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Lanz mal wieder unvorbereitet – nächste Chance im ZDF ist völlig vertan

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Von: Marc Hairapetian

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Markus Lanz diskutiert mit seinen Gästen über Künstliche Intelligenz.
Markus Lanz diskutiert mit seinen Gästen über Künstliche Intelligenz. (Screenshot) © ZDF

Über „Fluch und Segen“ von Künstlicher Intelligenz wird im ZDF-Talk viel geredet, aber wenig gesagt. Und auch nicht, ob KI tatsächlich ein eigenes Bewusstsein entwickeln kann.

Hamburg – Was wie ein Science-Fiction-Märchen klingt, kann heute bereits wahr sein: Die Google-KI LaMDA hat ein eigenes Bewusstsein entwickelt! Diese Möglichkeit stellt zumindest Entwickler Blake Lemoine, der nach dieser Aussage erst einmal von Google beurlaubt wurde, in den Raum. Doch was der Forscher genau gesagt hat, wofür die Künstliche Intelligenz eingesetzt wird und wie wahrscheinlich es ist, dass die Behauptung tatsächlich stimmt, darüber wird am späten Donnerstagabend bei Markus Lanz nicht gesprochen. Eine vertane Chance, obwohl die Hauptthemen seiner Talkshow diesmal nicht Corona oder der Ukraine-Krieg sind, sondern die Möglichkeiten und das Potenzial Künstlicher Intelligenz.

Markus Lanz spricht im ZDF über Künstliche Intelligenz

Dazu hat Markus Lanz gleich vier Gäste zum ZDF-Talk ins Altonaer Studio eingeladen. Ladys first: Die Vorsitzende des deutschen Ethikrats Alena Buyx ist seit der Pandemie gern gesehen bei Lanz. Sie soll über die Gefahren und Herausforderungen, die die digitale Transformation mit sich bringt, reflektieren. Irgendwie scheint sie sich aber mit Künstlicher Intelligenz nicht wirklich intensiv beschäftigt zu haben. Sie bezeichnet KI als „stochastischen Papagei, der vom Genie weit entfernt ist“. Ihr pflichtet in seiner konservativen Abwehrhaltung auch Politiker Thomas de Maizière (CDU) bei. Für den ehemaligen Bundesminister des Innern (2009 - 2011 sowie 2013- 2018) und Bundesminister der Verteidigung (2011 - 2013) im Kabinett Merkel II ist beispielsweise das Ergebnis „mäßig“, als zum 250. Geburtstag des Komponisten Ludwig van Beethoven im Jahr 2020 die Deutsche Telekom mit einem internationalen Team unter der Leitung von Matthias Röder vom Salzburger Karajan-Institut versuchte, den dritten und vierten Satz seiner unvollendeten 10. Sinfonie mithilfe von künstlicher Intelligenz dazu zu komponieren.

Die Gäste bei Markus Lanz am 9. März

Alena BuyxEthikerin
Thomas de MaizièreBundesminister a.D.
Sascha LoboJournalist
Bob BlumePädagoge

Für beide bleibt KI weiterhin ein Papagei, auch wenn sie fantastische Simulationen liefern könne und die Software ChatGPT laut Buyx den Turing-Test, mit dem sich feststellen lässt, ob eine Maschine ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen hat, bestehen kann. Pädagoge Bob Blume erkennt zudem an: „Maschinen lernen echt gut!“ Der Gymnasiallehrer schildert plastisch, wie sich Lernmethoden und Unterrichtsinhalte durch den schulischen Einsatz von Computern und KI-Chat-Programmen verändert haben und weiter ändern werden. Und dann ist da noch ein echter Experte für Innovationen und Zukunftstechnologien: Sascha Lobo wird von Lanz als „bekanntester deutscher Blogger“ angekündigt. Süffisant fügt der Moderator hinzu: „So schleimig waren wir noch nie!“ Denn die Vorstellung der Gäste mit allerlei Schmeicheleien stammt gar nicht von ihm, sondern ist vorher von KI recherchiert und dann „ausgespuckt“ worden. Humor ist, wenn man trotzdem lacht - und Internet-Enfant-terrible Lobo, der diesmal erfreulicherweise nicht auf seinen roten Irokesenschnitt reduziert wird, findet das Lob unter allgemeinen Gelächter natürlich „korrekt“.

