1. Startseite
  2. Kultur
  3. TV & Kino

Maischberger im Interview: „Nicht mein Sender ist mein Auftraggeber, sondern das Publikum“

Erstellt:

Von: Marc Hairapetian

Kommentare

Sandra Maischberger in ihrer ARD-Talkshow im WDR Studio B. in Köln am 29.11.2022.
Sandra Maischberger moderiert seit 2003 die ARD-Talkshow „Maischberger“. © Robert Schmiegelt/Imago

TV-Talkmasterin Sandra Maischberger im Interview über ihre Sendung, das Publikum, die AfD, Querdenker, die Anfänge ihrer Karriere, ihren Sohn und Lieblingsfilme.

Frankfurt/Berlin- Ob in ihrer - stets kontrovers diskutierten - eigenen ARD-Sendung „Maischberger“ oder bei der Verleihung des „Ordens wider den tierischen Ernst“: Sandra Maischberger macht als Moderatorin immer eine souveräne Figur. Nach Ihrem Besuch beim „Fernsehsalon“, einem neuen Talk-Format in der Deutschen Kinemathek in Berlin, gibt die am 25. August 1966 in München geborene Journalistin, Moderatorin, Produzentin und Autorin in Personalunion unserem Mitarbeiter Marc Hairapetian selbst ein Interview, und zwar eines der ausführlichsten ihrer Karriere, wobei sie kritischen Fragen nicht ausweicht.

Sandra Maischberger im Interview mit FR.de von IPPEN.MEDIA

Marc Hairapetian: Wir sind hier nach der Aufzeichnung des „Fernsehsalons“, bei dem Sie zu Gast waren, in der Deutschen Kinemathek in Berlin. Die Kollegin, die Sie vor Publikum befragte, hat es sehr gut gemacht. Sie hat aber nichts zum Thema Film gefragt. Als kleines Brainstorming am Anfang: Können Sie mir drei Ihrer Lieblingsfilme aller Zeiten verraten und jeweils eine kleine Begründung geben?

Sandra Maischberger (überlegt): Interessanterweise ist mir durch den Tod von Gina Lollobrigida wieder „Der Glöckner von Notre Dame“ eingefallen, den ich schon als Kind als fantastischen Film geliebt habe. Nächste Epoche: Als junge Frau wahrscheinlich „Im Rausch der Tiefe“ von Luc Besson. Auch den Soundtrack mochte ich. Einer meiner Lieblingsfilme in den letzten Jahren war „Interstellar“. Auch ein guter Soundtrack und einer der besten Science-Fiction-Filme, die ich in Erinnerung habe.

Für mich ist der größte Science-Fiction-Film aller Zeiten „2001: Odyssee im Weltraum“ gefolgt von „Fahrenheit 451“.

Ich habe beide auch jüngst gesehen. Ich finde „2001: Odyssee im Weltraum“ ist nicht gealtert. Ich fand fantastisch, dass die Effekte, die, wie wir heute wissen, mit vergleichsweise rudimentären Mitteln hergestellt wurden, immer noch wirken. Bei „Fahrenheit 451“ bin ich bis auf Oskar Werner nicht ganz so überzeugt gewesen. Ein Film, den wir neulich mit unserem Sohn gesehen haben, war „Amadeus“ von Milos Forman. Und der hat immer noch eine große Klasse. Milos Forman war ein Künstler der besonderen Art.

Da finde ich auch den „Mozart“-Film mit Oskar Werner besser. Wenn er Johanna Matz, der von ihm auserwählten Pamina für „Die Zauberflöte“, nach ihren Worten „Die Liebe, die reine, wahre, nicht zu zerstörende Liebe“ groß anblickt und sagt „Man müsste der Gegenstand dieser Liebe sein“, kann das niemand besser spielen als eben Oskar Werner!

Ok, der ist jetzt auf meiner To-do-Liste beziehungsweise auf meiner To-see-Liste! Ich habe tatsächlich in meinem Handy eine Liste, die heißt „gucken und hören“. Aber es ist eher so, dass es sich meist darum handelt, welche Dinge ich zur Recherche für meine Sendung oder andere Produktionen noch sehen muss. Für einen Film, den wir machen, wurde mir beispielsweise Martin Scorseses „Casino“ empfohlen, aber man kann inzwischen zwar fast alles streamen, aber nicht diesen Film. Es gibt ihn bei YouTube nur in 22 Teilen, aber das macht keinen Spaß, ihn so anzusehen. Ich muss ihn mir tatsächlich bestellen.

