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„X Men: Dark Phoenix“: Teurer Flop oder verkanntes Juwel?

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Von: Daniel Kothenschulte

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Jessica Chastain verschwendet ihr Talent als Alien Vuk.
Jessica Chastain verschwendet ihr Talent als Alien Vuk. © Twentieth Century Fox

Wie sich das Mainstream-Kino gerade selbst abschafft, führt der Dutzend-Blockbuster „X Men: Dark Phoenix“ vor.

Schlechte Nachrichten reisen schnell, weiß ein englisches Sprichwort. Selbst rigorose Sperrfristen, mit denen große Filmkonzerne derzeit die Presse belegen, wenn es um teure Blockbuster geht, können sie nicht stoppen. Zwar war noch am Dienstag weltweit keine seriöse Filmkritik zu „X-Men: Dark Phoenix“ zu finden; doch allein das rigide Durchsetzen der Sperrfrist wurde von den Fans als Alarmsignal gedeutet.

Als schließlich die führende Kritiken-Seite, „rotten tomatoes“, gestern 45 Texte beisammen hatte und daraus eine Bewertung errechnete, mochte sich der „Dark Phoenix“ förmlich mit jener Asche bedecken, aus der er aufgestiegen war: Ganze 18 Prozent der Autoren hatten den Film positiv besprochen. Der Disney-Konzern, der diesen letzten X-Men-Film mitsamt dem konkurrierenden Studio Fox erworben hatte, muss sich auf einen teuren Flop einstellen. Oder ließe sich „Dark Phoenix“ am Ende gar als verkanntes Juwel verteidigen?

„X Men: Dark Phoenix“ zeigt die Krise des Studiokinos

Tatsächlich könnte dieser rätselhafte Film am Ende sogar Filmgeschichte schreiben – als das sichtbarste Produkt einer fundamentalen Krise des Studiokinos. Jahrelang hat man auf ein und dieselbe Formel gesetzt: Selbst wenn junge Zuschauer immer seltener ins Kino gehen, hält man das Superhelden-Universum für unfehlbar. Doch es ist nicht mehr nachvollziehbar, dass millionenfach teure Tickets für vollkommen austauschbare Kinoerlebnisse bezahlt werden. Dafür gibt es einfach zu viele Alternativen.

Ein Fehler, den bereits die meisten Zuschauer vermeiden, ist der, sich für eine 3D-Vorstellung zu entscheiden. Abgesehen von ein paar hochmodernen Laser-Kinos ist dieses vor etwa einem Jahrzehnt eingeführte Verfahren nicht mehr zeitgemäß. Die verhangenen, blassen Farben bereiten den überstrapazierten Helden ein deprimierendes Entré. Aber was ist überhaupt aus den „X-Men“ geworden? Schwungvoll hatten sie sich in früheren Teilen durch swingende sechziger und alternative siebziger Jahre gekämpft. „X-Men: Apocalypse“ ließ sie schließlich in den 80ern auf Ronald Reagan treffen, immerhin selbst ein B-Film-Held, der Schurken-Geschichte schrieb.

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Müde begegnen wir den Marvel-Helden nun in den frühen 90er Jahren, einer Zeit, in der Autor und Regisseur Simon Kinberg immerhin sein Filmstudium aufnahm – und doch anscheinend keine bildhafte Erinnerung davon getragen hat. Man fühlt sich in Pixars „Die Unglaublichen“, doch hier ist alles ernst gemeint. Als „Mädchen für alles“ rackern sich vor allem die weiblichen Mitglieder der Mutantentruppe im Dienst der Allgemeinheit ab. „Warum nennen wir uns nicht um in X-Women“, lautet einer der wenigen markanten Dialogsätze. Jennifer Lawrence’ Raven formuliert ihn, doch er bleibt wie das meiste in dieser Geschichte folgenlos.

Hollywoods Erzählkultur am Tiefpunkt

Hollywoods Erzählkultur hat in solcherart formelhaften Blockbustern ihren Tiefpunkt erreicht: Mäandernde Strukturen, die keine Akzente setzen, gehören zu ihren Konventionen. Auch hier wird immer wieder dieselbe dünne Vorgeschichte aufs Neue erzählt: Eine andere X-Frau steht in ihrem Zentrum, die telekinetisch begabte Jean Grey. Sophie Turner (Sansa Stark aus „Game of Thrones“) spielt sie als Erwachsene, doch immer wieder blendet der Film zurück in ihre Kindheit. Da verursachen ihre Geisteskräfte versehentlich einen Autounfall, der sie als Waise zurücklässt – wenigstens lässt ihr neuer Vormund Dr. Xavier (James McAvoy) sie lange in dem Glauben. Immer wieder muss sich der Mutanten-Meister im weiteren Verlauf der Geschichte bei ihr für die frühen Lügen entschuldigen, die bei seinem Mündel zu einer starken Persönlichkeitsveränderung geführt haben. Es ist eine veritable Missbrauchs-Geschichte, die hier unter der Oberfläche schlummert, doch natürlich traut sich niemand, sie zu Ende erzählen.

Aber auch die Figur von James McAvoys Xavier vermag der Film nicht in befriedigender Weise zu entwickeln: Zwar erscheint er diesmal als zwiespältiger Ehrgeizling, der sich eitel die Meriten der mutigen Mutanten ans eigene Revers heftet, doch eine Charakterstudie will daraus nicht werden. Was uns zu einer weiteren Merkwürdigkeit des Blockbuster-Kinos führt: Wann hat man schon einmal derart begabte Schauspieler in solcher Untätigkeit gesehen?

Aufbegehren Hollywoods gegen die Marktmacht der Streaming-Dienste

An der Seite von Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence spielt Michael Fassbender, Gewinner von nicht weniger als 72 Filmpreisen, mit unbeweglicher Mimik die Rolle des Magneto. Ein dressierter Affe könnte es genauso. Jessica Chastain verschwendet ihr Talent als Alien Vuk, wobei ja eigentlich nirgends geschrieben steht, dass Außerirdische wie missgestaltete Schaufensterpuppen aussehen müssen. Wer erwartet all diese Koryphäen in Rollen, die jederzeit von anderen Stars verkörpert werden können, weil ein Prequel oder eine in einem Paralleluniversum angelegte Fortsetzung danach verlangt? Es gab schon einmal eine Zeit, als Hollywoodfilme förmlich überquollen vor Stars die niemand brauchte, das war die Epoche der Monumentalfilme vor 60 Jahren. Es war die größte Krise, die das Kino bis dahin erlebt hatte. Nach wenigen Jahren gab es zwei Drittel weniger Kinos in der westlichen Welt.

Was wir heute erleben, erinnert fatal daran: Es ist das verzweifelte Aufbegehren Hollywoods gegen die Marktmacht der Streaming-Dienste. Doch anstatt die Möglichkeiten geschlossener Filmerzählungen mit spektakulären Schauwerten als Chance zu begreifen, wird nur noch in Serie gedacht. Dabei waren die erfolgreichsten Blockbuster immer Einzelwerke innerhalb ihrer Serien, wie etwas die Batman-Filme von Tim Burton oder Christopher Nolan zum Beispiel. Das aktuelle Blockbuster-Kino möchte am liebsten alles vergessen machen. Die Geschichten, während wir sie noch sehen. Und das bei jungen Leuten angeblich so ungeliebte Kino gleich mit.

X-Men: Dark Phoenix.
USA 2019. Regie: Simon Kinberg.
113 Min.

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