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Tatort (ARD): „Ein paar Worte nach Mitternacht“ - Keller-Kinder in Ost- und Westdeutschland

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Von: Judith von Sternburg

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Rubin, Meret Becker (r.), bei der Witwe Keller West, Katharina Matz. Stefan Erhard/rbb © rbb/Stefan Erhard

Lange her, nicht vorbei: Zum 3. Oktober taucht der Berlin-Tatort tief in die deutsche Geschichte ein.

Der neue Tatort aus Berlin lenkt den Blick – einen Tag nach dem 3. Oktober und 30 Jahre nach der Wiedervereinigung – nicht gerade subtil auf eine Geschichte über deutsch-deutsche Schuld. Allerdings stellt diese Geschichte Fragen, die einem Kriminalfilm, aber auch einer Gesellschaft tatsächlich gut anstehen. Wer war das? Wie konnte das passieren? Wie lebt es sich damit?

Früh in „Ein paar Worte nach Mitternacht“ fällt auf, dass es gegenwärtig viel mehr Antworten gibt als Fragen, auch viel mehr Leute, die antworten, als Leute, die Fragen stellen (also Fragen, die die Antworten nicht gleich schon beinhalten). Denn auch die Ermittlerin Rubin, Meret Becker, antwortet, bevor ihr Kollege Karow, Mark Waschke, etwas wissen will. Er guckt sich noch um, sie sagt: „Rechtsradikaler Anschlag. Staatsschutz. Fertig.“

Tatort „Ein paar Worte nach Mitternacht“ (ARD): Keine Kommissars-Show

Persönliche Betroffenheit spielt natürlich eine Rolle, auch und erst recht in diesem Tatort schleppt jeder mit, wer er ist. Dass das den Blick verengt: nicht ideal für die Ermittlungen. Das Buch von Christoph Darnstädt, von Lena Knauss in einem kalt-nächtlichen Berlin inszeniert, macht aus dem zwölften Rubin-Karow-Fall aber keine Kommissars-Show. Mag Rubin im Schaumbad mit ihrem Liebhaber rauchen und sinnieren, mag Karow so lässig sein, dass man sich daran nicht sattsehen kann, beide können sich doch durchaus auf ihre Arbeit konzentrieren.

Der erste Tote im Tatort ist ein 90-Jähriger am Abend seines Geburtstags, Rolf Becker (Meret Beckers Vater), der ein Schild um den Hals trägt: „Ich war zu feige, für Deutschland zu kämpfen.“ (Darum: „Rechtsradikaler Anschlag. Staatsschutz. Fertig.“) Der zweite Tote ist sein ebenfalls hochbetagter Bruder. Die beiden haben sich Ewigkeiten nicht gesehen. Keller ist ihr ebenso unauffälliger wie andererseits sinnfälliger Name.

Das Westberliner Bauunternehmen des 90-Jährigen engagiert sich in Israel. Der Bruder, Keller Ost genannt, hat eine Stasi-Karriere gemacht. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren sie gerade mal Teenager, so ist das inzwischen. Überhaupt ist das Leben seither weitergegangen, Jörg Schüttauf als Sohn von Keller Ost kommt als tüchtig rechtsradikaler Bürger ins Bild. Der Sohn von Keller West, Stefan Kurt, und seine ehrgeizige Frau, Marie-Lou Sellem, sind vor allem erpicht darauf, die florierenden Israel-Geschäfte nicht stören zu lassen.

Tatort „Ein paar Worte nach Mitternacht“ (ARD): Keine Kommissars-Show

Der Enkel von Keller West wiederum, Leonard Schleicher, ist in der Hausbesetzungsszene aktiv. Seine coole Freundin Ruth, Victoria Schulz, ist eine junge Historikerin, die sich ähnliche Fragen stellt wie Rubin und Karow. Das manchmal unangenehm Naseweise derer, die nicht dabei waren, wird bei weitem übertroffen von der abgebrühten Verdrängung der in diesem Fall mittleren Generation: Waren auch nicht dabei, können nichts dafür, aber wissen noch ganz gut Bescheid, aber jetzt will man in Ruhe seinen Geschäften nachgehen.

Interessant, dass es die ganz Jungen sind, die wieder nachfragen. Und dass die ganz Alten eigentlich ganz gerne einfach sagen wollen, was damals war. In einer fabelhaften Szene sitzt Rubin – Meret Becker wie betäubt – bei der dementen Witwe von Keller West im Pflegeheim, Katharina Matz. Sie erzählt, wie sie damals der Lehrerin sagte, dass bei den Nachbarn auf dem Dachboden Juden versteckt waren.

Imposant, dass es in dieser bedeutungsgeladenen, aber nicht aufdringlichen Umgebung doch gelingt, einen halbwegs spannenden Tatort zu verfertigen.

Die Gedenktafel, die Publikum und Polizei der Lösung – wenn man es so nennen will – näher bringt, gibt es. Es ist eine der Gedenktafeln, die Menschen beim Vorübergehen erschüttert zur Kenntnis nehmen und weitergehen. Aber ebenso, wie immer vorher etwas geschehen ist, geschieht auch hinterher etwas.

„Tatort: Ein paar Worte nach Mitternacht“, ARD, So., 20.15 Uhr.

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