Sandra Maischberger und unser Mitarbeiter Marc Hairapetian beim Interview in der Deutschen Kinemathek in Berlin
Sandra Maischberger und Marc Hairapetian beim Interview in der Deutschen Kinemathek in Berlin. © Christoph Voy

Sandra Maischberger über ihre Anfänge im Journalismus

Wir haben beide mit dem Journalismus, wo wir zwei auch Kommunikationswissenschaften studiert haben, früh angefangen.

Ich habe aber im Gegensatz zu Ihnen nur drei Tage Kommunikationswissenschaften studiert!

Warum haben Sie diesen Studiengang so schnell abgebrochen? Hat sich da etwa schon der bayerische Dickschädel durchgesetzt?

Nein, nein! (lacht) Die Wahl des Studiums war ein Irrtum. Es war an sich so, dass ich nach dem Abitur eigentlich geplant hatte – heute würde man es Sabbatical nennen –, eine Weltreise zu machen. Ich sagte mir: „Ich möchte jetzt erst einmal leben! Ich möchte reisen!“ Und dann kam es aber so, dass ich mich auf eine Anzeige des Bayerischen Rundfunks in der Süddeutschen Zeitung beworben hatte – und die nahmen mich. Das heißt, mit der Reise wurde es nichts, weil ich im Oktober auf Sendung ging. Im Juli das Abitur, die erste Sendung im Oktober, also dachte ich mir: „Dann kann ich jetzt auch gleich studieren“ Journalistik ging nicht, für die Anmeldung samt Numerus Clausus war es schon zu spät. Kommunikationswissenschaften klang ähnlich, aber ich hatte mich nicht so richtig damit beschäftigt, was da eigentlich gelehrt wird. Und das habe ich nach drei Tagen herausgefunden: Es war nicht das, was ich lernen wollte.

Immerhin erkannten Sie das nach drei Tagen …

Ja, denn ich wusste schlagartig: Das ist mir eine zu theorielastige Seite dessen, woran ich interessiert war, nämlich Journalismus. Ich habe dann weitergearbeitet. Nach einer Weile Freier Mitarbeiterschaft habe ich mich bei der Deutschen Journalistenschule beworben und wurde aufgenommen. Das ist eine Berufsausbildung. Das war sehr interessant dort, weil ich davor „Learning by Doing“ gemacht habe. Meine ersten Interviews habe ich sehr intuitiv geführt, auch die ersten Radiofeatures. Als ich auf der Journalistenschule war, hatte ich das Gefühl: Aha, ich esse zwar die ganze Zeit, aber hier bringt mir jemand bei, wie man Messer und Gabel hält. Das war eine Superergänzung. Nach einem Jahr und zwei Monaten war ich schon ausgebildete Redakteurin. Das war die Kompakt-Klasse, ohne Studium. In der wurden 15 Menschen pro Jahr ausgebildet, wie zum Beispiel Günther Jauch zehn Jahre vor mir.

Aber „Live aus dem Schlachthof“ haben Sie von ihm übernommen?

Ja, genau. Direkt nach der Schule.

Haben Sie nicht auch mal eine Rocksendung gemacht?

Richtig, im Radio. Und beim Fernsehsender Tele 5 habe ich eine Musiksendung moderiert. Das war noch vor „Live aus dem Schlachthof“.

Sie hatten damals noch eine New-Wave-Frisur!

New-Wave-Frisur? Das würde ich so nicht sagen. Ich hatte mich einmal als Frisuren-Modell für einer Freundin in ihrer Ausbildung als Friseurin zur Verfügung gestellt. Dann hat sie mir eine Dauerwelle auf die eine Seite gemacht und die Haare auf der anderen Seite geglättet. Das war aber Zufall. Wave war definitiv nicht mein Stil, auch nicht musikalisch.

Was ist Ihr Musikstil?

