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„Plan A“-Schauspieler August Diehl: „So viele Verbrechen wurden nicht gerächt“

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Von: Christina Bylow

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Als einziger Überlebender seiner Familie ringt Max (August Diehl) mit Scham und Schuldgefühlen.
Als einziger Überlebender seiner Familie ringt Max (August Diehl) mit Scham und Schuldgefühlen. ©  Camino Filmverleih 2021

August Diehl spielt im neuen Kinofilm „Plan A“ einen KZ-Überlebenden. Im Interview spricht er über den Wunsch nach Rache, fremden Schmerz als Verantwortung und was es heißt, als nichtjüdischer Deutscher eine solche Rolle zu übernehmen

Herr Diehl, wann haben Sie zum ersten Mal davon gehört, dass eine Gruppe von Shoah-Überlebenden einen Racheplan gegen die deutsche Bevölkerung vorbereitet hatte?

Ich wusste vor diesem Film nichts davon. Ich wusste auch nicht, dass es diesen Plan A gab. Es ist eigentlich logisch, dass es so etwas gegeben haben muss. Alle Täter waren ja noch da. Die Gruppe, die sich „Nakam“ nannte, nach dem hebräischen Wort für Rache, wollte verhindern, dass die Täter die Rattenlinie nach Argentinien nehmen, was dann auch passiert ist. Es geht in diesem Film um Rache, aber auch um das Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Zukunft. Es gab unter den jüdischen Überlebenden die einen, die sagten, wir können diese Verbrechen nicht auf sich beruhen lassen, es muss eine Art von Ausgleich geben. Die anderen aber sagten, wenn wir uns rächen, wird es kein Morgen für uns geben und kein Israel. Plan A wurde wahrscheinlich von jüdischen Kämpfern der Untergrundorganisation Haganah boykottiert. Sie wussten, dass die Weltöffentlichkeit die Gründung des Staats Israel nach einer Umsetzung von Plan A wahrscheinlich blockiert hätte. Rache ist ein komplexes Thema. So viele Verbrechen dieser Zeit wurden nicht gerächt.

In der Rechtsprechung gilt Rache unter Umständen als „niedriger Beweggrund“.

Es ist ja auch „ein niedriger Beweggrund“. Und in Momenten doch so nachvollziehbar. Wie furchtbar die Idee des Plan A auch war, weil sehr viele Zivilisten gestorben wären – er ist trotzdem verständlich. Ich habe mit den beiden Regisseuren Yoav und Doron Paz oft darüber gesprochen, auch über das Leben der Mitglieder dieser Gruppe, später in Israel. Sie haben mir dabei viel von den Konflikten zwischen den Generationen in Israel erzählt. Gegen die erste Generation hatten die Jüngeren oft auch Aversionen, sie wollten die Geschichten aus dem Krieg und aus der Nachkriegszeit nicht hören.

Welche Beziehung haben Sie zu Israel?

Zum ersten Mal richtig angegangen hat mich das Land im November 1995, als der damalige israelische Premierminister Yitzak Rabin ermordet worden war. Ich saß in Berlin in einem Café und sah Menschen weinen. Damals war die Verbindung zwischen Israel und Deutschland enger. Ich glaube, in den letzten Jahren ist das Verhältnis durch die amerikanische Politik beschädigt worden. Nach Israel gereist bin ich erst spät, das war vor ein paar Jahren in Verbindung mit einer Filmeinladung. Die Lebendigkeit und die Offenheit haben mich sehr beeindruckt. Jeder sucht dort das Gespräch. Ich wünsche mir, dass ich eine längere und größere Verbindung zu diesem Land aufbauen kann, vielleicht auch durch diesen Film. Ich habe jetzt Freunde dort, das ist schön, und ich habe es unglaublich genossen, mit den israelischen Kollegen zu arbeiten. Sie waren diejenigen, die in dieses finstere Thema die Sonne gebracht haben, die laut waren, die gelacht haben und albern waren. Die Deutschen im Team und Cast waren irgendwie mehr davon belastet.

„Es gab übrigens einen Plan B und der wurde ausgeführt. In einem Sammellager gefangener SS-Leute wurde das Brot mit Arsen vergiftet.“

August Diehl, Schauspieler

Sie haben auffallend oft Rollen gespielt, die in der Zeit des Nationalsozialismus verortet sind. Opfer und Täter. Ein Zufall?

Sicher ist vieles zufällig, weil mir diese Projekte ja angeboten werden. Ich habe auch einige davon abgesagt. Aber es ist schon so, dass mich das Thema wohl unbewusst immer beschäftigt hat. Und es ist ja nicht eine Geschichte aus dem fernen Babylon, es ist ganz nah. Das Ausmaß dieser Verbrechen kann nicht verstanden, nicht begriffen werden. Man kann Teile davon begreifen, man kann es in Geschichtsbüchern nachlesen, aber wer nach einer Erklärung sucht, wird immer scheitern. In der Idee von „Plan A“ liegt auch der Versuch, durch Rache eine Art von Erklärung, von Ausgleich zu finden.

