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Oscar-Verleihung: Netflix gegen Spielberg

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Von: Daniel Kothenschulte

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Sicherheitshalber verhüllt, ehe sie enthüllt werden wird: Oscar-Statue.
Sicherheitshalber verhüllt, ehe sie enthüllt werden wird: Oscar-Statue. © AFP

Es ist der größte Auftritt eines deutschen Films bei einer Oscar-Verleihung. Aber es gibt an diesem Sonntag auch bessere Kandidaten als „Im Westen nichts Neues“.

Kaum bemerkt von der internationalen Filmwelt, erlebte Edward Bergers Oscar-nominierter Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ in Berlin am vergangenen Samstag noch einmal eine kleine Welturaufführung. Das Kino in den Hackeschen Höfen hatte ihn sich bei Netflix als 35mm-Kopie bestellt, ein seltener Anblick bei einem Film von 2022. Wie erwartet waren die acht Filmrollen, die da in zwei Kisten eintrafen, noch ungespielt. Eine cineastische Delikatesse bargen sie kaum: Die Bildqualität eines digital fotografierten Films kann – umkopiert auf Zelluloid – nur verlieren.

Nicht nur die kreativen Köpfe hinter der Auftragsproduktion aus Hollywood, auch die verwendete Hauptkamera Arri Alexa ist ein deutsches Fabrikat. Doch wer alle Details und die korrekten Farben sehen will, wählt am besten eine moderne Laserprojektion. Irgendwo in der erfolgreichen Marketingstrategie des Streamingdienstes Netflix muss dennoch die Herstellung einer Filmkopie sinnvoll erschienen sein – auch wenn sie letztlich niemand haben wollte. So einfach jedenfalls wird „Im Westen nichts Neues“ noch nicht zu einem Klassiker, der es mit Lewis Milestones berühmter Erstverfilmung von 1930 aufnehmen könnte.

Ist es unredlich, sich dieser Tage nicht in den patriotischen Chor einzureihen, der den größten Erfolg einer deutschsprachigen Produktion bei den Oscars begleitet? Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth wird am Sonntag gemeinsam mit der Delegation von German Films, der Exportunion des deutschen Films, im Dolby-Theater von Los Angeles erwartet. Es ist gut, dass sie dem Erfolg deutscher Filmemacher Anerkennung zollt, gerade wenn die von ihr verantwortete Filmförderung diesmal nicht angerufen wurde: Bezahlt haben alles die Amerikaner. Vermutlich ist dies der erste größere deutsche Kinofilm seit mehreren Jahrzehnten, der komplett ohne öffentliche Mittel produziert wurde. Der Traum vom großen deutschen Unterhaltungsfilm, der weltweit wahrgenommen wird, ist also nur in dieser Richtung denkbar: Wenn ein Hollywoodstudio ihn bestellt hat.

Das Netflix-Geschäftsmodell verlangt global wachsende Nutzerzahlen. Dazu werden in allen Weltgegenden Filme in Auftrag gegeben, die in den jeweiligen Landessprachen gedreht werden, aber wie Hollywoodfilme weltweit attraktiv gefunden werden. Eine spezifisch deutsche Filmsprache ist weder gewünscht, noch ließe sie sich bei Bergers Special-Effect-Feuerwerk nicht ausmachen.

Der Hyperrealismus der Schlachtenszenen geht zurück auf Steven Spielbergs Einsatz von „Splatter“-Effekten in „Saving Private Ryan“. Doch anders als Spielberg – zufällig mit „The Fabelmans“ ebenfalls ein Favorit der Oscar-Verleihung in der Nacht zum Montag – rahmen die grausigen Kriegsbilder hier kein menschlich-emotionales Drama. Die makaberen Schauwerte spielen die Hauptrolle, während tragende Figuren und ganze Handlungsstränge aus Remarques Roman lieblos herausgestrichen wurden und durch eine obskure Nebenhandlung zu den politischen Hintergründen ersetzt.

Auch wenn man das Special-Effect-Handwerk loben muss und den Nominierten von Herzen gratulieren möchte (besonders Filmkomponist Volker Bertelmann für seine wirklich experimentelle Arbeit am Harmonium): Es wurden für den Hauptpreis bessere Werke nominiert („The Fabelmans“, „Tár“, „Triangle of Sadness“, „Everything Everywhere All At Once“) oder übergangen („Nope“). Und auch in der Kategorie des „Internationalen Films“ wäre etwa das hochsensible belgische Jugenddrama „Close“ ein würdigerer Gewinner.

Umso mehr lohnt sich das Daumendrücken in den Einzelkategorien: Chancenreich sind neben Komponist Bertelmann die verdient Nominierten für Beste Kamera (James Friend), Ton, Szenenbild, visuelle Effekte und Maske. Zudem sind die Oscars keine jurierten Kunstpreise, sondern honorieren stets auch den Erfolg – und wann fand ein nicht-englischsprachiger Film schon zuletzt so viel Publikum wie „Im Westen nichts Neues“? Mit mindestens fünf Preisen, darunter „Bester internationaler Film“, ist hier also zu rechnen.

Aber wer gewinnt als „Bester Film“? Niemand hat die Herzen der um ihre klassische Kino-Kunst besorgten Hollywood-Community wohl mehr bewegt als Steven Spielberg mit „The Fabelmans“. Doch der Altmeister ist auch ein geübter Verlierer bei den Oscars, diesmal dürfte er sich mit dem Regie-Oscar bescheiden müssen. Denn wenn es einem Film gelungen ist, auch ein junges Publikum wieder in die Art-House-Kinos zu locken, war das der Überraschungserfolg „Everything Everywhere All At Once“.

In dieser Hommage an das Hongkong-Kino der 90er Jahre von Dan Kwan und Daniel Scheinert entdeckt Hollywood eine Qualität, die man hier wirklich schätzt: Jene Art von Originalität, die in jeder Sekunde unterhalten will. Auch Hauptdarstellerin Michelle Yeoh wird sich an Cate Blanchett (Tàr) vorbei eine Statuette abholen dürfen, ebenso wie Nebendarsteller Ke Huy Quan. Als „bester Hauptdarsteller“ macht sich Brendan Fraser wohl die größte Hoffnung, der in „The Whale“ einen 300 Kilo schweren Einzelgänger spielt.

Hollywood findet solcherart Verwandlungen meist in jeder Hinsicht sehr gewichtig – was auch den Preis für die beste Maske miteinschließt. Den hätte sonst „Im Westen nichts Neues“ gewonnen. Aber jede Wette: Es bleiben noch einige Preise übrig für den bisher größten Erfolg eines deutschen Oscar-Kandidaten.

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