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„Scream 6“ im Kino: Nachts im Horror-Museum

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Von: Daniel Kothenschulte

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Courteney Cox als Gale Weathers in einer Szene des Films „Scream VI“.
Courteney Cox als Gale Weathers in einer Szene des Films „Scream VI“. © dpa

In seiner sechsten Ausgabe geht der selbstironische Horrorreihe das Referenzmaterial aus: Man zitiert sich nur noch selbst.

Sag nie in einem Horrorfilm, dass du gleich wiederkommst – dann erwischt es dich garantiert als nächstes“, lautete der Ratschlag eines jungen Videoenthusiasten in Wes Cravens Alptraum „Scream“. Natürlich bewahrheitet sich dies wenig später auf das Grausigste. 1996, zwei Jahre nach dem Welterfolg von Tarantinos „Pulp Fiction“, gelang Produzent Harvey Weinstein im Horror-Genre ein phänomenaler Erfolg mit einem ähnlichen Ansatz: Die Filmkritik prägte das Wort „meta horror“ für den selbstreflexiven Stil eines aus der Fan-Perspektive erneuerten Genrekinos.

Der junge Autor Kevin Williamson hatte das Drehbuch, für das Weinstein 400 000 Dollar ausgab, angeblich in nur drei Tagen geschrieben – bis 2011 ließ er noch drei Fortsetzungen folgen und variierte seine Methode unter anderem in dem ähnlich erfolgreichen Teenie-Horrorfilm „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“. Keines der alten B-Film-Genres ist in Hollywood seither kontinuierlich so einträglich gewesen, ist eine so beständige Größe in krisenhaften Zeiten.

Als im vergangenen Jahr „Scream 5“ herauskam, sieben Jahre nach dem Tod von Wes Craven, schien es, als sei der Maskenmann mit dem Messer niemals weg gewesen. Nur „meta horror“ sagt inzwischen niemand mehr – die ironische Selbstbespiegelung ist inzwischen selbstverständlich, dem Genre förmlich eingeschrieben. Die Parodie ist eins mit ihrem Objekt geworden, verschwunden ist jene „dumme“ Videothekenware, über die man sich so smart lustig machen konnte. Nicht genug, was die jungen Opfer zu ertragen haben – nicht einmal die Unwissenheit über ihre formelhafte Kino-Existenz bleibt ihnen vergönnt.

Im Gegenteil: besondere Expertise bringt sie erst recht in Gefahr. Das erste Objekt einer spektakulären Slasher-Attacke in „Scream 6“ ist ausgerechnet eine junge Filmprofessorin. Samara Weaving spielt sie in Erinnerung an ihren eigenen Ruhm als „scream queen“ in „Ready or Not“.

Der blutige Tod der attraktiven Frau weckt Erinnerungen an Vorwürfe der Frauenfeindlichkeit, denen der hier nicht mehr involvierte Kevin Williamson häufig ausgesetzt war. Über die Ambivalenz der Frauenrollen im Slasher-Film zwischen menschlichem Schlachtvieh, identifikationsstiftenden Überlebenden und ruchlosen Rächerinnen veröffentlichte die feministische Filmwissenschaftlerin Carol Clover 1992 ihr einflussreiches Buch „Men, Women, and Chainsaws: Gender in the Modern Horror Film“.

Als ich 2007 den Regisseur Robert Rodriguez in einem Interview zu „Planet Terror“ auf Clovers „Final Girl“-Theorie ansprach, antwortete er offen: „Das habe ich nie gehört! In meinem Filmen gab es ja meistens männliche Helden, mit denen ich mich als Autor identifizieren konnte.“

„Niemand dreht Sequels“

Wenn hier eine New Yorker Professorin der Mordlust jenes Genres zum Opfer fällt, über das sie selber lehrt, ist das als Seitenhieb auf die akademische Filmkritik zu verstehen. Im weiteren Verlauf des Films bleibt es wie in den Vorgängerfilmen den Stellvertretern und Stellvertreterinnen der Fans auf der Leinwand vorbehalten, Metaebenen zu benennen. Unter den vier Überlebenden des Vorgängerfilms, die nach New York gezogen sind, ist Mindy (Jasmin Savoy Brown) die große Cinephile: „Niemand dreht mehr ‚Sequels‘“, belehrt sie die Gruppe, es gebe nur noch „Franchises“.

Deren angebliche Regeln werden somit schon früh im Film offengelegt. „Erwartungen werden unterlaufen! Alles wird größer! Besondere Starqualitäten kommen zum Einsatz.“ Größer ist der Film schon auf den ersten Blick durch die Verlegung des Spielorts nach New York – auch wenn tatsächlich im billigeren Montreal gedreht wurde. Die Laufzeit von 123 Minuten ist die längste eines „Scream“-Films, und es gibt sogar eine 3D-Version, wenn man denn ein Kino findet, das sie spielt.

Natürlich können sich die Provinzflüchtlinge im Big Apple zu keinem Zeitpunkt sicher fühlen. „Ghostface“ scheint sich den achten Teil von „Freitag, der 13.“ zum Vorbild genommen zu haben, der da hieß: „Todesfalle Manhattan“. Die eine, wirklich grandiose Ensembleszene, die inmitten aller nicht uneitlen Selbstparodie-Momente im Gedächtnis bleiben wird, spielt zu Halloween in der U-Bahn. Im flackernden Neonlicht drängen sich maskierte Jugendliche, gleich mehrere gehen als „Ghostface“, aber auch andere Horror-Ikonen sind vertreten.

Natürlich denkt man sofort an die Pandemie zurück, die hier entfesselter Freiheit gewichen ist – und einem ganz eigenen Maskenzwang. Selbst Mindy wüsste im flackernden Neonlicht zwischen den vielen Imitaten das gefürchtete Original nicht auszumachen. So kunstvoll, wie die Regisseure Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillet hier mit Licht und Schatten spielen, rufen sie zugleich einen großen Moment aus Todd Phillips’ „Joker“ in Erinnerung.

Nur den Messermorden widmen sie noch größere Aufmerksamkeit. Sie sind choreografiert wie Musicalnummern, was ihre grausige Überdeutlichkeit zugleich mildert. Auch wenn sie dem Film eine Freigabe „ab 18“ eingetragen haben, wirken sie doch derart ins Überwirkliche überhöht, dass sie weit weniger verstörend wirken als der psychologische Horror, aus dem sie einmal kamen – Hitchcocks „Psycho“ und seine vielen Nachfolger.

Der Erfolg scheint diesem Film sicher. Aber es hat schon etwas Trauriges: In Ermanglung wirklicher Geheimtipps aus der Genregeschichte oder jenem diffus schillernden Reiz obskurer Videoware, der es ursprünglich inspirierte, verliert sich die Reihe in Selbstzitaten. Ein zentraler Spielort ist gar ein ehemaliges Kino, in dem ein „Ghostface“-Fan seine Devotionaliensammlung aus allen früheren Filmen in Vitrinen arrangiert hat. In seiner sechsten Ausgabe erklärt sich „Scream“ selbst zum Museum – und gefällt sich in einer bedauernswerten vampirischen Existenz.

Scream 6. USA 2023. Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillet. 123 Min.

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