Spielberg im Interview: „Zu drehen, ist für mich mit nichts vergleichbar!“

Mr. Spielberg, wie haben Sie das gemacht? Der große Regisseur im Interview über seinen neuesten Film „The Fabelmans“, Stanley Kubrick, Oskar Werner, „Tim und Struppi“ und das ewige Kind in ihm.
Berlin/Frankfurt - Wenn man eine weltweite Umfrage nach dem wohl bedeutendsten lebenden Filmregisseur starten würde, würde er mit größter Wahrscheinlichkeit den ersten Platz erklimmen: Steven Allan Spielberg KBE, geboren am 18. Dezember 1946 in Cincinnati, Ohio, galt lange Zeit als das Wunderkind der Filmhistorie.
Nun ist er längst zum „The Godfather“ des Kinos geworden. Während der 73. Berlinale, wo Steven Spielberg den Goldenen Ehrenbären erhielt, gelang es unserem Autor Marc Hairapetian einige Fragen an den schon zu Lebzeiten legendären Regisseur, Produzenten und Drehbuchschreiber zu stellen, die dieser in seiner seinem Gegenüber zugewandten Art gern beantwortete.
Herr Spielberg, bevor ich Ihnen meine erste Frage stellen, möchte ich es nicht versäumen, Ihnen Grüße von Caroline Goodall auszurichten, die ich heute getroffen habe.
Vielen Dank! Grüßen Sie bitte schön zurück. (Er klopft sich dabei aufs Herz.) Sie ist eine großartige Schauspielerin und für mich eine der besten Ehefrauen der Filmgeschichte. Denken Sie an ihren Part in „Hook“ an der Seite von Robin Williams als erwachsenem Peter Pan und dann war sie bei mir ja auch noch eine wundervolle Emilie Schindler in „Schindlers Liste“, die Liam Neeson seine gelegentlichen erotischen Eskapaden stets verziehen hat!
Als Sie 1968 der Welt Ihren ersten in 35-mm gedrehten Kurzfilm „Amblin“ präsentierten, wurde ich gerade geboren. Was treibt Sie nach all Ihren kommerziellen wie künstlerischen Kassenschlagern immer noch an, weiter zu filmen?
Ich glaube ehrlich gesagt, dass sich bei mir nicht so viel verändert hat. Ich werde immer noch von der gleichen Faszination für das Kino angetrieben, die ich bereits als Teenager und bei der Realisierung meiner ersten Filme hatte. Ich spüre auch heute noch immer die gleiche Aufregung, wenn ich einen guten Roman oder ein Drehbuch lese, das mich dann inspiriert, es zu verfilmen. Zu drehen, ist für mich mit nichts vergleichbar, außer natürlich der Geburt der eigenen Kinder! Da bin ich nach wie vor selbst ein Kind, mittlerweile ein Großes mit meinen nunmehr 76 Jahren (lacht)
Apropos großes Kind: Stimmt es, dass „Jäger des verlorenen Schatzes“ Ihr Versuch war, quasi ein „Tim und Struppi“-Abenteuer für Erwachsene zu realisieren?
Das ist nicht verkehrt, was Sie da sagen. Die Idee für „Jäger des verlorenen Schatzes“, der auch eine Hommage an die klassischen Abenteuergeschichten von Joseph Conrad, Jack London und Jules Verne sowie Philippe de Brocas „Abenteuer in Rio“ sein sollte, stammte eigentlich von George Lucas. Ich wollte damals etwas in Richtung James Bond machen. Und das wurde dann miteinander kombiniert. Ich bin leider erst als Erwachsener auf Hergés Comics gestoßen, die ich bis heute heiß und innig liebe. Hergé hat noch „Jäger des verlorenen Schatzes“ gesehen und war davon mehr als angetan. Ich hatte bereits parallel Kontakt mit der belgischen Zeichner-Legende aufgenommen, um über die Filmrechte an „Tim und Struppi“ zu verhandeln. Drei Wochen, bevor das Treffen Ende März 1983 in Brüssel stattfinden sollte, starb er traurigerweise. Doch ich wollte auch später immer einen „echten“ Film über „Die Abenteuer von Tim und Struppi“ machen. Das Resultat mit „Das Geheimnis der Einhorn“ aus dem Jahr 2011 kennen Sie.
Haben Sie tatsächlich Schauspieler-Enfant-terrible Klaus Kinski für „Jäger des verlorenen Schatzes“ die Rolle des Gestapo-Majors Toth (!) angeboten?
Ja, aber er lehnte höflich ab. Später hörte ich, dass er das Drehbuch „dümmlich und beschissen“ fand …
Steven Spielberg spricht über Stanley Kubrick
Ich weiß von der Kubrick-Familie, mit der Sie wie ich befreundet sind, dass Sie Stanley Kubrick sehr nahestanden. Gab es neben „A. I. - Künstliche Intelligenz“, der übrigens mein Lieblingsfilm von Ihnen neben „West Side Story“ ist, eine Möglichkeit einer anderen Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden?