Künstliche Intelligenz: „Fluch oder Segen“? Markus Lanz will es wissen

Ist Künstliche Intelligenz nun „Fluch oder Segen“? Lanz blickt gespannt in seine Runde. „Es kommt darauf an, wie man ihr begegnet“, meint Oberstudienrat Blume übervorsichtig. Die Interpretation von Georg Büchners „Woyzeck“ hätte seine zwölfte Klasse am Windeck-Gymnasium Bühl jedenfalls noch besser hinbekommen, als die mit zahlreichen Informationen gefütterte KI. Das liege auch darin begründet, dass ChatGPT noch nicht auf alle bisherigen Daten zurückgreifen könne. Lobo sieht hier vieles anders. Er spricht KI schöpferisches Potenzial durchaus nicht ab. Sie mag zwar noch nicht Beethovens Genie erreichen, könne aber schon jetzt sich in den Charts platzierende Musik komponieren, ohne dass Laien erkennen, dass sie nicht dem menschlichen Geist entstammt sei.

Lanz, der nicht nur immer wieder, manchmal sogar unmotiviert, unterbricht, gönnt sich bekanntlich stets als Moderator eine eigene Meinung. Diesmal zitiert er aber seinen Sohn, der im „Informatik-Bereich unterwegs“ sei und ihn belehrt habe, man solle den Begriff „Künstliche Intelligenz“ besser durch „Maschinelles Lernen“ ersetzen. Letzteres ist aber, hier zeigt sich wieder einmal, dass der Gastgeber nicht richtig vorbereitet ist, nur ein Teilbereich der KI. Durch das Identifizieren von Mustern in vorliegenden Datenbeständen sind dabei IT-Systeme mithilfe von Algorithmen in der Lage, eigenständig Lösungen für Probleme zu finden. Lobo hingegen ist von der autonomen Weiterentwicklung von KI felsenfest überzeugt: „Die wird von alleine besser!“ Google würde beispielsweise auf seinen Servern das gesamte Internet „nachbauen“, um die Problemlösungsfähigkeit von KI ständig zu verbessern. Bereits heute habe ChatGPT 175 Milliarden Wortteile gespeichert, die sich ständig eigenständig multiplizieren würden, sodass man in naher Zukunft von zehn bis 20 Millionen Parametern ausgehen dürfe. Dann könne - laut Lobo - KI auch bald das angeblich so schwere Abitur in Bayern bestehen.

Sascha Lobo spricht bei Lanz über Deepfake über ihn

„Sollen wir das wollen?“, fragt Buyx. Verbote, vor allem bei Schülern und Schülerinnen, bringen nach Ansicht von Blume nichts. Für ihn ist es wichtig, wie man den sozialen Prozess im 21. Jahrhundert gestaltet. „Kulturzugangsgeräte“ wie Smartphones dürfe man hierbei nicht ausschließen. Man müsse sie mit ihren Möglichkeiten „produktiv“ nutzen. Verbote würden nur dazu führen, dass man sie heimlich - auch zum Lernen - benutzen würde. Natürlich seien damit allerdings auch der Täuschung und dem Betrug Tür und Tor geöffnet. Es gebe Vor- und Nachteile. Und Erleichterungen, die dann keine sind. So, wenn KI Lanz’ Redaktion die Arbeit abnehmen und seine Sendung planen würde. Vielleicht ist das schon längst der Fall, wenn man die ewig gleichen „Experten“ in seiner Sendung viel reden, aber wenig sagen hört, möchte man als Rezensent an dieser Stelle ergänzen …

