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„Schussbereit – Deutschland bewaffnet sich“ (ZDFinfo): Der falsche Fokus

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Von: Jendrik Walendy

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„Schussbereit - Deutschland bewaffnet sich“: Mehrere Pistolen in Nahaufnahme auf einem Ständer.
Deutschland zählt mehr als 9000 Straftaten mit Schusswaffen pro Jahr - stündlich eine. Kriminologen und Psychologen erforschen die offenbar wachsende Lust an Schusswaffen. © Tobias Lenz/ZDF

Die TV-Dokumentation „Schussbereit – Deutschland bewaffnet sich“ (ZDFinfo) endet mit einem starken Statement, ist aber an anderen Stellen zu wenig meinungsfreudig.

Frankfurt – In ihrer neuen Reportage werfen die Regisseure Michael Freund und Richard Rüb einen Blick auf den privaten Waffenbesitz in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dabei versammeln sie Stimmen von Waffenhändlern, Sportschütz:innen, Politiker:innen sowie Psycholog:innen, die über den Stand der Waffengesetze und deren potenziell tödliche Folgen berichten.

Dabei wird klar, dass die deutsche Waffengesetzgebung im internationalen Vergleich nicht besonders streng ist, wie auch die Zahlen belegen: Für den Besitz von Waffen braucht es in Deutschland einen von drei Waffenbesitzscheinen, je nach Waffengattung. Insgesamt mehr als 1,7 Millionen solcher Scheine sind in Deutschland ausgestellt, wobei einige Waffenbesitzer über ganze Arsenale verfügen. So zeigt die Dokumentation einen ehemaligen Soldaten der Luftwaffe, dessen Sammlung über 1000 Schusswaffen beinhaltet. An anderer Stelle sagt sogar der Waffenhändler Adrian Schäfer, der auch die Vernichtung alter Waffen übernimmt: „Die Bestände sind in Deutschland immens.“

„Schussbereit – Deutschland bewaffnet sich“ am 28.12.2021 in ZDFinfo

Waffenbesitzer und -lobbyisten, die in „Schussbereit – Deutschland bewaffnet sich“ ausführlich zu Wort kommen, reden dabei gerne von „Sportgeräten“. Wie ein Mantra wird außerdem betont, dass nicht Waffen gefährlich seien, sondern die Menschen. Ein ehemaliger Polizist, der in der Schweiz ein Training für Gefechtssituationen anbietet, sagt, man dürfe nur nicht „die bösen Leute bewaffnen“. Michael Freund und Richard Rüb lassen sich Zeit, diese teils schockierend schlichten Positionen zu sammeln und erst nach und nach kommen in der Reportage Menschen zu Wort, die eine kritische Einstellung vertreten.

„Je höher die Verfügbarkeit von Waffen, desto wahrscheinlicher die tödliche Anwendung“ erklärt die Gießener Kriminologin Britta Bannenberg. So erklärt sich auch die hohe Anzahl von tödlichem Schusswaffengebrauch in Privathaushalten der Schweiz, wo Wehrpflichtige ihre Waffen nach Ableistung des Dienstes behalten dürfen. Die Täter, fügt Bannenberg hinzu, seien meistens Männer.

Auch die Fürsprecher:innen von privatem Waffenbesitz, das wird beim Anschauen der Dokumentation auf ZDFinfo deutlich, sind zumeist weiße Männer. Michael Freund und Richard Rüb bemühen sich, dies aufzubrechen und auch jemanden wie die Influencerin Carolin Matthie zu Wort kommen zu lassen. Dabei zeigen sich aber auch die Fallstricke des Bemühens, ausgewogen zu berichten. Populistische Positionen wie die Matthies, dass nach einem Mord mit einer Schusswaffe nicht „alles verboten“ werden dürfe, weil man dann „wieder in der Höhle“ sitze, werden unwidersprochen wiedergegeben. Zahlen über tödlichen Schusswaffengebrauch, die mit der Anzahl an Schusswaffen im Umlauf korrelieren, rahmen lediglich die Interviews, ohne wirklich Argument zu werden.

TV-Doku „Schussbereit – Deutschland bewaffnet sich“ entwickelt keine eigene Position

So bleibt „Schussbereit – Deutschland bewaffnet sich“ am Ende eine Anhäufung von Meinungen und Interessen, ohne dass die Dokumentation eine eigene Position entwickelt. Auch der Einsatz von dramatischer Musik und Zeitlupenaufnahmen am Schießstand zeugen in formaler Hinsicht nicht von kritischer Berichterstattung. Trotzdem vermitteln Freund und Rau einen Einblick in das Phänomen, das in seiner Ausprägung zur Besorgnis stimmt: Jeder fünfte Deutsche besitzt heute eine Schusswaffe. Darüber hinaus sind mehr als 30.000 Waffen in Deutschland als vermisst gemeldet und werden zum Großteil im illegalen Waffenhandel vermutet. Die Dokumentation bezieht diese Zahlen nur auf das Vorjahr und stellt eine Steigerung fest. Als deutlicheren Vergleich ließe sich dazu sagen, dass diese Anzahl reichen würde, um das gesamte belgische Militär mit Waffen auszurüsten.

Die ZDFinfo-Dokumentation zeigt in Einspielern immer wieder die Folgen von legalem wie illegalem Waffenbesitz, indem sie Attentate der letzten Jahre heranzieht und herausstellt, wie die Schützen an die Tatwerkzeuge gekommen sind. Auffallend dabei ist, dass die Täter:innen zumeist auf legale Weise an die Waffen gelangten. Auch Stephan Kramer, der Präsident des Verfassungsschutzes Thüringen weist daraufhin, dass „insbesondere Rechtsextreme versuchen, legal Waffen zu besorgen“, zumeist über Sportschützenvereine und Jagdscheine. Die politische Tragweite dieser Tatsache kratzt „Schussbereit – Deutschland bewaffnet sich“ leider lediglich an. Fälle wie der des rechtsextremen Soldaten Franco A. und des Hannibal-Netzwerkes zeigen, in welchem Ausmaß die rechte Szene seit Jahren aufrüstet und wie unangemessen dagegen die Plädoyers für freien Zugang zu Waffen sind, denen die Dokumentation so viel Raum gewährt.

„Schussbereit – Deutschland bewaffnet sich“ (ZDFinfo)

Dienstag, 28. Dezember 2021, 23.10 Uhr, ZDF-Mediathek (Video verfügbar bis 27.06.2026)

Eine eigene Waffe als Schutz gegen Attentäter, das hält auch Said Etris Hashemi für den „komplett falschen Punkt“. Hashemi, der den Anschlag von Hanau knapp überlebte, aber seinen Bruder verlor, plädiert stattdessen für eine „freundliche Gesellschaft, wo wir miteinander leben“. Dass Michael Freund und Richard Rau mit seinen Worten enden, ist ein starkes Statement dieser an anderen Stellen zu wenig meinungsfreudigen Dokumentation. (Jendrik Walendy)

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