„Der Wien-Krimi – Blind ermittelt: Tod im Prater“ heute in der ARD: Mit feinem Gespür und scharfem Intellekt

Die österreichisch-deutsche Reihe „Blind ermittelt“ hebt sich in mehrerlei Hinsicht vom Routinekrimi ab.
Frankfurt – Im Wiener Vergnügungspark Prater steht neben vielen Fahrgeschäften und Buden ein Freifallturm. Wer die nötigen Nerven und einen guten Magen hat, kann sich bis in 85 Meter Höhe hinaufziehen lassen. Und dann geht es ungebremst nach unten.
Im freien Fall befinden sich auch mehrere Existenzen im sechsten Film der Reihe „Blind ermittelt“. Die Regisseurin Katharina Mückstein und ihr Schnitt-Team Olivia Retzer und Niki Mossböck machen es gleich in der Eröffnungssequenz deutlich – durch schnelle Wechsel zwischen dem halbdunklen Büro des von Weltschmerz erfassten Tom Wahrmund (Norman Binder) und den Lichtgewittern draußen auf dem Rummelplatz, die sich in seinem bildschirmfüllenden rechten Auge spiegeln. Sowie die Gondel abwärts rauscht, stürzt auch Wahrmund in die Tiefe. Er landet auf einem Autodach. Sinnigerweise auf dem Behindertenparkplatz.
Der nach einer Explosion erblindete, eben zum Sonderermittler ernannte Alexander Haller (Philipp Hochmair), wie immer begleitet von seinem Adlatus Nikolai Falk (Andreas Guenther), wird hinzugezogen. Ihre Arbeit führt sie denn auch in den Prater, unter anderem in die Geisterbahn.
„A Blinder und a Preiss“, frotzelt deren Besitzer Maringer (Norman Hacker). „Klingt wie der Anfang von einem schlechten Witz.“ Darauf hätte es hinauslaufen können, aber das Autoreduo Bastian Zach und Matthias Bauer – das auf ein Konzept von
Ralph Werner und Wolfgang Wysocki zurückgreift, worauf fairerweise in den Stabangaben hingewiesen wird – vermeidet alle drohenden Fallen und Fettnäpfchen. Selbst die Hundewitze sind durchaus erträglich.
„Der Wien-Krimi – Blind ermittelt: Tod im Prater“ (ARD): Mit Mut zur Geduld
Die Folge „Tod im Prater“ der österreichisch-deutschen Koproduktion, deren Titel für die Ausstrahlung im Ersten den überflüssigen Zusatz „Wien-Krimi“ erhielt, fällt auf Anhieb durch ihre stilvolle Inszenierung auf. Nicht L‘art pour l‘art, keine Angeberei, sondern Symbole und Zeichen mit Bedeutung und einem zumeist kommentierenden Bezug zur Handlung. In Wahrmunds Büro zeigt eine Projektion die stilisierte Silbe „EX:T“. Sie ist Bestandteil des Firmennamens „RIPLEX:T“, liest sich aber wie „Exit“ – Ausstieg, Ende, Abgang. Einmal sitzen Haller und Falk auf einer Bank im Prater. Hinter ihnen erhebt sich die Achterbahn „Boomerang“ und bildet vielsagend eine Herzform. Die Wohnung des Opfers befindet sich in einem der zu mondänen Wohnanlagen umgebauten Wiener Gasometer, der Innenhof, ähnlich wie in manchen Gefängnissen, kreisrund und gläsern überdacht. Das Körbchen der flauschigen Hundedame Krümel ist mit weißem Fell überzogen, das dem ihren gleicht. Wenn Krümel sich hineinduckt, ist sie von der Umgebung kaum zu unterscheiden.
Sorgfältig platzierte, selten aufdringlich ins Bild gesetzte mehrdeutige Details. Mit Ausnahme der gleißenden dysfunktionalen Lichtwand im Vernehmungsraum. Das war des Guten zu viel.
Alle Darsteller, darunter bekannte Gesichter wie Harald Schrott und die auch in der Reihe „Tatort“ mitwirkende Karin Hanczewski, spielen angenehm unangestrengt, ohne die in deutschen Produktionen oft zu beobachtende aufgesetzte Theatralik.
