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„The Sound of Disney“: Die Maus, die brüllte

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Von: Daniel Kothenschulte

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Disney Studio Artists: bemalte Animationsfolie für „Das Dschungelbuch“, 1967. © Disney Enterprises Inc. / Quelle: DFF

Das Frankfurter Filmmuseum feiert einen unbekannten Schatz: „The Sound of Disney“, Originale einer Münchner Schau von 1963.

Es sollte die Krönung seines Schaffens werden, stattdessen wurde es bei der Kritik und an der Kasse Walt Disneys „Waterloo“: Sein letzter zu Lebzeiten vollendeter Märchenfilm, „Dornröschen“, 1959 von Zeitgenossen in seinem Stilwillen häufig als steril empfunden, gilt erst posthum als Meisterwerk. Besonders die Hintergrundgemälde des Künstlers Eyvind Earle, bei Auktionen seit langem hoch gehandelt, bezeugen Disneys besondere Ambition: Inspiriert von mittelalterlichen Stundenbüchern schlagen die Bilder zugleich eine Brücke zu einem für Disney seltenen Modernismus. Ebenso erfuhr Tschaikowskys Ballettmusik eine diskrete Modernisierung.

Eine ganze Wand füllt nun im Deutschen Filmmuseum Frankfurt eine prunkvolle Auswahl von 16 dieser hochfeinen Gouachen der Wald- und Schlossszenen, vielfach komplett mit den bemalten Animationsfolien der Figuren und Vordergründe. Dass diese außerhalb des Disneyarchivs bedeutendste „Dornröschen“-Sammlung überhaupt erhalten blieb, spiegelt Triumph und Tragik dieser Unternehmung wider: Zur Feier des Films, der den Großteil der fünfziger Jahre über in Produktion gewesen war, hatte Disney mit seinem Team zwei große Ausstellungen über seine Arbeitsweise kuratiert und von 1959 bis 1963 auf Welttournee geschickt. Am Ende war das Defizit der Multimillionenproduktion verbucht und auf eine Rücksendung der Exponate aus den letzten Stationen in Japan und München wurde dankend verzichtet. Seither lagern einige der großen Schätze der Disneykunst im Münchner Stadtmuseum mit seiner Puppentheatersammlung und seinem Filmmuseum.

Die Rekonstruktion historischer Ausstellungen ist seit einigen Jahren eine erfreuliche Mode im Kunstbetrieb. So baute man etwa vor einigen Jahren in Venedigs Palazzo Grassi eine exakte Replik von Harald Szeemanns 1969er Basler Schau „When Attitudes Become Form“ auf – in den exakten Proportionen der ursprünglichen Räume. Was kann es für die Nachgeborenen Schöneres geben? Vielleicht kann man im Münchner Stadtmuseum ja auch einmal die Disneyausstellung so aufbauen, wie sie damals war.

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Disney Studio Artists: Filmstill aus „Bambi“ von 1942. ©  1942 Disney Enterprises Inc. / Quelle: DFF

Das Deutsche Filmmuseum hat sich für einen anderen Weg entschieden. Es arrangiert die ursprüngliche Ausstellung „Wie Walt Disneys Zeichenfilme entstehen“ unter einem neuen Aspekt. Ergänzt durch Leihgaben aus zwei amerikanischen Universitätsarchiven und einigen eiligen Ankäufen aus einem amerikanischen Auktionshaus heißt das Thema nun „The Sound of Disney“.

Tatsächlich sind Ton und Musik untrennbar von Disneys Welterfolg. Zwar hatten auch seine Stummfilme internationalen Erfolg und inspirierten sogar den großen Komponisten Paul Dessau, der in den 20er Jahren in Berlin als Kino-Kapellmeister wirkte, zu Originalkompositionen (schade, dass sie in der Ausstellung fehlen). Aber Micky Maus war eben – wie ein seltenes Plakat im Frankfurter Museumsbestand verkündet – „das Tonfilmwunder“.

