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Im Reiche des bösen Andi

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Von: Frank Olbert

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Nicht so erfreulich, wie es ausschaut: Max Riemelt und Teresa Palmer in "Berlin-Syndrom".
Nicht so erfreulich, wie es ausschaut: Max Riemelt und Teresa Palmer in "Berlin-Syndrom". © MFA+

Cate Shortlands "Berlin Syndrom" ist ein so abgründiges wie unerbittliches Horrordrama

Ein schönes Paar, Clare, die australische Backpackerin, die in Berlin-Kreuzberg ambitionierte Fotos schießt, und Andi, der stattliche Deutsche, der stets ein Kunstbuch unterm Arm trägt. Zügig landen sie im Bett, in Andis gemütlich verrumpelter Bude am Prenzlauer Berg, der so menschenleer ist, als hätte sich nie ein Schwabe hierher verirrt. Ach Berlin, du spontanste aller Städte, du machst es möglich: Mitten in unserer verkehrsreichen und digital vernetzten Moderne werden zwei junge Menschen von einer Hormonwelle der Romantik hinweggespült.

Cate Shortland lässt ihren neuen Film im Stil einer hauptstadtbewegten Romanze beginnen, und würde man durch den Titel nicht aufs sprichwörtliche Stockholm-Syndrom gestoßen, man könnte das „Berlin Syndrom“ in den ersten Minuten für eine angenehme Erkrankung an schwerer Verliebtheit halten. Das Wetter ist gut, die Laubenpieper haben ihre Gartenzwerge poliert, und Kreuzberg dampft nur so von polyglotter Weltoffenheit. Um Deutschlands Metropole mit solchen Augen zu erleben, würde man selbst gern mal als Ausländer hier ankommen.

Aber so wie Backpacker in anderen Filmen gern in einem staubigen Wüstenkaff in Nevada oder einem Wald in den Rockies verloren gehen, so trifft Cate dieses Schicksal mitten in Mitte. Der nette Andi ist nicht so nett, wie es scheint, sondern ein durchtriebener Sadist, der seine neue Freundin schon am Tag nach dem ersten Geschlechtsverkehr in der Wohnung einschließt – da hält sie das noch für ein Versehen. Als sie allerdings feststellt, dass die Sim-Karte im Mobiltelefon fehlt und die Fenster nicht zu öffnen sind, schwant ihr die abgründige Wahrheit. Das amouröse Abenteuer am Prenzlberg hat sie in eine Kerkerhaft geführt.

Es ist erstaunlich, mit welch leichter Hand es Cate Shortland gelingt, ihre Liebesgeschichte in ein Horrordrama zu verwandeln – in ein Schauerstück noch dazu, das die Schrecken der Klaustrophobie, des Eingesperrt- und Ausgeliefertseins nicht allein psychologisch, sondern auch politisch durchdekliniert. Mit dem Wechsel von Kreuzberg nach Prenzlauer Berg, von West nach Ost, kommt nämlich durchaus die Geschichte Berlins mit ins Spiel, mit Andi als ehemaligem DDR-Bürger, der auf seine Weise mit dem Stockholm-Syndrom Bekanntschaft gemacht hat.

Dieses wurde nach einer Geiselnahme in Schweden 1973 benannt, bei der eine irritierende Gewichtung der Sympathien deutlich wurde: In den Geiseln erwachte eine emotionale Nähe zu den Bankräubern, während sie zu den Sicherheitskräften innerlich auf Distanz gingen. Das Stockholm-Syndrom beschreibt die Kräfteverhältnisse in einer Situation extremer Abhängigkeit bei gleichzeitiger Isolation.

Genau das hat Andi als Heranwachsender im SED-Staat erlebt, und eben dieses Trauma scheint ihn nun dazu zu treiben, seine eigene kleine Privat-DDR zu errichten. Eine Diktatur auf 80 Quadratmetern, mit Baselitz-Bildbänden im Regal, manchem Schätzchen vom Flohmarkt im Wohnzimmer und nur einem Untertan, wobei Clare nicht die erste Staatsbürgerin im Reiche Andis ist, an der er sein Regiment vollstreckt.

Dass diese Versuchsanordnung nicht wie eine solche wirkt, sondern Leben entfaltet und für nicht geringe Spannung sorgt, ist vor allem auch den beiden Hauptdarstellern zu verdanken. Teresa Palmer und Max Riemelt sind zunächst Zufallsbekannte. Sie eine neugierige, aber eher scheue Studentin auf Europatrip, deren Reisebudget allenfalls ein Hostel hergibt. Er hingegen arriviert und ortskundig, ein Lehrer für Englisch und Sport, der seinen Schülerinnen entschieden länger als schicklich aufs verschwitzte Trikot schaut. Wie Palmers Clare dann dem Stockholm- beziehungsweise Berlin-Syndrom anheimfällt und Riemelts Andi eine furchteinflößende Eiseskälte entwickelt, das spielen beide überzeugend und auch in blutigen Details mit einigem physischen Einsatz.

Cate Shortland beherrscht die Kniffe, die ihren Thriller zwischen Bangen und Hoffen halten. Mehr als einmal durchbricht sie die Gefängnisatmosphäre, die sich bleischwer auf ihre Protagonistin legt – dann führt Andi sie etwa zum Spaziergang  aus, wo die Rettung nur daran scheitert, dass zwei Kinder des Englischen nicht mächtig sind. Ein anderes Mal muss der potenzielle Helfer kurzerhand dran glauben.

Und immer wieder spielt Berlin eine Hauptrolle, als quirliger Melting Pot, in den sich gleichwohl die Spuren der Vergangenheit tief eingegraben haben. Es ist die Geschichte einer multiplen Versehrtheit, die Shortland mit der Konsequenz und der Unerbittlichkeit einer Genre-Regisseurin erzählt. Dass diese Verletzungen auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau betreffen, erstaunt nicht, ist aber eine weitere, ebenso treffende wie bittere Pointe des Films.

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