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Worauf sich Boomer und Millennials einigen können: „Herzblatt“ ist zurück

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Von: Moritz Post

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Dating-Game auf Sat.1: Großartig! Und zum Glück einmalig.
Dating-Game auf Sat.1: Großartig! Und zum Glück einmalig. © Screenshot Sat.1

Die Neuauflage von „Herzblatt“ bei Sat.1 ist wie eine Ü30-Disco, in der man die Musik ausgedreht hat. Die TV-Kritik.

Berlin – Stefan, der Mundharmonika spielende Linienbusfahrer aus Köln, war vor 32 Jahren schon einmal beim Herzblatt. Damals wurde der Klassiker in der ARD von Rudi Carrell moderiert. Und auch im Jahr 2023 hat Stefan sein Herzblatt gefunden: Sat.1 hat die Flirtshow nun mit Jörg Pilawa unter dem Namen „Dating Game“ für ein einziges Mal neu aufgelegt – selbstverständlich mit der Kommentatorin Susi mit der anrüchigen Stimme aus dem Off. Und natürlich auch die von Pilawa beinahe ehrfürchtig anmoderierte Show-Wand, die den Blick zwischen der fragenden Person und den drei befragten Kandidat:innen versperrt.

Sat.1 gelingt in seinen „Kult-Show-Wochen“ mit „Dating Game“ ein Rückschritt in längst vergessen geglaubte Zeiten. Und was soll man sagen? Es ist auf befremdliche Art und Weise großartig! In höchstem Maße anzügliche Flirt-Fragen und -Antworten der längst vergessen geglaubten „Alten Schule“ lassen dem Publikum den Atem stocken.

„Herzblatt“: Nackenhaare stehen vor lauter Fremdscham

In feinstem Fränkisch, Kölsch, Pfälzisch, Sächsisch und Schwäbisch flirten (oder eher brunften) sich Männer und Frauen von der Boomer- bis zur Millennial-Generation vor laufender Kamera an. Einzig den heute 18-jährigen Zuschauer:innen aus der Generation Z, die bei der Einstellung des ARD-„Herzblatts“ noch nicht geboren waren, werden sich die Nackenhaare vor lauter Fremdscham und Direktheit aufstellen.

In medias res: Schon der erste Kandidat des Abends legt die Niveau-Latte im wahrsten Sinne des Wortes bedenklich niedrig. Denn Denis erzählt nicht nur, dass er sich sein Lebensmotto unter die Haut hat stechen lassen. Nein: Der tiefgründige Sinnspruch entpuppt sich außerdem als lediglich aus dem Wort „Augenhöhe“ bestehend und nach Aussage des Kandidaten „etwas tiefer als die Hüfte“ befindlich.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Moderator Jörg Pilawa tut es auf jeden Fall und bringt Kandidatin Tamara dazu, quietschfidel zu verlautbaren, dass diese sich das Rezept ihrer Lieblingslasagne tätowieren lassen würde, damit Kandidat Denis sie erst ausziehen müsse, um sie danach bekochen zu können. Kommentatorin Susi lässt sich diese Steilvorlage für eine anzügliche Kandidatinnen-Vorstellung zum Abschluss der Fragerunde nicht nehmen.

„Herzblatt“ auf Sat.1: Ungeschönte deutsche Dating-Realität

Und das mit Erfolg! Denis, der sich selbst als Gentlemen bezeichnet, entscheidet sich letztlich also für Tamara. Und um das Glück der zwei Flirt-Profis ins Unermessliche zu steigern, spendieren Jörg Pilawa und Sat.1 den beiden einen Wellness-Trip nach Bremen. Romantik auf deutschem Privatfernsehen-Niveau der späten 80er Jahre. Einfach großartig!

In Zeiten von Tinder, Bumble, OkCupid und Grinder zeigt „Dating Game“ auf Sat.1 uns eine Form des Flirtens, das scheinbar in Vergessenheit geraten war. Aufwändig produzierte Flirt-Formate im TV wie „der Bachelor“ und „die Bachelorette“, „Adam sucht Eva“, „Temptation Island“ und wie sie alle heißen stellen dem Publikum unrealistische Dating-Szenarien.

Sat.1 hingegen zeigt seinen Zuschauer:innen die ungeschönte deutsche Dating-Realität: Die Neuauflage von „Herzblatt“ ist wie eine Ü30-Disco, in der man die Musik ausgedreht hat. Großartig! Und zum Glück einmalig. (Moritz Post)

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