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Experte bei Markus Lanz: „China will immer Nutznießer von allem sein!“

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Von: Marc Hairapetian

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TV-Talk mit Markus Lanz am 22. März 2023
TV-Talk mit Markus Lanz am 22. März 2023 © Screenshot ZDF

Allianz der Despoten, eurasischer Block gegen die Demokratie oder gar ein neuer Kalter Krieg? In der ZDF-Talkshow wird über den Schulterschluss zwischen Xi Jinping und Wladimir Putin diskutiert.

Hamburg – China statt Corona. Und das, obwohl das Virus höchstwahrscheinlich seinen Ursprung im bevölkerungsreichsten Staat der Erde hatte. Die Pandemie, die sich zum Glück zur Endemie gewandelt hat, ist mit keinem Wort das Thema am Mittwochabend bei Markus Lanz im ZDF. Und auch nicht der nicht enden wollende russische Angriffskrieg in der Ukraine. Es geht – wie in der Sendung zuvor – vorrangig um das „Land des Lächelns“, das sich seit geraumer Zeit anschickt, das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, auch USA genannt, von der Spitzenposition als Weltmacht zu verdrängen.

Diesmal begrüßt der Moderator mit dem wiederholten Mut zur eigenen Meinung im Altonaer Studio neben der immer wieder zu jedem nur erdenklichen Gesprächsinhalt eingeladenen Eva Quadbeck (Chefredakteurin vom „RedaktionsNetzwerk Deutschland“) auch Konstantin Kuhle, den stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion. Außerdem einen wirklichen China-Experten: Felix Lee, Wirtschaftsjournalist von „Table.Media“. Der analysiert messerscharf das Treffen von Xi Jinping und Wladimir Putin in Moskau. Um es vorwegzunehmen: Der 1975 in Wolfsburg geborene Autor des kürzlich erschienenen Buchs „China, mein Vater und ich. Über den Aufstieg einer Supermacht und was Familie Lee aus Wolfsburg damit zu tun hat“ ist der geistige Lichtblick einer etwas zerfahrenen Talkshow. Von ihm stammt der Satz, der sich auch bei Lanz bewahrheiten soll: „Es ist erschreckend wie wenig deutsche Politiker über China wissen.“

„Markus Lanz im ZDF“: Donald Trump der Häme preisgegeben

Zugeschaltet ist allerdings zu Beginn Elmar Theveßen, der Leiter des ZDF-Studios Washington. Bevor er über den kritischen Blick der Vereinigten Staaten von Amerika auf Xi Jinping und Wladimir Putin referiert, wird erst einmal wieder Donald Trump der Häme preisgegeben. Grund ist diesmal die bevorstehende Anklage gegen den Ex-Präsidenten. Ein Novum, selbst in den USA, die man am liebsten in das „Land der begrenzten Unmöglichkeiten“ umtaufen würde. Bei den Ermittlungen geht es um eine Schweigegeldzahlung in Höhe von 130.000 Dollar (rund 122.000 Euro), die Trumps damaliger Privatanwalt Michael Cohen kurz vor der Präsidentschaftswahl 2016, an Pornodarstellerin Stormy Daniels geleistet haben soll. Welche wiederum angeblich 2006 eine Affäre mit dem Immobilien-Tycoon und republikanischen Spitzenpolitiker hatte. Dieser bestreitet dies – natürlich. Mit der Zahlung an Daniels, die mit bürgerlichem Namen Stefanie Clifford heißt, sollte offenbar verhindert werden, dass diese an die Öffentlichkeit geht, was Trump im Wahlkampf hätte schaden können. Die Geldflüsse könnten gegen Gesetze zur Wahlkampffinanzierung verstoßen haben.