Ungewöhnlich ebenso, dass Regisseurin Mückstein Pausen zulässt wie in einer Szene, in der Haller und die Kollegin Laura Janda (Jaschka Lämmert) eine Auskunft von einer Rezeptionistin erbitten. Die muss per SMS bei ihrer Kollegin anfragen. Bis zur Antwort dauert es einige Zeit. Mückstein kürzt nicht ab, sondern überbrückt, indem sie das Schweigen, das Unbehagen, die Unsicherheit in den Blicken zeigt. Das hat Klasse und unterhält zumindest aufmerksame Zuschauer besser als jeder hektische Klamauk, wie er beispielsweise der ZDF-Reihe „Wilsberg“ eigen ist.
Rolle | Darsteller:in |
---|---|
Alexander Haller | Philipp Hochmair |
Nikolai Falk | Andreas Guenther |
Laura | Jaschka Lämmert |
Peter Lassmann | Michael Edlinger |
Ella Meisner | Karin Hanczewski |
Walter Eckmann | Jerry Kwarteng |
Gotthard Maringer | Norman Hacker |
Ludwig Rabitsch | Harald Schrott |
„Der Wien-Krimi – Blind ermittelt: Tod im Prater“ (ARD): Im schnittigen Oldtimer unterwegs
Der solide konstruierte Reihenkrimi erhält einmal mehr besonderen Reiz durch den erblindeten Wiener Ex-Chefinspektor. Keine gänzlich neue Idee. Schon 1971 ermittelte James Franciscus mit Blindenhund in der US-Serie „Longstreet“, die auf Romanen von Baynard Kendrick basierte. Die Exposition war sehr ähnlich wie beim „Wien-Krimi“: Longstreet verlor sein Augenlicht bei einer Explosion, bei der seine Ehefrau ums Leben kam. Bruce Lee spielte Longstreets Kampfkunstlehrer Li Tsung. In Steven Bochcos Serie „Blind Justice“ (2005) stand dem blinden Ermittler eine forsche Polizeikollegin zur Seite.
Alexander Haller mag blind sein, aber er ist nicht hilflos. Er hat sein Gehör und seinen Geruchssinn geschult und entwickelt so ein Gespür für Orte wie auch ermittlungstechnisch relevante Details, die er scharfsinnig einzuordnen weiß. Auf fremdem Terrain unterstützt ihn der aus Deutschland stammende Ex-Taxifahrer Nikolai Falk und fungiert als Chauffeur. Ihr ‚Dienstfahrzeug’ ist ein schnittiger Karmann Ghia in Rot und Weiß. Wegen seiner Auffälligkeit für Verfolgungsjagden ungeeignet, aber als Oldtimer ein Schmuckstück.
„Der Wien-Krimi“
„Blind ermittelt: Tod im Prater“: Donnerstag, 21. April 2022, 20.15 Uhr, ARD
„Blind ermittelt: Die nackte Kaiserin“, Donnerstag, 28. April 2022, 20.15 Uhr, ARD
Am Donnerstag kommender Woche zeigt Das Erste einen weiteren Film der Reihe. Das Team aus Regisseurin, Kameramann, Cutterin ist identisch, und doch fällt die Episode „Die nackte Kaiserin“ gegenüber „Tod im Prater“ merklich ab. Schon die Farbcharakteristik ist eine andere, und dem hier fürs Drehbuch zuständigen Nils Morten Osburg unterlaufen einige Ausrutscher in den Dialogen. Derbheiten wie „Auch ein blindes Huhn trinkt mal einen Korn“ oder die Titulierung einer älteren Dame als „Oma“ passt nicht zu dem kultivierten Alexander Haller, dem man in „Tod im Prater“ begegnet. Der Film ist wortlastiger und weniger raffiniert in der Bildführung, die kriminalistische Intrige aber gekonnt vertüftelt, dass auch ein Sherlock Holmes oder Hercule Poirot ihre Freude daran gehabt hätten. (Harald Keller)
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