Familienaufstellung dem kleinen Ethan (Pierce Gagnon) verständlich zu machen. John arbeitet auf dem Gebiet der Robotik und der künstlichen Intelligenz und hat sich seinen Sohn selbst gebaut. Denn zum einen schien es bislang so, als könne das Paar keine eigenen Kinder bekommen. Zum anderen dient Ethan als Prototyp für eine Generation von intelligenten Robotern, die wie Menschen aufwachsen und ihr Wissen aus der eigenen Erfahrung beziehen sollen.
Für sein „Humanichs Projekt“ benötigt John dringend einen Geldgeber und findet ihn in dem undurchsichtigen Geschäftsmann Hideki Yasumoto (Hiroyuki Sanada), der bald auch Interesse an Mollys leiblichen Kind zeigt, das, wie sich zeigt, tatsächlich nicht von dieser Welt ist und nach der dramatischen Entbindung ein mörderisches Eigenleben entwickelt.
Serienschöpfer Mickey Fisher, zuvor mit zwei wenig beachteten Independentfilmen hervorgetreten, versammelt in seinem Entwurf zahlreiche Motive aus dem Spielberg-Universum. Das Thema des künstlich geschaffenen Kindes, das lieben will und geliebt werden möchte, hat Spielberg, der hier als Executive Producer zeichnet, beispielsweise selbst schon in „A.I.: Künstliche Intelligenz“ verhandelt.
„Extant“ nimmt den Spielberg-Touch wieder auf: Kindliche Kulleraugen sollen für gefühlige Momente sorgen, eine technisch hochgerüstete Ausstattung für Schauwerte. Die Tricktechniker kommen zu ihrem Recht: Wir sehen Menschen in der Schwerelosigkeit des Alls, selbstfahrende Autos – fast schon ein Standard –, bildschirmunabhängige Computerprogramme und eine Frau ohne Unterleib, die auf einer frei schwebenden Plattform duscht, ehe sie sich mit künstlichen Gliedern versieht, die sich in keiner Weise von natürlichen Körperteilen unterscheiden.
Spuk im Orbit
Groß also die Bemühungen, das Publikum in Staunen zu versetzen. Ins Hintertreffen gerät darüber jedoch die eigentliche Erzählung. Die Fülle der Themen und Motive lähmt die Geschichte, die ohne inneren Zusammenhalt bleibt und mühsam von Episode zu Episode geführt wird.
Planvoll angewandte, entsprechend durchsichtige Kniffe aus dem Baukasten des Gruselkinos sollen die Mängel kaschieren. Mal lauert eine dunkle Gestalt in der Einfahrt, wenn Molly den Müll entsorgt, Gespenster spuken im Orbit, Tote suchen die Lebenden heim, im Hintergrund waltet ein skrupelloser Wirtschaftsmagnat, der sein Leben auf ewig verlängern möchte (der japanische Schauspieler Hiroyuki Sanada reproduziert hier beinahe seine Rolle aus der sechs Monate früher gestarteten Science-Fiction-Serie „Helix“).
Nicht nur der kleine, im Verlauf der Geschichte unberechenbarer werdende Android Ethan ist eine blutleere Gestalt, „Extant“ versammelt insgesamt ein Ensemble blass bleibender Kunstfiguren, deren Handlungen die Absichten des Autors erkennen lassen und die deshalb kaum Anteilnahme wachrufen.
Fragwürdiger Fortschritt
Seit einiger Zeit kursiert die Behauptung, das Fernsehen habe sich in Richtung Kino entwickelt. Wenn dem so wäre, wäre dies ein fragwürdiger Fortschritt, denn die originären Qualitäten der TV-Erzählung liegen gerade dort, wo sie sich vom Kino unterscheidet. „Extant“ nun entspricht tatsächlich weitgehend den Mechanismen des kassenträchtigen Unterhaltungskinos; die Produzenten setzen auf prominente Schauspieler, technischen Aufwand, schnelle Reize, eine kurzatmige Dramaturgie.
Die Summe all dessen ist beim Publikum erfolgreich – in den USA wurde die zweite Staffel der Serie für den Juli angekündigt –, ergibt allerdings noch keine Qualitätsproduktion.