Das hat unterschiedliche Phasen gehabt. Ich habe mich aber relativ schnell mit schwarzer Musik wie Soul und Funk wohlgefühlt. Grunge hat mich in den 1990er Jahren wieder zur rockigeren Phase zurückgeführt. Eigentlich bin ich ein relativ klarer Fall von Querbeet, aber eben nicht zu elektronisch; da bin ich zu „Old School“ für. Ich weiß, dass ich Ende der 1980er Jahre nach einem Besuch in New York total begeistert von Rap war. Das war für mich neu. Grandmaster Flash! Alles sehr lange her.

Warum sich Sandra Maischberger als „Current Affairs“-Journalistin sieht

Nun sind Sie mittlerweile schon seit Jahren, ja, Jahrzehnten als Politikjournalistin unterwegs …

Ich würde sagen: „Current Affairs“! Ich war immer ein politischer Kopf als Journalistin und ich behandle mit Leidenschaft Politik. Aber eigentlich bin ich „Aktuelles“. Das ist ein bisschen breiter. Natürlich geht es um Politik, aber nicht so eng nur auf das konzentriert, was im Bundestag oder Bundesrat passiert, sondern es beinhaltet eben auch viel Gesellschaftliches, Soziologisches, Kultur und auch Unterhaltung. Prinz Harry wäre für uns zum Beispiel auch ein Thema, auch wenn das definitiv nicht politisch ist. Kurt Krömer war bei uns und hat über Depressionen gesprochen. Das alles gehört es zu „Current Affairs“, zu den Dingen, die gerade passieren.

Trotzdem hat man den Eindruck, dass, wenn man Ihre Sendungen oder die von Markus Lanz oder Maybrit Illner nimmt, immer wieder die Tagespolitik zum Tragen kommt. 

Markus Lanz ist ein interessantes Beispiel, weil er ganz anders gestartet ist. Ich glaube, bei der Flüchtlingskrise begann er politischer zu werden, weil es politische Zeiten waren. Nach der Flüchtlingskrise kam Corona. In diesen Zeiten wurden Talkshows sehr stark zu einem Ort, an dem erklärt wurde, was gerade passierte. Ich glaube, wir leben in Zeiten, in denen der Alltag stark von politischen Geschehen bestimmt ist. Vielleicht ändert sich das auch wieder.

Und inwiefern bedient Ihre Sendung auch den Populismus? 

Ich weiß ich nicht, wie Sie die Frage meinen. Ich finde, wir bedienen Populismus gar nicht. Vielleicht müssen Sie mir die Frage erklären.

Gern, ich habe die Frage ein wenig provokativ gestellt. Ich meine damit vor allem: Werden immer wieder die Gleichen in den TV-Talkshows eingeladen?

Ich würde sagen: nein, weil wir ein breiteres Spektrum haben.

Dennoch muss man sagen, dass es stets bekannte Leute und vor allem Politikerinnen und Politiker sind, die quasi die Runde von einer Talkshow zur anderen machen, wie etwa Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Ich habe letztens Kevin Kühnert bei der Filmpremiere zu „Rex Gildo - Der letzte Tanz“ getroffen. Er kam gerade von „Hart aber fair“ und wirkte regelrecht müde von dieser Art von Sendung.

Es gibt im politischen Feld Personen, die häufiger vorkommen, weil Ihre Positionen eine bestimmte Relevanz haben oder weil sie eine große Expertise in einem Thema haben. Karl Lauterbach ist ein gutes Beispiel dafür. Er ist nicht nur Politiker, sondern auch Epidemiologie und Arzt – in Corona-Zeiten eine einzigartige Kombination. Er konnte über die wissenschaftliche Seite und die politischen Handlungsebenen sprechen. Das ist ein Grund, warum einige häufiger kommen. Ein weiterer ist rhetorisches Talent. Anders als im angelsächsischen Raum wird an unseren Schulen kaum das Debattieren gelehrt. Vielleicht gibt es deshalb bei uns weniger Menschen, die rhetorisch in der Lage sind, gegenüber einem großen Publikum – und wir reden ja vom Massenmedium Fernsehen – so zu formulieren, dass man ihnen gut und gerne zuhören kann. Eine dritte Eigenschaft ist sicherlich auch der Bekanntheitsgrad. Wir versuchen immer, unbekanntere Menschen mit bekannteren einzuladen. Wer am späten Abend durch das Programm zappt, bleibt erst einmal da, wo er jemanden erkennt. Gerade, wenn es um einen Meinungsaustausch geht. Da interessiert eher der Standpunkt derer, die man kennt als von jemanden, den man zum ersten Mal sieht. 

