Die Schöne und das Tier
Es dürfte das Kino-Comeback des Jahres werden: Das grandiose Psychodrama "Black Swan" mit Natalie Portman überrascht die Kinobesucher. Dieser Ballettfilm führt über Blut, Schweiß und Tränen zum Höhepunkt der Tanzfilmwelle.
Schon die ersten deutschen Previews von „Black Swan“ sind in diesen Tagen ausverkauft, in Köln endete am Montag eine Vorführung vor zahlendem Publikum in spontanem Applaus. Betreiber von Art-House-Kinos dürfen sich also auf einiges gefasst machen: Dieser Film bringt ihnen nicht nur das flüchtige junge Publikum zurück. Wie die meisten Tanzfilme lockt er erst einmal die weibliche Klientel; doch wie kaum ein Tanzfilm entzückt er zugleich die vielleicht etwas unwillig mitgekommenen Jungs – durch ein erst dezentes, dann schonungsloses Abtauchen in den herrlichsten psychologischen Horror.
Es ist ein weiter Weg von den abgetakelten Kampfarenen aus Darren Aronofskys letztem Filmdrama “The Wrestler? zu den hauchzarten Choreographien von New Yorks weltberühmter Ballet Company. Doch der Amerikaner hat die direkte Abkürzung gefunden: Sie führt, man hätte es bei diesem Filmemacher ahnen können, über Blut, Schweiß und Tränen. Es fließt eine Menge davon in „Black Swan“, allerdings nicht in den vorgezeichneten Bächlein klassischer Backstage-Dramen oder Fernsehshows wie „Amerika sucht den Superstar“. Dieser grandiose Ballettfilm ist so schwarz wie sein Schwan, der in Tschaikowskys Ballet eine unbefleckte Artgenossin in den Selbstmord treibt.
Einen „Klassiker – neu gesehen“ verspricht auch Vincent Cassel als ehrgeiziger Star-Choreograph seinen Sponsoren. Schnell balgen sich alle besseren Tänzerinnen der Kompanie um die Hauptrolle, auch wenn die Ansprüche kaum zu erfüllen scheinen: In der Doppelrolle von weißem und schwarzem Schwan sollen Unschuld und Bosheit wie aus einer Wurzel zusammenwachsen. Natalie Portmans Nina gewinnt das Rennen knapp vor einer Rivalin. Doch die, wie es scheint der personifizierte schwarze Schwan, gibt sich noch lange nicht geschlagen.
Minutiös zeichnet Aronofsky die Porträts zweier junger Frauen, die gegensätzliche künstlerische Temperamente repräsentieren: Da ist die engelhafte Portman, die Kunst durch Perfektion definiert. Doch diese Makellosigkeit mag zwar vorzüglich zum Ideal der Unschuld des weißen Schwans Odette passen - die Düsternis der Odile hingegen scheint ihr völlig fremd. Anders ihrer Rivalin, der vom ukrainischen Jungstar Mila Kunis verkörperten Lilly: Sie tanzt nicht fleißig, sondern lässig. Alles scheint ihr zuzufliegen, als sei sie mit dem Teufel im Bunde. Oder ist es vielleicht nur Ninas Eifersucht, die in ihrer Sorglosigkeit das schlechte sieht?
"Black Swan" erinnert an Hitchcocks "Psycho"
Ninas Argwohn wäre ja schon einmal so ein kleines Saatkorn des Bösen, auf die der Choreograph mit seinem psychologischen Inszenierungsstil aufbauen könnte. Auf dass ein schwarzer Schwan daraus erwachse. Mit perfidem Ehrgeiz, aber auch der sexuellen Enthaltsamkeit eines Andy Warhol, arbeitet der an der Zerstörung von Ninas Unschuld. Doch was er nicht wissen kann: Daran hat sich schon jemand anderes erprobt. Nina ist das Opfer der vergifteten Liebe einer ehrgeizigen Mutter. Unwillkürlich muss man an Hitchcocks „Psycho“ denken: Ihre vergiftete Liebe wäre selbst für einen Norman Bates eine echte Herausforderung.