Mit dem Kurzfilm „Steamboat Willie“ gab die Maus bekanntlich 1928 ihr Debüt – und hob zugleich den Zeichentrick-Tonfilm aus der Taufe. Zeitgenossen staunten über den hohen Grad der Synchronizität, den Disneys Zeichner dabei erreichten – und die Verlebendigung der Zeichnung auf eine neue Stufe hoben. Der russische Filmavantgardist Sergej Eisenstein bewunderte, als er das Disneystudio besuchte, die „exposure sheets“, auf denen der Filmablauf exakt nach den Taktschlägen der Musik festgelegt war. Für den bekennenden Disney-Verehrer war damit eine Grundlage zum synthetischen Film gelegt. Bedauerlich, dass sich das Disneyarchiv offenbar nicht zu einer Leihgabe bereitgefunden hat.

Leider ist auch Disneys wichtigster Musikfilm, die Klassik-Adaption „Fantasia“ in der Ausstellung unterrepräsentiert. Im Münchner Sammlungsbestand finden sich dazu nur einige Animationszeichnungen von Micky Maus als Zauberlehrling. Und auch die sind nicht aus der Hand des Animators Les Clark, wie jetzt daneben steht, sondern vermutlich sogar späteren Datums. Dafür durfte man eine ganze Wand erlesener Bambi-Zeichnungen um den Namen ihres Schöpfers Marc Davis ergänzen.

Zu den sensationellen Überbleibseln der originalen Disney-Schau gehören außerdem meisterliche Storyboard-Zeichnungen aus „Susi und Strolch“, darunter ein besonderer musikalischer Moment, die berühmte Spaghetti-Szene zum Lied „Bella Notte“. Sehr interessant und nie gesehen sind auch Synchronbücher der deutschen Fassungen, darunter „Das Dschungelbuch“. In keinem Land der Welt ist dieser Film so erfolgreich gewesen wie in Deutschland, wo Disneys letztes, noch weitgehend zu Lebzeiten realisiertes Meisterwerk alle Kassenrekorde brach. Dialogautor und Song-Übersetzer Heinrich Riethmüller dürfte dabei ähnliches erreicht haben wie in der Comicwelt die Enten-Versteherin Erika Fuchs.

Seit einigen Jahren besitzt das Deutsche Filmmuseum in seiner Sammlung ein schönes „Cel-Setup“ aus dem „Dschungelbuch“, bemalte Animationsfolien vor einem Hintergrund; auch das ein besonderer musikalischer Moment – die Party im Domizil des Affenkönigs King Louie. Zwei Installationen von Gegenwartskünstlern ergänzen den Blick auf diese Verfilmung des Kolonial-Schriftstellers Rudyard Kipling um eine willkommene, dekonstruierende Perspektive.

Der belgische Videokünstler David Claerbout kopierte die Animation mit der Hand und stellte sie in einen neuen narrativen Kontext: Balu und Baghira probieren es nun mit der wahren Gemütlichkeit des Tierreichs. Sein französischer Kollege Paul Bismuth hat in seinem „The Jungle Book Project“ jeder der Figuren eine eigene Sprache zugeordnet, was angesichts der weltweiten Verbreitung des Films nicht schwierig war. Die Crux liegt in der Mischung: Während Shir Khan das feine Englisch seiner Originalstimme George Sanders zelebriert, spricht Baghira Arabisch, Balu Hebräisch.

Es ist also eine vielfältige Schatzsuche geworden und eine seltene Begegnung mit den wunderbaren Originalen von vielen der besten Disneyzeichner. Viele weitere Höhepunkte wird das umfangreiche Begleitprogramm auffahren, darunter am 12. Januar ein Sinfoniekonzert in der Alten Oper. Auf dem Programm stehen Walt Disneys frühe musikalische Meisterwerke, die Kurzfilme der Reihe „Silly Symphonies“, in den 30er Jahren weltweit gefeiert. In der Tat gab es nur wenige Kritiker von Disneys Musikverständnis. Den wohl prominentesten, Adorno und Eisler, gibt die Ausstellung – trotz des Frankfurter Bezugs – keine Stimme. Von einer „unglücklichen Dopplung“ sprachen sie, wenn die Filmmusik lautmalerisch arbeitete. Ihr despektierlicher Begriff dafür hat sich bis heute in der Musikkritik erhalten: „Mickey-Mousing“.

Deutsches Filmmuseum Frankfurt: 7. August bis 10. Januar. www.dff.film

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