Der Figur, die Sie spielen, wird einmal von einem der Haganah-Kämpfer die Frage gestellt: „Warum habt ihr nicht gekämpft?“ Der Mann, den Sie spielen, fühlt sich paradoxerweise schuldig, weil er überlebt hat.

Gerade wegen des Scham- und Schuldgefühls erscheint Rache als eine Art von Katharsis. Als innere Reinigung. Es gab übrigens einen Plan B und der wurde ausgeführt. In einem Sammellager gefangener SS-Leute wurde das Brot mit Arsen vergiftet. Es gab wohl Tote, einige sind erkrankt, aber es hat nicht so gewirkt, wie geplant, weil das Arsen gestreckt worden war – vermutlich wieder ein Boykott durch die Haganah, die nicht wollte, dass die Sache zu groß wird. Ich finde es gut, dass der Film die Frage nach der Legitimität von Rache cineastisch beantwortet, ich will dem Ende aber nicht vorgreifen.

Was wissen Sie über die Figur, die Sie spielen? Gab es diesen Spion, der mit der Rache-Gruppe zusammengearbeitet hat und doch deren Plan verriet?

Er ist eine Schattenfigur, es gab ihn wahrscheinlich, aber man weiß nicht genau, wer er war. Ich habe mir vorgestellt, dass er ein deutscher Jude gewesen sein könnte, der sich erst durch den Rassenwahn der Nazis damit auseinandergesetzt hat, dass er jüdisch ist. Viele deutsche Juden hatten dieses Schicksal. Er ist ein Auschwitz-Überlebender. Einer, der der „Kanada-Gruppe“ angehörte, das waren die Insassen, die die Neuankommenden in Empfang nahmen und deren Hinterlassenschaften sortierten. Auf perfide Weise wurden sie damit von der SS in die Mordmaschinerie einbezogen. Daher seine Scham, sein Schuldgefühl.

Sie spielen den Schmerz dieser Figur wirklich erschütternd. Wie versetzten Sie sich in jemanden hinein, der so etwas erlebt hat, der wie ausgelöscht weiterexistiert?

Das ist eine enorme Verantwortung. Wie spielt man einen zerstörten Menschen? Es ist gut zu hören, dass Sie das so wahrgenommen haben. Ich habe vieles gelesen in der Zeit der Vorbereitung. Auch Primo Levis Essay „Ist das ein Mensch?“ habe ich wiedergelesen. Mir haben pure Zeugenberichte fast mehr geholfen. Literaten formulieren, aber wenn etwas nicht formuliert und noch nicht gestaltet ist, kann ich mich in das unmittelbare menschliche Empfinden fast besser hineinversetzen. Ich habe mir viele Interviews angesehen, wie ich es auch bei früheren Filmen gemacht habe. Anders als bei „Die Fälscher“, als ich damals lange Gespräche mit einem noch lebenden Zeitzeugen führen konnte, war das dieses Mal nicht mehr möglich.

Sie haben vor zwanzig Jahren neben Anouk Aimée eine große Rolle in dem Film „Birkenau und Rosenfeld“ gespielt, der auf dem Gelände von Auschwitz-Birkenau gedreht wurde. Woran erinnern Sie sich?

Die Regisseurin Marceline Loridan Ivens hat dort als einzige Regisseurin eine Dreherlaubnis bekommen, weil sie selbst als 13-jähriges jüdisches Mädchen in Auschwitz gefangen war. Es ging in diesem Film um Erinnerung. Sie wollte wissen, ob ihre Erinnerungen richtig sind oder ob sie von ihnen getäuscht wird.

Jemand, ich glaube, es war die Autorin und Überlebende Ruth Klüger, hat einmal gesagt, dass es nichts herauszufinden gibt an diesem Ort.

Das ist richtig, man sieht die Frösche im Gras an den Teichen, in die die Asche der Ermordeten hineingeschüttet wurde. Schmetterlinge fliegen über das riesige Feld, wo die Baracken waren. Ich erinnere mich auch, dass die Regisseurin auf einem Schild mit der Aufschrift „Muzeum Auschwitz“ das Wort Muzeum durchgestrichen hat und „Camp“ darüberschrieb. Ich war fast zwei Monate in Oswiecim, wie die Kleinstadt in der Nähe des Lagers heute heißt. In dieser Zeit war ich oft in der Bibliothek der Gedenkstätte und habe Zeitzeugenberichte gelesen. Auch die Berichte von Tätern. Ich denke, dass unsere Welt, so wie sie heute ist, mit diesem zentralen Konflikt im Mittleren Osten, ein Ergebnis dieser Katastrophe ist. Später, als ich in Jerusalem war und sah, wie jede der drei großen Religionen diesen Ort für sich reklamiert, dachte ich, dieses Problem ist unlösbar. Oder anders gesagt – es ist unsere Aufgabe, diesen Konflikt zu lösen.

