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„Rukla – Momentan keine Feindsicht“ heute im ZDF – Angst und Schrecken an der Ostflanke

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Von: Harald Keller

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Rukla - Momentan keine Feind„RUKLA - Momentan keine Feindsicht“: Auf dem NATO-Stützpunkt Rukla wird während eines Appells die Fahne der NATO an einen Soldaten der Bundeswehr übergeben. Im Hintergrund stehen Soldaten in angenommener Haltung.
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Fahnenübergabe bei der Rotation der Truppen auf dem Nato-Stützpunkt Rukla. © ZDF/Alexander Gheorghiu

Die Dreharbeiten zum ZDF-Dokumentarfilm „Rukla – Momentan keine Feindsicht“ galten einer latenten Bedrohung. Die wurde plötzlich konkret.

Frankfurt – Für journalistisch und wissenschaftlich Tätige verbietet sich die Heranziehung der Wikipedia, denn die ist unzuverlässig. Wenn aber Bundeswehrangehörige einen Marschbefehl nach Rukla erhalten, dann werden einige wohl dort nach ersten Informationen suchen. Sie lesen unter anderem: „Im Städtchen gibt es eine katholische Kapelle und Pfarrgemeinde, den Alten Friedhof, die Jonas-Stanislauskas-Mittelschule Rukla (ab 1997), eine Bibliothek, ein Postamt (LT- 55025), eine Flüchtlingsunterkunft sowie mehrere Einheiten der Litauischen Armee. Rukla hat 2.098 Einwohner (Zensus 2011).“

In dieser nicht sonderlich schmucken Kleinstadt finden regelmäßig Nato-Manöver statt. Die baltischen Staaten gehören der EU und der Nato an, und sie fürchten den östlichen Nachbarn. Die Zeit der sowjetischen Besetzung ist in unguter Erinnerung. Dergleichen soll sich nicht wiederholen.

„Rukla – Momentan keine Feindsicht“ (ZDF): Ende des Tauwetters

Im litauischen Rukla sind deshalb niederländische, norwegische, tschechische und deutsche Einheiten stationiert. Die Führung obliegt der deutschen Bundeswehr. In der 1997 unterzeichneten Nato-Russland-Grundakte wurde den ehemaligen Sowjetrepubliken eine freie Bündniswahl zugestanden. Im Gegenzug verzichtete die Nato auf die Stationierung ausländischer Truppen.

Das damalige Einverständnis, ausgehandelt unter der Federführung Boris Jelzins, die Phase der Annäherung sind seit Jahren perdu. Russland hat den Vertrag spätestens mit der Besetzung der Krim gebrochen. Die Nato verzichtet weiterhin auf die dauerhafte Entsendung militärischer Einheiten. Die Kontingente bleiben jeweils nur für ein halbes Jahr zur Durchführung gemeinsamer Manöver. Dann werden sie ausgewechselt.

„Rukla – Momentan keine Feindsicht“ (ZDF): Feind hört mit

Die deutsche Dokumentarfilmerin Steffi Wurster und Kameramann Alexander Gheorghiu haben nach voraufgegangenen Recherchen eine dieser Einheiten und insbesondere Bundeswehrsoldatin Nina, die mit ihrem Panzer mobile Brücken baut, begleitet. Die Deutschen sind willkommen. „Diese langfristigen Investitionen in unsere militärische Infrastruktur unterstreichen die Einheit der Allianz. Das gibt uns in Litauen ein Sicherheitsgefühl, angesichts der Nachbarn, die wir haben“, sagt ein Redner bei der feierlichen Flaggenübergabe. Die sind so nahe, dass vom Gebrauch der Handys abgeraten wird. Die können leicht abgehört werden.

„RUKLA - Momentan keine Feindsicht“: Ruklas Bürgermeisterin Vilma Akvilė Karoblienė sitzt in Kampfmontur mit einem Gewehr in einem Wald. Sie blickt schräg nach oben.
Ruklas Bürgermeisterin Vilma Akvilė Karoblienė bei einer Übung der paramiltitärischen Gruppe, der sie angehört. © ZDF/Alexander Gheorghiu

Das war im August 2021. Litauen befand sich in einer Krise. Der belarussische Diktator Aljaksandr Lukaschenka ließ gezielt Flüchtlinge an die Grenze lotsen, seine Revanche für Sanktionen des Westens, die er sich mit einer Flugzeugentführung eingehandelt hatte. Ortsvorsteherin Vilma muss versuchen, Lösungen zu finden, Integrationsmaßnahmen zu organisieren. Fremdenfeindliche Ressentiments, als Witzeleien getarnt, sind nicht zu überhören. Andererseits würde die Einrichtung eines Flüchtlingsheims Geld nach Rukla bringen.