Jetzt haben Sie selbst das Stichwort „Meinung“ gegeben. Manchmal haben auch Sie Gäste, die nach dem Motto „Viel Meinung, wenig wissen“ daherreden. So haben Sie die österreichische Journalistin Anna Schneider zum Thema „Klimakrise“ eingeladen, die davon nicht gerade viel Ahnung hat …

Ja, mag sein, dass sie sich in den wissenschaftlichen Verästelungen wenig auskennt. Aber sie steht für den Teil Menschen, die sich, obwohl sie sich nicht mit Wissenschaft beschäftigen, als Bürger trotzdem entscheiden müssen, was sie tun. Fahren sie Auto? Fliegen sie? Sparen sie Energie? Das sind lauter Dinge, die uns im Alltag als Bürger beschäftigen und da finde ich, kann man auch fragen: von dem, was du erfährst als Bürger dieses Landes, wie gehst du damit um? Sie war auch nicht der einzige Gast auf unserem Panel und ich würde sie nicht als Expertin zum Thema „Klimakrise“ befragen. Über politische Entscheidungen in diesem Feld kann sie ihre Meinung sehr wohl äußern.

Ich versuche natürlich, mich mit meinem Publikum gemein zu machen, weil ich für dieses Publikum arbeite.

Sandra Maischberger

Warum die Sendung „Maischberger“ komplett umgebaut wurde

Gustaf Gründgens hat einmal gesagt: „Man muss das Publikum zu sich heraufholen; man darf nicht zu ihm hinuntersteigen.“ Ist das auch Ihre Denkungsweise?

Gustaf Gründgens, der auf einer Theaterbühne gestanden hat, hat natürlich eine andere Sichtweise. Ich bewege mich mit meinem Publikum auf einer Ebene. Ich muss weder heraufsteigen noch absteigen. Ich würde ihnen gern begegnen auf dem Boden des gemeinsamen Landes.

Und wenn Sie sich schon nicht mit den von Ihnen Interviewten gemein machen wollen, wollen Sie sich auch nicht mit dem Publikum gemein machen?

Ich versuche natürlich, mich mit meinem Publikum gemein zu machen, weil ich für dieses Publikum arbeite. In diesem Sinne ist nicht mein Sender ist mein Auftraggeber, sondern das Publikum. 

Als Produzentin sind Sie aber doch auch Ihr eigener Auftraggeber!

Wenn ich auf Sendung bin, arbeite ich nicht „für meinen Sender“. Auch nicht für meine Redaktion oder für mich. Wir versuchen, für unser Publikum zu arbeiten. Ich habe immer im Blick, wer da sitzt oder wen ich mir da vorstelle. Ich denke daran, was Menschen interessieren muss und was sie interessieren kann. Oder: Was ist es, dass man ihnen zu dieser Uhrzeit mitgeben kann? Unsere Produktionsfirma haben wir im Jahr 2000 nicht für die Herstellung unserer Talkshow gegründet, sondern um Filme zu produzieren, was wir bis heute auch noch im großen Maße tun. Die ARD-Talkshow kam später dazu. Und ich denke, dass wir in dem großen öffentlich-rechtlichen System mit die transparenteste Art haben, das Budget für eine Sendung zu verwalten. Als Produktionsfirma müssen wir jede einzelne Ausgabe in einer Kalkulation transparent dem Sender nachweisen – wir bekommen nur das bezahlt, was wir wirklich liefern. Also: keine indirekten Kosten, keine Apparate, die mitfinanziert werden, sondern es wird genau abgerechnet, was wir herstellen. Außerdem werden unsere Kalkulationen und Verträge den Gremien vorgelegt.

Sehen Sie sich als Konkurrenz zu anderen Sendungen wie Anne Will in der ARD oder Markus Lanz und Maybrit Illner beim ZDF? Wie gesagt gibt es häufig die gleichen Gäste und ähnliche Themen, auch wenn die Ansätze etwas anders sein mögen.

