Bei „Hart aber fair“: Merkel warnt vor „verzweifelter Tat“ Russlands

Am 9. Mai ist der russische Angriffskrieg abermals Thema bei Frank Plasbergs „Hart aber fair“ (ARD).
Köln – In Überlänge analysieren bei „Hart aber fair“ (ARD) die fachkundige Militärexpertin Claudia Major und der erfahrene Oberst a. D. Roderich Kiesewetter (CDU) in überraschend übereinstimmender Eintracht mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth (SPD) sowie der Journalistin Gesine Dornblüth mit und gegen den Demokratieforscher Wolfgang Merkel die Rede von Wladimir Putin. „Und dies an einem 9. Mai, der uns durchaus widersprüchliche Signale gelehrt hat“, resigniert Frank Plasberg schon zu Beginn.
„Hart aber fair“ (ARD): Kein „Einstieg in einen Ausstieg“
Ausschnitte von Wladimir Putins Rede werden eingespielt, bei welcher dieser erneut rechtfertigt, wie sich aus seinen Augen eine sich ändernde militärische Infrastruktur in der Ukraine angedeutet hat: Wie Verbündete der Nato sich eingeschaltet haben und die Gefahr dort für Russland immer größer geworden sei. „Russland hat auf die Aggressionen mit einem Präventivschlag reagiert.“ Das war „eine zwingende, rechtzeitige und die einzig richtige Entscheidung“ und „die Entscheidung eines souveränen, starken und unabhängigen Landes.“
Claudia Major sieht bei „Hart aber fair“ (ARD) in diesen Worten ein klares „ideologisches Bindemittel“, mit welchem der Krieg rhetorisch verteidigt wird. Wladimir Putin hat die Chance, den Krieg in der Weltöffentlichkeit ohne ein „Gesichtsverlust“ zu beenden, vertan, führt Roderich Kiesewetter bei Frank Plasberg weiter aus und auch Michael Roth sieht dies so: Wladimir Putin will die Ukraine „heim ins Reich führen“ und von den Nazis befreien. Die aggressive Nato, die aggressive EU, die aggressive USA und generell der aggressive Westen, – alle anderen haben Schuld. Alle sind immer näher an Russland herangerückt und „haben Russland damit quasi die Luft zum Atmen genommen.“
„Hart aber fair“ (ARD): Putin macht sich seine eigene Fakten
„Die Ukraine hat kein Existenzrecht“, hat Wladimir Putin schon im letzten Jahr gesagt, gibt Roderich Kiesewetter bei Frank Plasberg weitere Einblicke in die russischen Machtstrukturen. Nach dessen Ansicht hätten alle früheren Sowjetrepubliken kein Recht, Mitglied in der Nato zu werden: Doch wer gibt diesem Mann eigentlich das Recht, das zu bestimmen? In Moldau, Kasachstan oder auch im westlichen Balkan, Bosnien und Herzegowina, „überall hat Russland seine Finger mit im Spiel“, stimmt auch Michael Roth bei „Hart aber fair“ mit ein. Wie Roderich Kiesewetter es uncharmanter ausdrückt: „Die russische Dampfwalze rollt langsam und unaufhörlich.“
Und „die Drohung mit Atomwaffen liegt latent auf dem Tisch“, findet Frank Plasberg. Claudia Major erklärt es gar zu einem „atomaren Säbelrasseln“. Hier ist die Botschaft an den Westen und in die USA: Sie sollen sich raushalten. Auch „Russland fürchtet die nukleare Eskalation genauso wie wir“, aber sie wollen Angst säen vor einem möglichen nuklearen Anschlag und damit Druck auf die Regierungen aufbauen. Das funktioniert, indem auch in Deutschland die russischen Narrative vom „Dritten Weltkrieg“ und einem „atomaren Krieg“ übernehmen. Das Ziel ist es, die Öffentlichkeit zu destabilisieren. „Wenn wir in Panik verfallen, machen wir de facto genau das, worauf Russland hinaus will.“ Dabei glaubt Claudia Major, dass die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen nuklearen Angriffes noch sehr klein ist.
