Im Minenfeld zwischen Stasi und RAF

In einem ambitionierten Zweiteiler lässt das ZDF von der Treuhand, Morden der RAF und trüben Machenschaften der Staatssicherheit erzählen. Ein kühner Verschnitt aus Fakten und Spekulation.
An einem Herbsttag im Jahr 1990 setzt Sandra Wellmann (Petra Schmidt-Schaller) ihren Sohn und ihre Schwester, die als Lehrerin tätig ist, an der Schule ab. So wie jeden Tag, sollte man meinen, aber die Szene ist spürbar mit Emotionen aufgeladen. Als ob sich Wellmann insgeheim für längere Zeit von ihren Angehörigen verabschieden wolle.
Sie hat an diesem Tag noch weitere Termine. Sie trifft sich unter konspirativen Umständen mit Bettina Polheim (Jenny Schily) – im ZDF-Pressematerial abwechselnd auch „Pohlheim“ geschrieben – und Klaus Gelfert (Christoph Bach). Danach geht es gleich weiter zu einem Bewerbungsgespräch bei der Treuhand, die gegründet wurde, um die ehemals staatseigenen DDR-Unternehmen in die Privatwirtschaft zu überführen.
Wellmann hat das Glück auf ihrer Seite. Schon im Fahrstuhl begegnet sie dem Anstaltsvorsitzenden Hans-Georg Dahlmann (Ulrich Tukur), ergattert mit einer kessen Bemerkung dessen Aufmerksamkeit und wird auf eine Zigarette eingeladen. Dahlmann hat eine offene, unverblümte Art, die von manchen als verletzend aufgefasst wird. Auch Sandra Wellmann ist nicht auf den Mund gefallen. Die beiden verstehen sich. Wellmann wird Dahlmanns neue Referentin.
Im Kreuzfeuer der Kritik
Es geht der jungen Frau, die zuvor Sozialarbeit für Obdachlose geleistet hat, um mehr als eine lukrative Anstellung. Sie ist über ihren früheren Lebensgefährten Lars Oehmke (Nikolai Kinski), den Vater ihres Kindes, an die dritte Generation der Terrorbande Rote Armee Fraktion (RAF) geraten. Oehmke ist abgetaucht und soll sich im Libanon aufhalten. Wellmann möchte ihm folgen, die RAF soll ihr dabei helfen. Als Gegenleistung verlangen Polheim und Gelfert, dass sie den Treuhandvorsitzenden Dahlmann ausspioniert. Denn der steht ganz oben auf einer Liste mit potenziellen Anschlagszielen.
Erst einmal ereignet sich ein anderes Attentat. Der Konvoi des Vorsitzenden der Deutschen Volksbank wird auf einer Nebenstrecke in eine ausgetüftelte, tödliche Sprengfalle gelockt. Eine trickreiche, technisch aufwendige, mit militärischer Präzision durchgeführte Aktion. Ganz untypisch für die RAF.
Inzwischen hat sich Wellmann bei der Treuhand eingearbeitet und erlebt, wie sich ihr Chef Dahlmann gegen die Verramschung der ostdeutschen Betriebe stemmt. Deren Anlagen und Betriebsvermögen werden systematisch zu niedrig veranschlagt und für lächerliche Beträge zu Markte getragen. Ein Einfallstor für Hochstapler und Hasardeure, zugleich eine Gelegenheit für westdeutsche Unternehmen, potenzielle Mitbewerber auszuschlachten und stillzulegen.
Betroffene Arbeitnehmer kritisieren ihn heftig, mit seinem unerbittlichen Vorgehen gegen die Korruption macht sich Dahlmann aber auch in Wirtschaftskreisen Feinde und erwirbt den Respekt seiner Referentin, die ihn auf diesem Gebiet nach Kräften unterstützt. Sie haben letzten Endes verwandte Ziele; bald zweifelt sie an ihrer heimlichen Mission. Und doch kommt der Tag, an dem auf Dahlmann geschossen werden soll …
Die Fakten zur Fiktion
Ohne weitere Vorkenntnisse werden Zuschauer unter 30 den ZDF-Zweiteiler „Der Mordanschlag“ als einen Politthriller wie manch anderen wahrnehmen. Tatsächlich aber orientiert sich Drehbuchautor André Georgi, der den Stoff unter dem Titel „Die letzte Terroristin“ auch als Roman vorgelegt hat, an historischen Ereignissen und öffentlichen Personen. Als Material dienten ihm die Morde am Bankier Alfred Herrhausen und am realen Treuhandvorsitzenden Detlev Rohwedder. Beide Verbrechen sind bis heute ungeklärt und damit Gegenstand von Gerüchten und Verschwörungstheorien. Für Krimiautoren ein dankbares Feld.
Die bestehenden Lücken und Ungereimtheiten können aus der eigenen Fantasie heraus gefüllt, fehlende Erklärungen konstruiert werden. Allerdings ein diffiziles Vorgehen, weil es Missverständnisse auf Seiten der Zuschauerschaft provoziert. Georgi gibt der These Raum, wonach Überbleibsel des DDR-Staatssicherheitsdienstes hinter der Ermordung Dahlmanns alias Rohwedders stecken. Zugleich scheinen westdeutsche Wirtschaftskreise in die Tat verwickelt. Eigentlich konträre Parteien. Ob und wie die sich zur Komplizenschaft zusammenfinden konnten, bleibt im Film unbeantwortet.
Diese Unschlüssigkeit zeigt sich auch an anderer Stelle. Vernachlässigt wird beispielsweise das Motiv der Hauptprotagonistin Sandra Wellmann – sie soll sich radikalisieren und am Ende bereit sein, rein aus Liebe einen Mord zu begehen an einem Menschen, den sie zu schätzen gelernt hat. Auch wenn Wellmanns wachsender Respekt gegenüber Dahlmann und ihre quälenden Skrupel in der Darstellung durch Petra Schmidt-Schaller deutlich werden, können einzelne gelungene Szenen den grundsätzlichen Plausibilitätsmangel nicht überdecken. Ein für den Plot maßgeblicher Charakterzug bleibt somit unterbelichtet.
Spannend ist der Zweiteiler in jedem Fall, von Miguel Alexandre sehr packend und beim Blick auf die Folgen der Verbrechen für Opfer und auch Täter sensibel inszeniert, doch unter dem Gesichtspunkt der bearbeiteten historischen Wirklichkeit vermag das Konzept nicht zu überzeugen.
Das ZDF reicht die Tatsachen, soweit sie denn bekannt sind, nach und sendet am 7. November im Anschluss an den zweiten Teil den 45-minütigen Beitrag „Der Mordanschlag – Die Dokumentation“. Autor Florian Hartung lässt sowohl die Geschichte der Treuhandanstalt, die, was wohl vielen nicht mehr in Erinnerung sein dürfte, ursprünglich auf eine Idee ostdeutscher Bürgerrechtler zurückging, Revue passieren wie die zeitlich korrespondierende Phase der Rote Armee Fraktion und ihre Verbindungen in die DDR.
Das Publikum erhält damit einen oberflächlichen Überblick über die angerissenen Themen und eine brauchbare Ergänzung zur Fiktion, aber keine originäre investigative Darstellung, die den aus Treuhand, der RAF und der Stasi gebildeten, noch immer höchst undurchsichtigen Komplex erhellen würde. Es bleibt also bei Gerüchten, Verdächtigungen, Spekulationen – und bei einem weiterhin offenen Spielraum für Roman- und Drehbuchautoren.