Aus dem Grund, den Sie nennen, haben wir unsere Sendung komplett umgebaut, weil sich letztendlich alle in einem ähnlichen Format dem Thema der Woche gewidmet haben und dazu die Gäste der Woche einluden. Das hat tatsächlich zu einigen Dubletten geführt. Wir haben die Kritik daran ernst genommen und überlegt: Kann man das auch anders machen? Ich würde mal behaupten, dass meine kleine Truppe in diesem Bereich die Innovativste ist, weil wir uns im vollen Lauf komplett verändert haben. In unseren Diskussionen gibt es nie mehr als zwei Diskutanten. Außerdem gibt es bei uns das konzentrierte Einzelgespräch. Und das „Panel“, mit dem wir unterschiedliche Meinungen abbilden wollen. Trotzdem kann es zu Gäste-Überschneidungen kommen. Aber wenn Christian Lindner bei mir alleine im Interview ist, kann man anders fragen, als wenn er in einer Runde mit anderen vier oder fünf Gästen sitzt. Unsere kürzeren Segmente lassen sich auch gut bei Tagesschau 24, den YouTube-Channels und anderen Social-Media-Plattformen verbreiten, wo wir auch eine jüngere Zuschauerschaft erreichen. 

Sandra Maischberger und unser Autor Marc Hairapetian beim Interview in der Deutschen Kinemathek in Berlin.
Sandra Maischberger und Marc Hairapetian beim Interview in der Deutschen Kinemathek in Berlin. © Rob Waters

Welche Dinge Sandra Maischberger in ihrer Sendung zu bedienen versucht

Wir reden heutzutage immer von Schnelllebigkeit. Ist Ihnen früher bei Sendungen von Günter Gaus, der nur einen Gast hatte, nicht auch das Herz aufgegangen?

Na, wieso? Ich mache das doch auch!

Wenn, dann nur segmentiert, aber sie machen keine Sendung mit nur einem einzigen Talk-Gast.

Ich glaube, Sie können sich heute in einem Massenmedium nur ganz selten auf einen Gast über 75 Minuten konzentrieren. Dafür ist das Ablenkungspotential des Umfelds zu groß geworden. Und die Sehgewohnheiten des Publikums sind zu schnell.

Ich würde es gut finden.

Wir haben es immer mal gemacht. Aber in unserer inzwischen sehr viel stärker segmentierten Gesellschaft interessiert dieser eine Gast meist eben nur einen kleinen Teil der Zuschauerschaft. Das, was wir machen, ist eigentlich ein sehr guter Weg, Günter Gaus im 21. Jahrhundert zu übertragen, wo wir auch gerade eine andere Aufmerksamkeitsspanne bei Jüngeren haben. Günter Gaus in Ehren – ich habe ihn wirklich gern gesehen. Aber heute wirkt die Sendung ein wenig so, als führen Sie mit einer Pferdekutsche auf einer Autobahn. Wir haben mit unserer Sendung in einem Massenmedium auch den Anspruch, ein größeres Publikum zu finden, und das bei rund 55 Sendungen im Jahr.

Hat sich das Publikum so verändert oder auch die Sendungsmacher, welche die anderen, schnelleren Formate heute so anbieten?

Sie tun gerade so, als ob wir heute, wie zu Zeiten von Günter Gaus, nur zwei oder drei Programme hätten! Günter Gaus hat in einer Zeit gesendet, in der es keine Fernbedienung gab. Und kein Bouquet von 50 frei empfangbaren Programmen. Sein Publikum war nicht in der Versuchung, während seiner Sendung parallel aufs Handy zu schauen oder im Internet zu surfen. Also, ja: ich glaube, es hat sich vor allem das Publikum in seinen Sehgewohnheiten geändert. Von den Jüngeren ganz zu schweigen. Ich habe selbst einen 16-jährigen Sohn und sehe ja, dass er nicht auf die Idee kommen würde, einen „Fernseher einzuschalten“, um zu schauen, was im Programm so läuft. Die Jüngeren schauen kurze Sachen auf dem Handy und suchen sich lange Filme oder Serien bei den Streamingdiensten. Es gibt Sendungen in der ARD, die funktionieren überhaupt nicht linear, aber sie haben extrem hohe Zugriffszahlen in der Mediathek. Dahin geht die Reise. Wir versuchen mit unserer Sendung zwei Dinge gleichzeitig bedienen: das lineare Fernsehen mit dem Massenpublikum. Und die Nutzung für kleinere, unterschiedliche Gruppen in den nicht-linearen Social-Media-Kanälen. Das halte ich für einen guten Weg, das öffentlich-rechtliche System in eine Zeit nach dem linearen Fernsehen zu übersetzen.

