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„Nord Nord Mord: Sievers und der erste Schrei“ (ZDF): Die Insel mit der hohen Todesrate

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Von: Harald Keller

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„Nord Nord Mord - Sievers und der erste Schrei“: Ina Behrendsen (Julia Brendler), Hinnerk Feldmann (Oliver Wnuk) und Carl Sievers (Peter Heinrich Brix) sind auf einer Düne direkt am Strand von Sylt. Sie suchen etwas im Sand unter einer Bank zwischen dem Seegras. Ina und Feldmann knien an der Holzbank, Sievers schaut ihnen mit einer Hand in der Manteltasche zu. Im Hintergrund ist der breite Strand mit dem offenen Meer zu sehen.
Carl Sievers (Peter Heinrich Brix, r.) findet in den Unterlagen der toten Hebamme Silke Adler einen versteckten Zettel mit einer verschlüsselten Information. Ina Behrendsen (Julia Brendler), Hinnerk Feldmann (Oliver Wnuk, M.) und Carl Sievers müssen das Rätsel um diese geheime Botschaft lösen, um den Fall aufzuklären. © ZDF/Georges Pauly

Auch im 21. Film der Reihe „Nord Nord Mord“ geht das Team um den einsilbigen Hauptkommissar Sievers in aller Gemütsruhe seiner Arbeit nach.

Frankfurt - Hauptkommissar Carl Sievers (Peter Heinrich Brix) ist der Radfahrer unter den Fernsehermittlern. Auf Sylt, 38 Kilomenter lang, knapp 13 Kilometer breit, wo sich der bedächtige Nordfriese mit Delikten am Menschen befasst, durchaus machbar, zumal sich mit ungefähr 14.000 Menschen die Mehrheit der Inselbewohner in der gleichnamigen Gemeinde konzentriert. Dennoch führt ihn sein Weg so gut wie immer durch oder in die Dünen. Ein prima Ort, um Leichen zu verscharren. Auch im 21. Film der ZDF-Krimireihe „Nord Nord Mord“. Der Kapiteltitel lautet „Sievers und der erste Schrei“, doch Leichen pflegen eher zu schweigen. Sievers bekommt gar keinen Schrei zu hören.

Konkurrenzkampf unter Krankenscheinempfängern?

Und die Hebamme Silke Adler nun auch nicht mehr, denn sie hat einen gewaltsamen Tod gefunden. Sie war ihrerseits mit dem Fahrrad unterwegs und wurde von einem schwarzen SUV gezielt auf die Haube genommen. Das zweiachsige Mordwerkzeug gehört dem ruppigen Klinik-Gynäkologen Dr. Johann Sowa (Stephan Schad), der offenbar mehr Zeit mit Kite-Surfen als in der Sprechstunde verbringt, sich nicht gerade als Arzt des Vertrauens empfiehlt und auf freiberufliche Hebammen, in der männlichen Variante Entbindungspfleger, gar nicht gut zu sprechen ist. Aber ob er die Konkurrenz auf derart rabiate Weise aus dem Weg räumt, bleibt die Frage.

Nicht die einzige, an der Sievers, die aufgeweckte Ina Behrendsen (Julia Brendler) und der ewig schlaumeiernde Hinnerk Feldmann (Oliver Wnuk), zu knabbern haben. Dabei bleiben die Verhältnisse recht übersichtlich, sind also weiterhin gut mit dem Fahrrad zu bewältigen. Adler war liiert mit der Geburtshaus-Kollegin Gode Zeisig (Katrin Pollitt) und befreundet mit dem Ehepaar Schwanitz. Constanze Schwanitz (Birte Hanusrichter) hatte eben mit Adlers Hilfe ein Kind zur Welt gebracht. Ihr Ehemann Christopher (Philippe Goos) führt eine Autowerkstadt, in der der Bolide von Dr. Sowa regelmäßig zur Bearbeitung abgegeben wird. Ein paar jugendliche hochnäsige Lümmel, vorderhand zur Körperertüchtigung, altersbedingt natürlich auch zum über die Stränge schlagen nach Sylt gekommen, müssen gleichfalls zur Vernehmung antreten.