Für Lanz ist das ein „süffiger Stoff“, denn zur Vertuschung des Ganzen habe der Mann mit der blonden Föhnfrisur dreimal soviel Geld an seinen Anwalt überwiesen. Ein in jeder Hinsicht teurer Spaß, denkt sich der Rezensent. Das Schweigegeld könnte Trump in den immer noch puritanischen USA nun zum Verhängnis werden. „Bewährung und Bussgeld“ sind das Mindeste, was ihm droht, „im schlimmsten Fall sogar vier Jahre Haft“ (Theveßen). Die „Erregungskultur“ sei jedenfalls voll im Gange. Grundtenor: „Der Ex-Präsident steht nicht über dem Gesetz.“ Theoretisch könnte er aber trotz einer möglichen Verurteilung zum Präsidenten wiedergewählt werden. Dabei wären andere Verfahren, die gegen ihn laufen, weitaus ernstzunehmender, so die Aufbewahrung von Geheimdokumenten. Laut Theveßen stachelt er die eigene Anhängerschaft wieder auf. Sprüche wie „Take our nation back“ würden ihm nach Lanz’ Ansicht dabei in die Karten spielen. Und Theveßen ergänzt: „Das Radikalspektrum stellt sich hinter ihn.“ Nur die moderateren Republikaner würden jetzt „aufstöhnen“, wenn Trump die Verfahren gegen ihn als „Hexenjagd“ geißele. Und selbst, wenn er tatsächlich „im Knast landet“, wie es Lanz drastisch ausdrückt, lauere in Habachtstellung, der nicht minder rechts gerichtete Ron DeSantis, seines Zeichens noch Gouverneur von Florida, den Theveßen als „Trump mit Hirn“ bezeichnet.

„Markus Lanz im ZDF“: Können die Chinesen an den USA vorbeiziehen?

Doch genug des etwas boulevardesken Geplänkels. Nun geht es ans Eingemachte und damit sind die chinesisch-russischen Beziehungen gemeint. Quadbeck befürchtet: „Die Chinesen werden die Amerikaner überholen. Dann stehen wir am Fuß einer neuen Weltordnung!“ Lee wiederum haut in eine andere Kerbe: „Russland wird zur Billigtankstelle Chinas!“ Doch er sieht es differenzierter als Lanz und Co. Trotz des ausgiebigen Kontakts mit Russland habe China kein Interesse, dass der Krieg in der Ukraine weiter eskaliere. Anderseits möchten die Machthaber in Peking auch nicht, dass Putin gestürzt wird, denn eine eventuell auf ihn folgende pro-westliche Regierung sei China genauso wenig recht wie ein neuer russischer Diktator aus der berühmt-berüchtigten Söldnergruppe Wagner. Und dann spitzt es der Journalist, der selbst chinesisches Blut in seinen Adern hat, zu: „China will immer Nutznießer von allem sein!“ Er bezweifele die von Lanz unterstellte „große Freundschaft“ mit Russland.

Immerhin hätten sich Xi Jinping und Wladimir Putin schon 40 Mal getroffen und dabei über 200 Stunden diskutiert, lässt der Gastgeber nicht locker. „Man kann an den Besuchen sehen, dass es eine Allianz der Despoten gibt“, ist sich Kuhle sicher. Die Individualität der Menschen und die Bürgerrechte würden zugunsten einer neuen Ordnung ausgeklammert. Theveßen spricht gar von einem „neuen Kalten Krieg“. Er sieht einen „eurasischen Block gegenüber den Demokratien dieser Welt“. Beim „Wettlauf um den globalen Süden“ seien sich China und Russland allerdings nicht einig. Lee, dessen Vater einst über Taiwan in die Bundesrepublik Deutschland flüchtete und als Ingenieur, Manager und Dolmetscher Ende der 1970er bei den Verhandlungen von VW mit China anwesend war, kritisiert die Runde: „In dem zu starken Denken in Blockbindungen sehe ich eine große Gefahr.“ Man könne China zu Recht wegen seiner Handelspolitik in Frage stellen, aber diese Schwarzweißmalerei könne zu einer „offenen Feindschaft“ führen. Schon jetzt habe China keine echten Freunde als Staat.