Also ist das gemeinsame Lagerfeuer bis auf „Wetten, dass..?“ und „Tatort“ vorbei?

Ich würde die Tagesschau gern dazu nehmen, weil die Tagesschau eins der größten Lagerfeuer ist, was wir haben. Ich glaube, Live-Events sind immer noch eine große Stärke, sei es ein Sportereignis oder eine wirklich große Show. Das zieht immer noch viele Menschen an. Auch im non-linearen Bereich gibt es eine Nutzung nach Event. Aber die Jüngeren wachsen in eine Zukunft, in der sie auf Kacheln klicken und auswählen zwischen Amazon, Netflix oder Sky. Und dann müssen wir sehen, dass wir eine dieser Kacheln sind – und zwar eine, die erfolgreich besetzt wird, ansonsten verlieren wir über kurz oder lang die Legitimation, Rundfunkbeiträge von allen zu verlangen.

Inwiefern gibt Ihnen Ihr Sohn ein Feedback? Sagt er: „Mama, das hast du gut beziehungsweise schlecht gemacht?“

Es gibt ein paar Dinge, die schwappen in seine Welt. En Interview mit Andreas Scheuer, auf das Rezo reagierte, wurde auf seinem Schulhof diskutiert. Aber die ganze Sendung, 75 Minuten lineares Fernsehen, guckt er natürlich äußerst selten, live nie, weil sie zu spät kommt. Aber sicherlich sieht er immer wieder Teile, so wie das Streitgespräch zwischen Alice Weidel und Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Er sieht überhaupt viel öffentlich-rechtliches Programm, wie zum Beispiel viel von Extra 3, aber eben nicht linear, sondern in den Social-Media-Channels. 

Gibt er Ihnen nun Feedback oder nicht?

Ja, klar!

Lernen Sie auch etwas daraus?

Oh, ja! Absolut.

Es wurde anfangs gesagt, erst das Fernsehen habe die AfD groß gemacht. Das stimmt schlicht nicht. Die AfD war schon groß in Social Media. Unterschätzen Sie nicht die Machtbasis, die diese Partei schon in den sozialen Medien hatte, bevor das Fernsehen erstmals AfD-Vertreter einlud.

Sandra Maischberger

Sandra Maischberger über die AfD

Sie haben eben die Kontroverse von Alice Weidel mit Marie-Strack Zimmermann selbst angeschnitten. Sie haben also keinerlei Berührungsängste damit, AfD-Politiker in Ihre Sendung einzuladen?

Die AfD hat ein Recht, im politischen Fernsehen behandelt zu werden, weil sie im Bundestag und vielen Landtagen sitzt. Trotzdem gucken wir sehr genau, wen wir einladen, weil es eine Partei ist, die zum Teil offen rechtsextremistisch agiert und spricht und die in Teilen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Deswegen kann ich aber nicht ignorieren, dass es eine Wählerschaft gibt, die diese Partei in den Bundestag gebracht hat. Wir können und sollten die AfD nicht ignorieren.

Werden die AfD oder andere Parteien also erst dann für Ihre Sendung interessant, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde geschafft haben?

Es wurde anfangs gesagt, erst das Fernsehen habe die AfD groß gemacht. Das stimmt schlicht nicht. Die AfD war schon groß in Social Media. Unterschätzen Sie nicht die Machtbasis, die diese Partei schon in den sozialen Medien hatte, bevor das Fernsehen erstmals AfD-Vertreter einlud. Das war übrigens zu Zeiten der Finanzkrise, als sie eine der wenigen Stimmen war, die eine Euro-kritische Position formulierte, die in Teilen der Bevölkerung Zustimmung fand. Es tut uns nicht gut, Dinge zu ignorieren, die da sind und eine Anhängerschaft finden. Ähnlich verhielt es sich in den USA mit der Tea Party, also der Vorläufer-Bewegung von Trump. Die Ursachen für ihre wachsende Popularität wurden vielleicht zu lange ignoriert, was die Popularität wiederum stärkte. Wir müssen Strömungen wahrnehmen und sie zu behandeln, anstatt so tun, als gäbe es sie nicht. Und trotzdem muss man bei der AfD genau hinsehen, wen man zu einem Diskurs einlädt. Ich habe für mich eine Linie gefunden, an der ich mich orientiere; eingeladen wird, wer diskursfähig und -willig ist. 

