Thriller „Die Frau im Nebel“ im Kino: Es war einmal in Busan

Park Chan-wook hat in seinem neuesten Neo-Noir-Thriller seinen Stil noch einmal verfeinert: „Die Frau im Nebel“.
Südkoreas international erfolgreichster Filmemacher wählte seinen Beruf, nachdem er Hitchcocks „Vertigo“ gesehen hatte. Dennoch schien sich Park Chan-wook dabei doch lange eher an weit dunkleren Werken des Meisters zu orientieren. Seine Gewaltszenen begannen da, wo „Psycho“, „Der zerrissene Vorhang“ und „Frenzy“ aufhörten. Die mörderischen Psychogramme seiner „Vengeance“-Trilogie, zu denen auch der Welterfolg „Old Boy“ gehört, streiften mit ihrer Technicolor-haften Überdeutlichkeiten zugleich das Surreale.
Jetzt aber ist das Erste, was einem zu seinem romantischen Polizeifilm „Decision to Leave“ einfällt, tatsächlich Hitchcocks „Vertigo“. Vielleicht kam der deutsche Verleih auch deshalb auf den deutschen Titel „Die Frau im Nebel“. Ein Detektiv verfällt darin, eingehüllt von einem delirierenden filmmusikalischen Thema, dem Mysterium einer schönen Verdächtigen.
Im Film Noir haben sich schon die rechtschaffensten Detektive auf schiefe Bahnen begeben, weil sie Fünfe gerade sein ließen. Und solche Abwege verstand man in diesem Genre durchaus topografisch: Sie führten über Serpentinen, an Umwege und in Einbahnstraßen; über Brücken und endeten an Schluchten. Passend dazu gibt es in diesem schwelgerisch- eleganten Breitwand-Drama noch einige Kletterpartien über Bergvorsprünge und Dächer, die es mit ähnlichen Szenen in Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ und „Über den Dächern von Nizza“ aufnehmen können.
Aber von Anfang. Hae-joon, der von Park Hae-il gespielte Kommissar, leidet an Schlaflosigkeit. Seine Frau, die in einem Atomkraftwerk in einer anderen Stadt arbeitet, sieht er nur am Wochenende. Mit ihrer freundlichen Korrektheit vermag sie auch die Unebenheiten ihres knapp bemessenen Beisammenseins fließend und leichtgängig erscheinen zu lassen. Nach zwei Stunden Filmzeit sieht man sie den ersten Kuss austauschen. Einmal schlägt ihr Mann vor, und er meint es durchaus positiv, selbst dann noch einmal in der Woche Sex zu haben, wenn man sich vielleicht nicht mehr so gut versteht.
Gleich zu Beginn des Films wird Hae-hoon an den Fuß eines Berges gerufen, wo die Leiche eines Finanzbeamten und Hobbybergsteigers aufgeschlagen ist. Auf eine Luftaufnahme folgt das Detail einer zerborstenen Rolexuhr; in überraschenden Wechseln zwischen Nah- und Großaufnahmen ist Park eher ein Schüler von Sergio Leone als von Hitchcock.
Sorgsam geht der Kommissar den Weg des Toten ab, was in diesem Fall bedeutet, selbst an einem Seil den Berg heraufzusteigen. Seinen ersten Verdacht aber schöpft er erst, als er die wenig trauernde junge Witwe des Verblichenen kennenlernt. Dass die Krankenpflegerin Seo-rae (Tang Wei) bereits ihrer Mutter mit Tabletten einen Todeswunsch erfüllt hat, macht sie nicht unverdächtiger. Als der Polizist feststellt, dass sie für ihr Alibi ihr Handy mit dem einer alten Frau vertauscht haben muss, die sie betreut, ist die Sache eigentlich klar. Dennoch kauft er der alten Dame selbst ein neues Telefon und rät Seo-rae dringend, das ihre zu versenken.
Parks Film macht reichlich Gebrauch von digitalen Kommunikationsmitteln, die seine Figuren in bedauernswerte Einsamkeit kleiden. Auch hier war Hitchcock ein Pionier, bei dem das Klingeln eines Anrufs schon einmal einen Mord befehlen konnte. Später wird die Verdächtige ihrem vor Liebe gelähmten Verfolger gestehen, wie oft sie sich sehnsüchtig seine Sprachnachrichten angehört habe. Das hindert sie nicht daran, sich bald ein zweites Mal verdächtig zu machen. Zufällig begegnen ihr Hae-hoon und seine Frau weniger als ein Jahr später mit einem zweiten Ehemann. Er scheint ebenso wenig zu ihr zu passen wie der erste – und wird am nächsten Tag ermordet.
Spurensicherungen sind für Park Chan-wook und seinen Bildgestalter Kim Ji-joong Übungen in Landschaftsinszenierung. Es gibt einen japanischen Modefotografen, Izima Kaoru, dessen Markenzeichen lange darin bestand, Models dekorativ als Leichen in Landschaften zu drapieren. Ebenso hüllt auch der Filmemacher seine morbiden Schauplätze in eine klinische Eleganz. Mit der Präzision von Satellitenbildern wird der Pool eines Luxus-Domizils vermessen, wieder mischen sich Nah- und Fernaufnahmen zu einem faszinierenden Memory-Spiel. Aber was nützt alle fotografische Klarheit einem Ermittler, der blind vor Liebe ist?
Die weiten Bildräume dieses Films sind der denkbare Gegenpool zu den klaustrophobischen Schreckensorten, die Park Chan-wook bekannt gemacht habe. „Wenn ich Filme drehe, versuche ich alle Handlungen in ganz kleinen Räumen zu inszenieren“, sagte er uns vor Jahren in einem Interview. „Der Raum stellt die Welt des Menschen dar. Sind die Kulissen zu groß, verliert sich die Konzentration. Ein leerer Raum ist wie ein weißes Blatt Papier und die Darsteller sind wie die Farben.“
Seit seinem letzten Film, dem epischen Drama „Die Taschendiebin“ und der Fernsehserie „Die Libelle“ hat Park seinen visuellen Stil erweitert, ohne seine Methode aufzugeben. Noch immer komponiert er Schauspieler und Schauspielerinnen wie Farben, die sich in seinen Kompositionen wie von magischer Hand bewegen. Hier aber scheint es ihm ein besonderes Vergnügen zu bereiten, alle Grausamkeiten, für die sein Kino bekannt ist, beiseite zu wischen. Ebenso spielt die Erotik nur in der Andeutung, da entwickelt sie aber einen betörenden Nachhall – und wieder denkt man an Hitchcock und die Umwege, die er sich für die Filmzensur ausdenken musste.
Wer diesen kulinarischen Genrefilm deshalb für ein Museumsstück hält, bekommt im Gespräch eine nüchterne, wenn auch vielleicht morbide Antwort: „Meine Filme gehören zu den teuersten, die in Korea gemacht werden und müssen vor allem Geld einspielen. Wenn sie also einmal ins Museum kommen sollten, dann wohl erst, wenn ich alt oder tot bin.“
Die Frau im Nebel. Korea 2022. Regie: Park Chan-wook. 138 Min.