„Markus Lanz im ZDF“: Wenigstens kein Atomkrieg

Diese Ausführungen findet Lanz „interessant“. Der Letzte, der bei ihm so über China gesprochen habe, sei vor langer Zeit der ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) gewesen. Sogar Afrika plage eine „China-Müdigkeit“, weil deren Investionen dem ärmsten Kontinent nicht wirklich etwas gebracht hätten. Wie ernst man in Deutschland China nehmen würde, zeige Olaf Scholz’ erste Auslands-Amtsreise dorthin. Der Handel der USA mit China habe stark zugenommen - und auch der von Deutschland. Decoupling zwinge aber Unternehmen, ihren Einkauf zu lokalisieren. So wollen vier von zehn Mitgliedern der deutschen Handelskammer in China laut deren aktueller Geschäftsklimaumfrage dort zudem eine eigenständige Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung aufbauen. Immerhin seien sich Xi Jinping und Wladinir Putin einig, dass es keinen Nuklearkrieg geben dürfe, verabschiedet sich Theveßen aus der Schalte.

„Markus Lanz“ vom 22. März 2023Die Gäste der Sendung
Konstantin KuhleStellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion
Eva QuadbeckJournalistin, Chefredakteurin RND
Felix LeeWirtschaftsjournalist von Table.Media
Elmar TheveßenLeiter des ZDF-Studios Washington

Würde Kuhle wieder mit seinem Parteichef Christian Lindner nach China reisen, möchte nun Lanz wissen. „Es kommt auf das Programm an“, antwortet dieser diplomatisch. Eine der deutschen Lebenslügen bestünde darin, den Wohlstand ohne dieses riesige Land zu erhalten, attackiert ihn der Talkmaster. „Wir sind naiv“, gibt der FDP-Mann zu. Für ihn seien aber auch Länder wie Kanada und Indonesien als Handelspartner von Interesse. Deutsche Unternehmen hätten - laut Insider Lee - über Jahrzehnte Parties in China gefeiert. Wandel durch Handel hieß früher ein Slogan, der der Volksrepublik zu neuer Größe verhelfen sollte. Und nun? „Risikomanagement“ sei das Stichwort im deutschen Mittelstand. Und auch Großkonzerne wie VW, Daimler, Siemens und der Chemieriese BASF, der seine Ammoniak-Produktion in Ludwigshafen kurzerhand eingestellt hätte, kämen für Lee nicht darum herum, weiter auf China zu setzen, weil sich nicht nur der Arbeitsmarkt, sondern auch die Technologien dort abspielen würden.

Das Klischee, dass China kein Vorreiter in Sachen grüner Energie sei, lasse sich widerlegen. Dazu Lee: „China baut so viele Solarkraftanlagen wie der Rest der Welt zusammen.“ Nun ist Lanz doch vom „zähen Fleiß“ der Chinesen beeindruckt. Für die Wahlrechtsreform samt Verkleinerung des Bundestags mit seinen derzeitigen 598 Sitzen, die vor allem die FDP vorangetrieben hat, bleibt als letzter Themenblock nur noch wenige Minuten Zeit. Zu wenig, um substantiell darüber zu reden. Immerhin ist das Parlament hierzulande – und hier sind wir wieder beim Hauptthema – das größte weltweit nach China, proportional errechnet nach Abgeordneten pro Einwohner gar das Größte, wie Quadbeck anfügt. Doch die Menschenrechtsfrage in China wird genauso wenig konkretisiert wie der Superkapitalismus im dortigen Kommunismus. So musste die Schauspielerin und Sängerin Fan Bingbing 883 Millionen Yuan (umgerechnet 111 Millionen Euro!) nachzahlen, um einer Anklage wegen Steuerhinterziehung zu entgehen. Gesprächsstoff also eigentlich genug für die nächste Sendung bei Lanz. (Marc Hairapetian)

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