Würden Sie auch einen sogenannten „Querdenker“ zur Diskussion von Corona-Maßnahmen in Ihre Sendung einladen?

Die „Querdenker“ waren nie eine homogene Gruppe. Ich würde zum Beispiel Mathias Richling nicht als einen „Querdenker“ bezeichnen. Aber vieles, was er kritisch gleich am Anfang der Pandemie auch in unserer Sendung sagte, wurde diesem Spektrum zugerechnet. Aber wir fanden es immer gut, auch die Stimmen in die Sendung einzuladen, die nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse leugneten – für mich rote Linie –, aber Maßnahmen kritisierte, also das, was die Politik aus wissenschaftlichen Erkenntnissen machte. In den ersten beiden Monaten von Corona waren diese Stimmen noch selten. Da standen alle unter Schock und fürchteten, es käme jetzt die Pest etwa über uns. Das war wirklich gespenstisch: Ich bin mit meiner Redaktion in Zügen von Berlin nach Köln zur Sendung gefahren, die komplett leer waren. Wir und ein paar Zugbegleiter waren die einzigen, die noch unterwegs waren. Auch im Hotel waren wir die einzigen Gäste. Aber bald danach setzte dann auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Maßnahmen ein. Aber Menschen, die die Existenz des Virus leugneten, diese Art „Querdenker“, haben wir nicht eingeladen. Das ist ja keine Meinung. Das ist schlicht Lüge oder Demagogie.

Sie sind ja ein kritischer Kopf: Wie kritisch sind Sie mit sich selbst?

Ich denke bei vielen Sendungen, dass ich in Teilen daneben lag. Eigentlich bin ich nie vollkommen zufrieden. Deswegen lese ich auch nicht so viele Kritiken, weil ich selbst weiß, wann ich daneben gelegen habe. Das muss ich mir dann nicht nochmal am nächsten Tag von jemand anderen erzählen lassen. Außer von der Redaktion. 

Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der als Politiker in Fernsehinterviews durchaus schauspielerische Qualitäten hatte, war einer Ihrer liebsten Gesprächspartner, richtig?

Er sagte selbst: „Ein Politiker ist immer auch ein bisschen Staatsschauspieler.“ Sicherlich war Helmut Schmidt ein Highlight, weil er vielen Ebenen anspruchsvoll war: intellektuell, aber eben auch in der Form, in der rhetorischen Auseinandersetzung. Sehr beeindruckt war ich auch von Horst Stern, an den sich nicht viele mehr erinnern dürften. Er war ein Journalist, der schon in den 1970er Jahren Filme über Naturschutz machte, wie in „Sterns Stunde“. Er war eigentlich der erste umweltpolitisch denkende Journalist. Ein großartiger Mann! In Erinnerung wird mir sicher auch das Interview mit Greta Thunberg bleiben, für das ich im vergangenen Jahr – mit Bahn und Schiff, das war ihre Bedingung – nach Stockholm reiste. Ich erlebte eine ganz andere Frau, als ich mir zuvor gedacht hatte. Bei Interviews, die sie früher gegeben hatte, sah man ein fast schon starr wirkendes junges Mädchen. Ich hatte mir vorgenommen, sie mindestens einmal zum Lachen zu bringen. Und auf einmal fand ich mich einer jungen Frau gegenüber, die sehr gelöst und zu Scherzen aufgelegt war, und eigentlich von Anfang bis Ende kicherte. Sie hat dennoch eine klare Position und dazu steht sie auch. 

Und gibt es für Sie noch einen Wunschinterviewpartner?

Immer der oder die, der heute die Schlagzeile des Tages bestimmt. 

Das Interview mit Sandra Maischberger führte Marc Hairapetian.

Auch interessant

Kommentare