Peinliche Momente in der Samenbank

Im Kern des Drehbuchs von Thomas O. Walendy steckt ein diskussionswürdiges Thema. Kann ein Geburtshaus mit Hebammen eine, so die Prämisse im Film, geschlossene klinische Entbindungsstation ersetzen? Oder, diese Frage bleibt in der Erzählung indes ausgespart, wird die Hebamme unter diesen Umständen nicht gerade erst unverzichtbar? Andererseits befindet sich der Gynäkologe Dr. Johann Sowa, sofern nicht gerade auf einem Ärztekongress in Osnabrück, bei Komplikatonen ja offenbar weiterhin sozusagen in Rufweite. Und mit seinem flotten SUV ist er selbst an den schmalen Ausläufern der Insel flugs zur Stelle, sofern Komplikationen auftreten. In dem Punkt ist das Drehbuch nicht ganz schlüssig. Zumal diese Fragen auch den Ermittlern hätten kommen müssen, aber die naheliegende Erörterung kommt nicht einmal ansatzweise in Gang.

Aber die tanzen, das darf man wörtlich nehmen – Tango! –, einmal mehr ausgiebig an den Seitenlinien herum. Feldmann gerät beim Geburtenthema und angesichts eines Neugeborenen in die Mittlebenskrise und sehnt traumverloren Nachwuchs herbei. Gezeugt natürlich mit der Kollegin Behrendsen, der er nun schon ewig hinterherschmachtet, ohne auf Gegenliebe zu stoßen. Und Behrendsen sieht sich auch gar nicht in der Mutterrolle. Weder kurz- noch mittelfristig.

Damit rutscht dann das ernstzunehmende Thema immer wieder ab in den Klamauk. Aus nicht unbedingt nachvollziehbaren Gründen begibt sich Feldmann in eine Samenbank und möchte spenden. Zur Aufbauhilfe wird ihm ein Porno vorgeführt. Natürlich ruft in eben diesem Moment Behrendsen an und, noch ärger, Feldmann findet den Knopf zum Ausschalten des überlauten Gestöhnes nicht. Unerfindlich, warum dieser alle Beteiligten beschämende Unfug nicht bei der ersten Drehbuchdurchsicht gestrichen wurde.

Der mit dem Goldfisch tanzt

Ein Ausrutscher in Richtung unglaubwürdig: Sievers möchte mit seiner Angebeteten Tabea Krawinkel (Victoria Trauttmansdorff) ins Theater, kommt sie aber mal einen Tag zu früh, dann einen Tag zu spät abholen. In der Regel ist der Aufführungstermin auf den Tickets abgedruckt. Ein Blick hätte genügt.

Nicht einmal vor Namenswitzen schrecken Autor und Redaktion zurück. Zwei Ornithologen, die den Anschlag beobachten, heißen Gruber und Huber. Und Frau Zeisig war mit Frau Adler liiert.

Eine andere Nebenhandlung, in der Sievers seine Goldfische vor einer Katze beschützen muss, wird immerhin von einer schönen Inszenierungsidee begleitet. Ein Goldfisch schwimmt durchs Bild und leitet elegant zur nächsten Einstellung über. Aber dieser surreale Überraschungseffekt bleibt eine unikale Erscheinung in einem bunten Allerlei, in dem nichts so richtig zusammenpassen will.

Zwar scheint das ZDF die Schlagzahl der „Nord Nord Mord“-Ausstrahlungen erhöhen zu wollen – zwei gab es bereits in diesem Jahr, zwei weitere sollten mittlerweile im Kasten sein –, aber aufs Ganze gesehen, unter Einbeziehung der Donnerstagskrimis im Ersten und der Gelegenheitsproduktionen der Privaten, geht die Tendenz eher dahin, derlei schlicht und oft sehr durchschaubar gestrickte Routinekrimis mit bemühtem Humoreinschlag zumindest zu reduzieren. Ganz verschwinden werden sie in absehbarer Zeit wohl nicht. Dafür ist die Spielart beim Publikum noch immer zu erfolgreich. (Harald Keller)

„Nord Nord Mord: Sievers und der erste Schrei“

Montag, 10.4.2023, 20:15 Uhr, ZDF

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