„Hart aber fair“ vom 9. Mai | Die Gäste der Sendung |
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Roderich Kiesewetter | CDU-Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, Oberst a.D. |
Claudia Major | Militärexpertin, leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin |
Michael Roth | SPD-Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, Mitglied im SPD-Präsidium und Parteivorstand |
Wolfgang Merkel | Politikwissenschaftler und Demokratieforscher |
Gesine Dornblüth | Journalistin, von 2012 bis 2017 Korrespondentin des Deutschlandradios in Moskau |
Gesine Dornblüth kann bei diesen Aussichten aber die Angst in der Bevölkerung verstehen. Die russischen Vorstellungen für einen möglichen globalen Frieden sehen ihrer Meinung nach vor, dass Polen, das Baltikum und Tschechien aus der Nato austreten oder alle Waffensysteme von dort zurückgezogen werden. Und das wäre „ein Angriff auch auf unsere Sicherheit“, denn „die russische Sicherheitsordnung bei Putin sieht vor, dass wir eine Ordnung haben, wie Anfang der 90er-Jahre.“
„Hart aber fair“ (ARD): Kommt da der „worst case“ durch Waffenlieferungen?
Wolfgang Merkel ist bei „Hart aber fair“ (ARD) laut, schrill und kontrovers, wenn es um die Lieferung von schweren Waffen geht: denn „der Krieg wird noch sehr lange andauern“. Seiner Meinung nach müssten alle so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand und zurück an den Verhandlungstisch mit Russland kommen. Denn wenn Wladimir Putin mit dem Rücken an der Wand steht, dann „können noch ganz andere Katastrophen auftreten“. Und wir müssen „alles dafür tun“, um nicht in die Lage einer „verzweifelten Tat des Aggressors“ zu kommen. In der Rede von Wladimir Putin konnte er keinen „Triumph“ sehen. Stetig gibt es Berichte, wo die russische Armee festgefahren ist: Warum sollte das keine Ausgangsbasis sein, um vom Westen her mehr Druck für Verhandlungen auszuüben?
Michael Roth schüttelt da bei Frank Plasberg (ARD) fassungslos den Kopf und sieht bei der Rhetorik von Wolfgang Merkel den Eindruck erweckt, als wären da nicht ständig Versuche gewesen zu verhandeln. „Es scheitert einzig und alleine an Putin.“ Deutschland kann vieles vorgeworfen werden, aber nicht „dass wir zu schnell oder zu wagemutig sind.“ Claudia Major zeigt da zwar mehr Verständnis für Wolfgang Merkels Argumente, aber sie findet gleich mehrere Fehleinschätzungen, wie dass die Ukraine, wenn sie am Verhandlungstisch nachgeben würde, die Wahl hätte zwischen Krieg und Frieden.
„Hart aber fair“ (ARD): Krieg in der Ukraine - „Säuberungen, Vergewaltigungen und Verschleppungen“
Sie hat aber nur die Wahl „zwischen Krieg und Vernichtung – oder Krieg und Unterwerfung“. Da müsse nur in die russisch besetzten Gebiete geschaut werden, mit Butscha und Mariupol und den dort stattfindenden „Säuberungen, Vergewaltigungen und Verschleppungen“. Sie würde einen Waffenstillstand ja auch erstrebenswert finden, aber dann wäre der Konflikte „nur eingefroren.“ Also muss „das Ziel sein, die Ukraine in eine bestmögliche Verhandlungsposition zu bringen.“ Und das heißt: so viel von dem Territorium, das sie seit diesem Angriffskrieg an Wladimir Putin verloren haben, zurückzugewinnen und Russland „politisch, militärisch und wirtschaftlich so zu schwächen, dass solche Angriffe nicht noch einmal möglich sind.“
Zur Sendung:
„Hart aber fair“ zum Nachschauen in der Mediathek.
Michael Roth stört dieser „permanente Vorwurf an den Westen“, mit den Waffenlieferungen und der Hilfe für die Ukraine die Situation zum Eskalieren bringen. Jahrelang war die Politik des Westens davon getragen, Wladimir Putin möglichst nicht zu provozieren, Nachsicht zu üben und vorsichtig zu sein. Das Ergebnis: Jetzt gibt es eine gewaltige Eskalation, von Russland ausgehend. Trotz einer Politik, die aus Zurücknahme der eigenen Interessen ausgerichtet war, wird er bei Frank Plasberg lauter und findet, wir dürfen uns „nicht abhängig machen von Putins Drohungen“.
„Hart aber fair“ (ARD): Zu wenig Gedanken um das Überleben der Ukraine
Auch wenn Deutschland „nur 5 Streichhölzer“ in die Ukraine geliefert hätte, „hätte er uns vorgeworfen, wir würden uns massiv einmischen“. Er seinerseits wirft Wolfgang Merkel vor, dass dieser sich viel zu viele Gedanken um Wladimir Putin macht und viel zu wenig Gedanken um das Überleben der Ukraine und den nationalen Interessen aller anderen. Michael Roth fasst zusammen: Das gemeinsame Ziel und ein klares Zeichen sollte sein, „dass die Ukraine als freies, souveränes und demokratisches Land diesen Krieg übersteht.“ (Tina Waldeck)