Spargel versaut uns den ganzen Frühling und jede Kochshow!

Kochsendungen erfreuen sich in Deutschland großer Beliebtheit. Doch in den nächsten acht Wochen werden sie nicht den gewohnten hohen Standard bieten.
Frankfurt - In der Fernsehkultur der Bundesrepublik sind sie das Format, auf das sich Groß und Klein, Alt und Jung neben der ARD „Tagesschau“ noch einigen können: Kochsendungen. Seit der Gründung des Fernsehens brutzeln sich tagein, tagaus Heere von Köch:innen durch die deutschen Fernsehstudios und erobern so die Herzen ihres Publikums. Dass dabei Betriebsunfälle wie die Erfindung des Toast Hawaiis geschahen, darüber dürfen wir getrost hinwegschauen. Die Verdienste des Formats sind zu groß: Es gab in der wiedervereinten Bundesrepublik nichts, was die Menschen in den alten und neuen Bundesländer näher hat zusammenrücken lassen, als die Möglichkeit, dreizehn Jahre lang Alfred Biolek in seiner Kochshow „alfredissimo!“ dabei zuzuschauen, wie er sich Freitagsmittags innerhalb einer halben Stunde eine ganze Flasche Rotwein einverleiben konnte.
Das Kochen im laufenden Fernsehprogramm ist mittlerweile ein Statussymbol im Televisions-Business. Frühstücksfernsehen und Mittagsmagazine, regionale Journale und abendliche Unterhaltungsshows – eine Produktion, die etwas auf sich hält, stellt sich einen Kochaltar in das Fernsehstudio. Dahinter steckt schließlich eine ganz einfache Rechnung: Je bekannter der Koch, je höher die Gage, umso angesehener die Sendung. Denn Fernsehköch:innen sind nicht nur Meisterinnen und Meister ihres Fachs. Nein, sie sind Magier:innen der klugen Unterhaltung. Sie sind der stabile Kochlöffel, an dem sich jede:r in Deutschland festhalten kann.
Kochsendungen in Deutschland: Spargel ist das Holz gewordene Wasser der Erde
Wäre da nicht alljährlich die Spargelzeit. Sie folgt jedes Jahr direkt im Anschluss an die zwei Wochen, in denen der Bärlauch im Interesse der Fernsehküche steht und wir dutzende unterschiedliche Rezepte für Bärlauch-Pesto kennenlernen dürfen, und dauert traditionell bis zum 24. Juni, dem Johannistag, an. Keine Jahreszeit ist so folgenreich für die Mattscheiben der Republik. Denn Spargel versaut uns nicht nur den Frühling, sondern auch noch jede Kochshow!
Auf den Sendeplätzen, wo das restliche Jahr über confiert und pacorisiert, gestampft und paniert, gebraten und frittiert wird, verschwenden Sterneköch:innen Lebens- und Sendezeit damit, ihrem Publikum weißmachen zu wollen, dass es doch tatsächlich eine annehmbare Zubereitungsform von Spargel gäbe. Spargel, das Holz gewordene Wasser der Erde. Gesegnet mit einer markanten faserigen Konsistenz und der Gabe, den Toilettengang eines jeden Menschen zu einem Geruchserlebnis der Güteklasse „Chemieunfall im Industriepark Frankfurt-Höchst“ zu verwandeln.
Während die Zuschauerinnen und Zuschauer nach Inspiration für ihre heimischen vier Herdplatten dürsten, müssen sie sich damit zufrieden geben, wie Fernsehköch:innen zehn Wochen lang eine Butterorgie im TV veranstalten. Denn was hilft bekanntlich, wenn das Essen nicht schmeckt? Exakt: Fett. Und so wird im Fernsehen wochenlang flüssige Butter über Spargelstangen geschüttet. Die Oberarme der Köch:innen müssen schmerzen, so viele Buttersaucen (unter anderem Beurre blanc, Sauce Hollandaise oder Sauce béarnaise) werden angerührt. Und die Schalenabfälle des Gemüses mit der phallischen Form werden mit Unmengen Sahne verdünnt und als dem Publikum als Suppe verkauft. Die drei Schnittlauchröllchen, die zum Schluss in den Suppenteller gelegt werden, machen hieraus auch kein kulinarisches Kunstwerk.
Spargelwochen im Fernsehen: Das Ende der Durststrecke ist absehbar
Schafft der Spargel den Weg in den Topf nicht, wird er entweder als Salat getarnt in dicke Vinaigrettes eingelegt oder so lange auf den Grillrost gelegt, bis das überteuerte Edelgemüse halb verkohlt ist – aber dafür eben nicht mehr nach Spargel schmeckt. Apropos überteuert: Die Krönung der Spargelwochen im Fernsehen ist erreicht, wenn die Gemüse-Stangen, die völlig überzogene 24 Euro das Kilo kosten und nebenbei auch noch von Saisonarbeiter:innen unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen gestochen wurden, als „Klassiker“-Gericht in den billigsten und fettigsten Formvorderschinken gewickelt werden, damit man auch ja nichts vom Spargel bemerkt.
Noch sind es acht Wochen, in denen das Kochfernsehen leider nicht den gewohnt hohen Standard bieten wird. Und bis dahin steht leider in vielen Haushalten der Republik Kochshow-Detox auf dem Diätplan. Das Ende der Durststrecke ist aber absehbar, bis sich die Zuschauer:innen Ende Juni wieder entspannt auf die Couch legen und ihre wohlverdiente Kochsendung schauen können. Bis dahin können sich viele jedoch mit dem Blick in das gute alte Kochbuch trösten. (Moritz Post)