„Rukla – Momentan keine Feindsicht“ (ZDF): Offene Arme

Die Soldatinnen und Soldaten richten sich ein, trainieren unter anderem den Häuserkampf. Ein aufgegebenes Raketendepot erinnert an den Kalten Krieg. Die Atomraketen waren auf die BRD gerichtet, weiß ein einheimischer Führer, der damals für die Russen gearbeitet hat.

Die Zeit der Entspannung zwischen den Machtblöcken ist vorbei. Vilma und ihre Familie haben sich dem Freiwilligenkorps Schützenunion angeschlossen, und lernen dort den Umgang mit Waffen, um ihr Land im Fall eines russischen Angriffs verteidigen zu können.

„RUKLA - Momentan keine Feindsicht“: Auf einem morastigen Gelände stehen mehrere Militärfahrzeuge. Im Vordergrund befindet sich ein Panzerfahrzeug, um das sich vier Soldaten gruppiert haben. Auf dem Panzerfahrzeug steht ein weiterer Soldat.
Auf dem litauischen Nato-Stützpunkt Rukla werden regelmäßig Einsätze mit schweren Waffen geprobt. © ZDF/Alexander Gheorghiu

Georgi, Rentner und gebürtiger Belarusse, glaubt nicht, dass es so weit kommen wird, er misstraut den Medien. Es werde immer nur über oppositionelle Proteste in Russland berichtet, mault er, aber nie über Demonstrationen in Deutschland oder anderen westlichen Ländern. Im November 2021 melden die Radionachrichten, dass russische Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen werden. Ein russischer Einmarsch wird befürchtet.

Soldatin Nina packt, freut sich auf ihren ersten Gyrosteller. Sie ist wieder daheim, als die russische Bombardierung Kiews beginnt. Die Ortsvorsteherin Vilma holt eine befreundete Ukrainerin und ihr Kind an der Grenze ab, nachdem die beiden unter Mühen das Land verlassen konnten. Beim Einkauf im Supermarkt treffen sie zufällig eine andere Ukrainerin. Eine Fremde, die spontan umarmt wird.

„Rukla – Momentan keine Feindsicht“
SchnittMaja Tennstedt, Janina Herhoffer
KameraAlexander Gheorghiu
BuchSteffi Wurster
RegieSteffi Wurster
LandLitauen/Deutschland 2023

„Rukla – Momentan keine Feindsicht“ (ZDF): Befürchtungen werden wahr

Vytautas Landsbergis, 1990 in der Übergangsphase kommissarisches Staatsoberhaupt der gerade unabhängig gewordenen Republik, warnt schon seit langem: „Russland wird angreifen.“

Steffi Wursters Film nimmt eine unerwartete Wendung. Durch engen Kontakt mit ihren Protagonistinnen und Protagonisten, durch sensible Beobachtungen, macht sie das Gefühl der Beunruhigung und der Furcht vor russischen Aggressionen nachvollziehbar. Noch während der Dreharbeiten wird die Bedrohung dann konkret, zeigt sich plötzlich die volle Berechtigung der Ängste, die zuvor manch einem irrational erschienen sein mochten.

„Rukla – Momentan keine Feindsicht“

Montag, 27. Februar 2023, 23.50 Uhr, ZDF, und in der ZDF-Mediathek.

Wurster bringt uns die Empfindungen der Menschen an Russlands Westgrenzen näher. Nicht aber die Menschen selbst. Die Filmautorin verzichtet auf Kommentare, die Protagonisten werden nicht vorgestellt, auch nicht per Einblendung. Ob Armeeangehörige oder Privatleute, ihre Funktion, Biografie, gesellschaftliche Stellung bleiben unklar, weshalb sich manche Äußerungen, Aufgaben und Vorgänge nicht einordnen lassen. Bei diesem Thema und diesen Hintergründen ist die puristische Form des Dokumentarfilms, in der der Autor oder die Autorin nicht in Erscheinung tritt, nicht die beste Variante. Die Information des Publikums sollte stets wichtiger genommen werden als ein filmästhetisches Konzept. (Harald Keller)

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