„The Whale“ mit Brendan Fraser: Rock-Solo für einen Schauspieler

Brendan Frasers Oscar-gekrönte Rolle ist das einzige Ereignis in Darren Aronofskys Film „The Whale“
Ausgerechnet Hollywood, die „Stadt der Illusionen“ im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten, hat zur Kunst der Verwandlung ein gespaltenes Verhältnis. Zum Star wird man, indem man sich immer ähnlicher, nicht unähnlicher wird. Und am besten derart wiedererkennbar, dass Typen wie James Stewart oder Bette Davis, Marilyn Monroe oder Tom Cruise gleichsam zu Bekannten aus dem Leben werden. Riskieren sie dann aber doch ihren hart erkämpften Markenwert für eine radikale Verwandlung, lockt der Oscar – wie für Marlon Brando in „Der Pate“ oder Tom Hanks in „Philadelphia“ – was schon an die nächste mögliche Grenze führt: Längst wird darüber diskutiert, ob ein heterosexueller Mann überhaupt eine Rolle entgegen der eigenen sexuellen Orientierung verkörpern sollte.
Brendan Fraser hat sich davon nicht abhalten lassen, in Darren Aronofskys Kammerspiel „The Whale“ die Hauptrolle eines schwulen Mannes zu verkörpern, der sich von seiner Familie getrennt hat, um mit einem Mann zu leben. Nach dessen Tod hat der depressive Anglistikdozent eine Essstörung entwickelt und gibt nur noch Onlinekurse – 272 Kilo schwer bleibt er für seine Studierenden dabei unsichtbar.
So ist es gekommen
Schon seit der Premiere beim letzten Venedig-Festival galt Brendan Frasers Performance in vielen Besprechungen als oscarwürdig – selbst dort, wo sie als das einzig Bemerkenswerte am Film betrachtet wurde. So ist es dann auch gekommen: Gewonnen hat außer Fraser nur noch das Team für Maske und Frisuren.
Tatsächlich ist die Verkleidung aus Make-up und zweiter Gummihaut derart entstellend, dass Fraser mit erhöhter Emotionalität dagegen anzuspielen scheint. Umso mehr entsteht so ein Eindruck des Unechten, der sich nicht allzu sehr von jenen Motion-Capture-Animationen unterscheidet, in denen uns Hollywoodstars in Comicverfilmungen begegnen. Um sein prothetisches Gesicht mit Leben zu erfüllen, investiert Fraser die doppelte Energie in sein Mienenspiel, was ihn manchmal aussehen lässt wie den Mondmann in einem altmodischen Kinderbuch.
Tatsächlich rückt dieses Bemühen die ganze Figur ins Kindliche, die Art, wie er seinen Studierenden Herman Melvilles Klassiker „Moby-Dick“ erklärt – mit der Analogie zum Wal ist der Film nach Samuel D. Hunters gleichnamigem Theaterstück überschrieben –, wirkt überpädagogisch.
Erst als er seine 17-jährige Tochter nach vielen Jahren zurück in sein Leben holt, um für sie als Ghostwriter Schulaufsätze zu verfassen, erhält die Inszenierung eine Art realistischen Kontrapunkt. Die kritischen Fragen des von Sadie Sink gespielten Mädchens („Warum stopfst du denn so viel in dich hinein?“) könnten sich auch an das Set-up dieser theaterhaften Inszenierung richten: Warum müssen wir uns mit einer so offensichtlich erfundenen Figur beschäftigen, die so sehr um unsere Anteilnahme buhlt?
Die Idee, einem Menschen dabei zuzusehen, wie er sich offensichtlich zu Tode isst, ist im Kino gut bekannt. Marco Ferreri machte sie zum Thema seiner gesellschaftskritischen Groteske „Das große Fressen“. Nicolas Cage trank sich zu Tode in Mike Figgis’ Film „Leaving Las Vegas“. In beiden Fällen machten lebensnahe Figuren das fatale Ansinnen glaubhaft. Hier wird auch die Konstruiertheit dieses Handlungselements durch eine außenstehende Figur noch einmal pointiert, nur ist diese ein ebensolches Konstrukt: Ein hausierender Evangelist (Ty Simpkins) findet in der verwohnten Wohnung Einlass und beim Sterbewilligen sogar ein offenes Ohr.
So öffnet sich in diesem Dialogfilm ein letztes, wortreiches Kapitel. Da, wo man im dritten Akt die Läuterung des Helden erwartet, beschäftigt sich der fatalistische, am Leben zerbrochene Mann mit dem Metaphysischen. Eigentlich kein Wunder, wenn man sich schon im Leben zum „Moby-Dick“-Spezialisten entwickelt hat.
150 Prozent Ausdruck
Filmische Kammerspiele gelingen selten, und wenn sie gelingen, sind es meist die darin konservierten Darstellerleistungen, die sie auszeichnen. So ist es auch hier. So sehr man es vielleicht möchte, wird man sich doch nicht abwenden können von den hundertfünfzig Prozent an Ausdruckswillen, die Fraser stets in seine Rolle einbringt. Es ist ein Virtuosentum, wie man es von klassischen Rockgitarristen kennt, und wenn sie wirklich gut sind, können sie auch die US-amerikanische Nationalhymne interpretieren und einem dabei die Tränen in die Augen spielen.
Frasers haltlos naive, hemmungslos intuitive Verlebendigung einer Figur aus Papier hat etwas Anrührendes. Wer wollte sein Bemühen tadeln, das doch so viel mehr daraus macht, als darin steckt. Es ist wahr, man vergisst seine Performance nicht. Nur das, was sie transportieren soll in einer exhibitionistischen Regie, ist nur allzu vergesslich.
The Whale. USA 2022. Regie. Darren Aronofsky. 117 Min.