Die nicht von der Hand zu weisenden Schattenseiten künstlicher Intelligenz werden dann kurz angerissen. Mittels ZeroGPT werden schon jetzt Propaganda und Fake News verbreitet. Lobo selbst war ein „Opfer“ dessen. Diesen von Lanz gebrauchten Begriff mag er aber nicht, findet er doch den Deepfake über ihn „ganz lustig“. Ein Einspieler wird gezeigt. Der US-Moderator Bill Maher soll in seiner Sendung laut einem Videoausschnitt von Lobo und „Friedensschwurblern“ gesprochen haben: „Offenbar gibt es einen neuen Begriff, der vom Mainstream eingeführt wurde, um Menschen zu diffamieren und lächerlich zu machen, die für Frieden demonstrieren. Der Ursprung dieses abfälligen Begriffs liegt in Deutschland und wurde, so vermute ich, von dem Aktivisten/Journalisten Sascha Lobo geprägt. Er lautet: ‚Friedensschwurbler‘. […] Das ist offenbar eine Mischung aus ‚Aluhutträger‘ und ‚Verschwörungsgläubiger‘.“ Im weiteren Verlauf sagt der Moderator vermeintlich, die USA haben die North-Stream-Pipelines zerstört und die Deutschen würden „gedankenlos einem Propaganda-Narrativ folgen“. Das stimmt aber alles nicht, denn das Video ist Fake. Man kann es leicht an den Lippenbewegungen Mahers erkennen.

Lanz findet diesen Deepfake im Gegensatz zu Lobo gar nicht lustig. Nun wird auch der Blogger ernster und erläutert, dass Stimmen heute schon täuschend echt gefälscht werden könnten. So erhielt Berlins (Noch-)Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) im Juni 2022 einen Anruf von einem „Fake-Klitschko“. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie dies erkannte und das Telefonat unterbrach. So habe der falsche Klitschko gesagt, Giffey solle Ukrainer zurückschicken, „damit sie für ihr Land sterben können.“ In der deutschen Übersetzung wurde daraus „... für ihr Land kämpfen können“. Auch dies wird bei Lanz nicht angeschnitten.

Markus Lanz am 9. März

Die Sendung zum Anschauen in der ZDF-Mediathek

Künstliche Intelligenz: Vieles wird an diesem Talk-Abend bei Lanz nur angedeutet

Buyx plädiert deshalb bei KI für Wasserzeichen, obwohl sie selbst einräumt, dass diese gefälscht werden könnten. De Maizière macht es sich etwas einfach, indem für ihn das beste Rezept gegen Hacker und (Deep)Faker „Demokratie und eine offene Debatte“ seien. Menschen trösten könnten immer noch nur Menschen, nicht K. I. Tiere wie Hunde, die bewusst bei Trauma-Therapien, in Kindereinrichtungen und Seniorenheimen eingesetzt werden, vergisst er bei seinen Ausführungen. Buyx und Lobo hingegen halten viel von digitalen Apps in Sachen Psychotherapie. Die Smartphone-App COGITO könne einem sofort helfen, anstatt dass man bis zu acht Monate auf einen menschlichen Therapeuten warten muss. Im Gegensatz zu de Maizière findet Lobo „die Automatisierung des Tröstens“ gut. Vieles wird an diesem Talk-Abend nur angedeutet. Beim nächsten Mal wären - bis auf Lobo - mehr echte Experten zum Thema KI wünschenswert, denn dann könnte auf ebenso fachliche wie unterhaltsame Weise auch darüber diskutiert werden, ob LaMDA tatsächlich schon ein eigenes Bewusstsein hat. (Marc Hairapetian)

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, man sei sich einig, dass die Künstliche Intelligenz am Turing-Test scheitere. Dies ist so nicht richtig. In der Sendung sagt Frau Buyx, dass die Software ChatGPT den Test bestehe. Eine zweite Änderung betrifft die Frage „Sollen wir das wollen?“ Sie wurde nicht, wie ursprünglich behauptet, von Markus Lanz, sondern von Frau Buyx gestellt.
 

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