Es wunderbar, in dieser großen Nebenrolle Barbara Hershey wieder zu sehen, diese großartige Schauspielerin, die in ihrer reflektierten Natürlichkeit einmal das Idol der Post-Hippie-Ära war. Doch alle Aggression, die ihre Figur in der Tochter weckt, richtet diese gegen sich selbst. Sie schindet ihren Körper mehr als ihr gut tut, und der Weg des armen Schwans in Selbstmord scheint ihr selbst nicht fremd. Aronofsky stellt es nicht heraus, aber so wie sein „Wrestler“ die pervertierten Ideale einer veräußerlichten Männlichkeit im Fitness-Wahn thematisierte, so gilt seine Warnung hier der Magersucht und den fatalen Folgen des weiblichen Schönheitskults der Size-Zero-Generation. Doch, wie gesagt, hier ist er sehr dezent: darauf aber soll sein Publikum schon selber kommen.
Ebenso interessant ist dieser Film in seiner Haltung zum Perfektionismus im Klassik-Betrieb: Diese selbst zerstörerische Elevin könnte auch eine übertrainierte Pianistin sein. „Black Swan“ feiert die Vollkommenheit klassischer Tanzkunst, der Film macht große Lust, sich „Schwanensee“ auch auf der Bühne anzusehen. Doch er warnt vor dem gnadenlosen Blick auf entmenschlichte Perfektion. Dafür horcht er tief hinein in Tschaikowskys Musik, die Filmkomponist Clint Mansell subtil mit elektronischen Mitteln fortschreibt.
Wer hätte gedacht, dass man in einem derart satt gehörten Stück der populären Klassik noch diesen finsteren Sog aufspüren kann? Doch man hört nicht nur Pjotr Iljitsch mit neuen Ohren: Hier schwelgt ein Virtuose des Kinos in großen Kinogesten, die mancher andere Regisseur längst in die Mottenkiste des Überstrapazierten abgeschoben hat. So wie mancher Choreograph das alte Schwanen-Tütü. Die Auferstehung ist umso großartiger. Es ist, als habe man „Die roten Schuhe“, den todessehnsüchtigen Technicolor- Klassiker von Powell und Pressburger, gekreuzt mit Brian de Palmas Horrormärchen „Carrie“.
Es ist wahr - all diese bewährten Psycho-Versatzstücke kamen nur notdürftig abgestaubt aus dem Hitchcock’schen Fundus. Aber wie Natalie Portman alle Facetten unterdrückter Lust hervorzaubert, dabei binnen weniger Taktschläge zwischen Schönheit und Schrecken changiert, das ist faszinierend bis zum letzten Augenblick. Nicht nur der Klassiker „Schwanensee“ ist auferstanden. A star is re-born. Vorgestern erhielt sie dafür einen Golden Globe und auch den Oscar wird ihr kein schwarzer Schwan mehr streitig machen. Das einzige was diesem Film zu jener Perfektion fehlt, die sich seine Heldin so bitter ertanzen will, sind wirklich große Tanzszenen. Aber Aronofskys ist eben ein Choreograph der filmischen Mittel, und so tanzen eben Farben und Schnitte auf der Leinwand. In der New Yorker Tanzszene war er bei seinen Recherchen im übrigen nicht gerade mit offenen Armen empfangen worden: “Normalerweise freuen sich ja die Leute, wenn man Filme über ihre Arbeit macht?, sagte der Regisseur bei der Premiere in Venedig. „Aber nicht beim Ballett. Die haben doch nicht mal zurückgerufen!“ Umso mehr Anrufe dürften dafür jetzt bei den Ballettschulen eingehen.
Black Swan. USA 2009. Regie: Darren Aronofsky. Mit Natalie Portman, Mila Kunis, Vincent Cassel, Barbara Hershey. 108 Min.