Zur Person

August Diehl (45) wurde im damaligen Westberlin als Kind einer Theater- familie geboren. Er studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Schon für seine erste Hauptrolle im Kinofilm „23 – Nichts ist so wie es scheint“ wurde er mit dem Deutschen Filmpreis als bester Darsteller ausgezeichnet.

International machte er sich einen Namen in „Inglorious Basterds“ und in „Nachtzug nach Lissabon“. Zu seinen wichtigsten deutschen Filmen gehören „Dr. Aléman“, „Wer wenn nicht wir“, „Die Fälscher“, „Wir wollten aufs Meer“, „Der junge Karl Marx“ und „Ein verborgenes Leben“.

Im Kinofilm „Plan A“ (Regie: Doron und Yoav Paz) spielt August Diehl einen jüdischen KZ-Überlebenden, dessen gesamte Familie ermordet wurde. Gemeinsam mit einer Gruppe, die sich „Nakam“ nennt, hebräisch für Rache, plant er einen Vergeltungsschlag gegen die deutsche Bevölkerung. Der Film, der auf Tatsachen beruht, erzählt ein bisher kaum bekanntes Kapitel aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. „Plan A“ kommt am 9. 12. ins Kino.

Hatten Sie das Gefühl, sich positionieren zu müssen?

In Graham Greenes Roman „Der stille Amerikaner“ gibt es eine Stelle, in der ein Sekretär zur Hauptfigur, dem Journalisten Fowler, sagt: „Irgendwann, Mister Fowler, muss man Partei ergreifen, wenn man menschlich bleiben will.“ Vielleicht stimmt das. Vielleicht ist das wichtig, auch wenn es einem schwer fällt. Es ist auch eine Luxusposition, keine Partei zu ergreifen. In dem Moment, wo man selber mittendrin steckt, muss man es. Es gibt diesen wunderbaren Roman von Joseph Roth, „Rechts und Links“. Er spielt in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als die Nazis hochkommen. Die Hauptfigur ist einer, der am liebsten Grammophon hört, Partys feiert und sich nicht politisch positionieren will – und der kommt unter die Räder. Die Figur hat etwas von Herman Melvilles „Der Schreiber Bartleby“, der an seinem Satz „Ich möchte lieber nicht“ irgendwann stirbt.

Kommen wir noch einmal auf den Film „Plan A“ und Ihre Rolle darin. Vor vielen Jahren, als Barbara Sukowa Rosa Luxemburg darstellte, gab es Stimmen, die ihr absprachen, diese Rolle spielen zu können, weil sie keine Jüdin ist. Nun spielen Sie als nichtjüdischer Deutscher einen jüdischen Shoa-Überlebenden. Ist Ihnen die Frage „Darf der das?“ schon begegnet?

Ich glaube, das wird noch kommen. Es war sicher auch für die israelischen Regisseure nicht einfach, das zu entscheiden. Mir fällt bei diesem Thema ein Abend im Deutschen Theater ein, wo der Schauspieler Ernst Stötzner während des Publikumsgesprächs nach der Premiere gefragt wurde, warum er denn einen türkischen Taxifahrer spiele, er sei doch gar kein Türke. Stötzner sagte: „Ja, das stimmt. Und ich verrate Ihnen was, ich bin auch gar kein Taxifahrer.“ Damit ist, glaube ich, alles über den Beruf des Schauspielers gesagt. Was „Plan A“ angeht: Ich glaube, es entstand dadurch, dass ich diese Rolle spiele, auch eine andere Spannung. Wenn man in meiner Figur diese Brücke schlägt, wird die Komplexität in Bezug auf die deutschen Juden klar. Es waren nicht zwei Länder, die gegeneinander Krieg geführt haben, sondern es gab eine Gruppe, die aus Deutschen bestand, die als Juden plötzlich verfolgt wurden.

Haben Sie sich mit den Ursachen von Antisemitismus beschäftigt?

Das beschäftigt mich sehr. Mir kommt Antisemitismus immer vor wie ein Atavismus aus einer längst vergangenen Zeit, etwas, das wir in einer globalen Welt längst überwunden haben müssten. Aber er ist immer noch da, verstärkt sich überall in Europa. Erschreckend ist, wie schnell antisemitische Bemerkungen wieder salonfähig geworden sind. Ich glaube, dass Angst eine der Hauptmotivationen ist. Wir sind in einer Zeit, in der viele Angst haben. Und diese Angst wird von bestimmten Parteien benutzt. Man kann die Angst so gut instrumentalisieren. Man schafft Feinde, um von anderen Problemen abzulenken. Mit diesem Muster lässt sich sehr vieles erklären, was nicht erklärbar ist. Diese Leute reden dann von angeblichen Denkverboten, dabei gibt es die in Deutschland gar nicht. Es geht um Erinnerung. Manchmal muss man darauf hinweisen, was erst vorgestern passiert ist.

Interview: Christina Bylow

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