Es stimmt, ich war sehr eng mit Stanley Kubrick befreundet. Ich kannte ihn persönlich seit der Zeit, als ich an „Jäger des verlorenen Schatzes“ gearbeitet hatte. Ende der 1970er Jahre kehrte Stanley Kubrick in die Elstree Studios in Borehamwood zurück, um seinen psychologischen Horrorfilm „Shining“ mit Jack Nicholson zu drehen. Kubrick hatte zuvor Großteile von „Lolita“, „2001: Odyssee im Weltraum Odyssey“ und „Uhrwerk Orange“ vor Ort gedreht und blieb nach „Shining“ in Hertfordshire. George Lucas, der 1976 „Krieg der Sterne“ und zwei weitere Fortsetzungen in England gedreht hatte, empfahl mir, auch nach Borehamwood zu gehen, wo ich dann die „Indiana Jones“-Trilogie realisierte. Für die Reihe wurde dort extra eine neue, große Bühne gebaut. Stanley bereitete also „Shining“ vor und ich „Jäger des verlorenen Schatzes“. Er lud mich dann zum Abendessen in sein Haus ein, ich glaube, es war im November 1979, und wir blieben enge Freunde bis zu dem Tag, an dem er starb. Ich bin wirklich geehrt, ihn zu so lange persönlich gekannt zu haben. „2001: Odyssee im Weltraum“ war nicht nur für mich der eigentliche Urknall der Filmgeschichte. Der einzige Film, den wir zu seinen Lebzeiten gemeinsam zusammen machen wollten, war „A. I.: Künstliche Intelligenz“; erstaunlicherweise war es seine Idee, dass er diesmal nur produzieren wollte. Ich sollte Regie führen, weil er meinte, dass die geradezu epische Erweiterung von Brian W. Aldiss Kurzgeschichte „Supertoys Last All Summer Long“ mit ihrem modernen „Pinocchio“-Motiv, bei mir, was die Inszenierung betrifft, in besseren Händen wäre. Doch, wo sie mich jetzt fragen, bin ich froh, eine Kooperation mit Stanleys Witwe Christiane Kubrick und ihrem Schwager, Ausführenden Produzenten sowie jetzigen Nachlassverwalter Jan Harlan zu verkünden. Für den Sender HBO wollen wir gemeinsam eine siebenteilige „Napoleon“-Serie in Angriff nehmen, die auf Stanleys Original-Drehbuch basiert. Es soll wirklich eine große Produktion werden!
Oskar Werner sollte 1969 die Titelrolle in Stanley Kubricks nicht realisiertem „Napoleon“-Projekt spielen. Sind Sie dem Ausnahmedarsteller jemals begegnet? Ich finde, er hätte sehr gut in einen oder mehrere Ihrer Filme gepasst.
Es freut mich, dass Sie das sagen, denn Oskar Werner gehört seit „Jules und Jim“ zu meinen Lieblingsschauspielern. Ich habe ihn nie getroffen, was ich sehr bedauere. Er hätte tatsächlich sehr gut in einem Film von mir gepasst. Mit seiner unbestechlichen Intelligenz hätte er hervorragend den Wissenschaftler in „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ spielen können, doch den Part hatte ich schon François Truffaut, seinem Regisseur aus „Jules und Jim“ und „Fahrenheit 451“, angetragen. Meine favorisierte Performance von Oskar Werner ist die des fanatischen, aber gerechten jüdischen DDR-Abwehrchefs Fiedler in Martin Ritts Anti-James-Bond-Thriller „Der Spion, der aus der Kälte kam“, wo er an der Seite von Claire Bloom und Richard Burton brillierte und zu Recht einen Golden Globe erhielt. Dafür hätte Oskar auch den Oscar verdient gehabt, ebenso wie für „Das Narrenschiff“.
Für Steven Spielberg sind alle seine Filme wie Kinder
Haben Sie eigentlich selbst einen Favoriten unter Ihren eigenen Filmen?
Das mag jetzt wie ein Klischee klingen, aber alle meine Filme sind meine Kinder.
Und was war die größte Herausforderung Ihrer Karriere?
„Der weiße Hai“ war der härteste Dreh, den ich jemals erlebt habe. Ich war noch nicht so erfahren für ein Großprojekt wie darauf bei „Unheimliche Begegnung der dritten Art“.
Das hat mir sogar Richard Dreyfuss, Ihr Hauptdarsteller aus beiden Filmen, im Interview bestätigt.
Na, sehen Sie! Und der emotionalste, den ich je gemacht habe, ist lange Zeit „Schindlers Liste“ gewesen. Doch jetzt ist es, ohne zu sehr Reklame betreiben zu wollen, mit Sicherheit „The Fabelmans“. Das ist mein persönlichster Film geworden, der in fiktionalisierte Form von meinen Eltern, meinen Schwestern und meiner Leidenschaft für das Kino erzählt. Ich habe hier aber auch erstmals seit „A. I.: Künstliche Intelligenz“ wieder am Drehbuch mitgeschrieben. In der Hochphase der Corona-Pandemie, als ich mit meiner Familie inklusive Hund in meinem Haus regelrecht festsaß, fragte ich mich, welchen Stoff ich noch unbedingt auf die Leinwand bringen wollte. Daraus wurden „The Fabelmans“. Der Film steckt voller lustige Episoden, handelt aber auch traumatische ab. Und das war wirklich sehr aufwühlend für mich.
Interview: Marc Hairapetian