Precht und Flaßpöhler im ZDF: Zwei Missverstandene bestätigen sich

Richard David Precht und Svenja Flaßpöhler meiden das Thema Corona im ZDF weitgehend. Dafür verlangen sie, dass Opfer auf ihre Aggressoren zugehen. Eine TV-Kritik.
Richard David Precht ist ein sensibler Mann. Der zum Teil heftige Gegenwind an seinen größtenteils befremdlichen Thesen rund ums Thema Impfen im gemeinsamen Podcast mit Markus Lanz hat ihn in seiner intellektuellen Ehre schwer gekränkt. Das lässt sich schon an einem länglichen und vor Selbstmitleid triefendem Interview ablesen, dass er anschließend den Kollegen der Zeit gab.
Dass Precht berechtigte Kritik an seinen Schwurbeleien, mit denen er den sich – bewusst oder aus Naivität – der bundesweit radikalisierenden „Querdenken“-Bewegung andiente, weiter an seinem Selbstverständis nagt, beweist er nun im Gespräch mit seiner Philosophen-Kollegin Svenja Flaßpöhler im ZDF-Format „Mehr von Precht“.
Dabei wird die Auswahl seiner Gesprächspartnerin genauso wenig Zufall gewesen sein, wie das Motto der Sendung. Svenja Flaßpöhler nämlich hatte sich zuletzt damit ins Gespräch gebracht, im Rahmen der ARD-Sendung „Hart aber Fair“ die „Querdenker“-Versteherin zu geben. Das führte nicht nur zu einer Welle der Empörung in Sozialen Medien, sondern auch für eine Mitgliedschaft der profilierten MeToo-Kritikerin im Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Club.
Precht und Flaßpöhler im ZDF: Die Missverstandenen bestätigen sich gegenseitig
Und so sitzen sich die beiden Missverstandenen nun auf zwei Stühlchen gegenüber und bestätigen sich gegenseitig in ihrem Habitus. Das Motto der Sendung: „Sensibilisieren wir uns zu Tode?“ Ähnlichkeiten zum Titel des letzten Buches aus Flaßpöhlers Feder („Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“) können, müssen aber nicht einer Laune des Zufalls entsprungen sein. Entsprechend „investigativ“ müht sich Precht dann auch, der Schwester im Geiste möglichst hübsch geframete Bällchen zuzuspielen, die vor passiver Aggressivität nur so strotzen. Und die Flaßpöhler nur allzu gerne weiterverwertet.
Da sich beide in kürzester Zeit die sensiblen Philosophen-Fingerchen zuletzt auf dem dünnen Eis der Impfgegner-Versteherei verbrannt hatten, versuchen sie ihre Empörung über eine angeblich Gender- und Black Lives Matter-getriebene und von der Sprachpolizei überwachte Gesellschaft nun anderweitig anzupinnen.
Schon die Einführung in dieses seltsame Stück Fernsehen lässt Übles erahnen. Precht spricht frontal in die Kamera: „Noch nie war es gesellschaftlich so sehr akzeptiert wie heute, die eigene Sensibilität und Verletzlichkeit zu zeigen. MeToo, Black Lives Matter, Gender-Debatten und die Diskussion um die Corona-Maßnahmen sind nur ein paar Beispiele dafür.“ Ah ja. Ein „paar Beispiele“ also für diese angebliche Verletzlichkeit. Die Anordnung und Aufreihung dieser „Beispiele“ spricht dabei für sich. Genauso wie die luftige Formulierung „Diskussion um die Corona-Maßnahmen“.
Richard David Precht schießt gegen MeToo und Black Lives Matter – kein Wort über „Querdenker“
Warum genau erwähnt Precht als Beispiele für angeblich vor Hypersensibilität schnappatmenden Gruppierungen MeToo und Black Lives Matter im Gegensatz zur „Querdenken“-Bewegung namentlich und spricht nicht ähnlich vage von einer „Diskussion über Missbrauch“ oder „Diskussion über Alltagsrassismus“? Precht weiter: „Gleichzeitig jedoch steigt auch die Aggression und die pauschale Verurteilung Andersdenkender.“ Ach, deswegen.
Nochmal Precht, diesmal in Form einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: „Die gesellschaftlichen Fronten verhärten sich.“ Und merkt gar nicht, wie sehr er sich mit der nächsten Frage selbst persifliert: „Hat unsere gesteigerte Sensibilität ihre Kehrseite in einer erhöhten Reizbarkeit?“ Mit seiner Komplizin Flaßpöhler will er erörtern: „Und was steht dadurch für unsere Gesellschaft auf dem Spiel?“
Und los geht‘s mit dem ersten Steilpass: „Frau Flaßpöhler, kann man über Empfindsamkeit reden, ohne die Empfindsamkeit anderer zu verletzen?“ Die überraschende Antwort: „Ja, ich würde eher über Empfindlichkeit sprechen.“ Tatsächlich könne man es ja „versuchen“, wisse aber nicht, ob das gelänge, weil man ja nicht wisse, „wie ein Sprecher beim anderen“ ankomme. So also klingt „das darf man ja heute nicht mehr sagen“ auf philosophisch.
Richard David Precht im ZDF: „Zeitalter der Empfindlichkeit“
Mit der steilen These „wir leben ja heute im Zeitalter der Empfindlichkeit oder der Empfindsamkeit, wenn es um die Frage geht ‚Geschlechtsidentitäten‘, wenn es um die Frage geht ‚Hautfarbe, Black Lives Matter-Bewegung‘, wenn es um das Verhältnis Mann und Frau geht, ‚MeToo-Debatte‘“ leitet Precht daraufhin einen verstörenden Dialog ein. Es handle sich dabei ja „alles um Debatten“, bei denen ein „hohes und auch neues Maß an Sensibilität“ eingefordert werde. Einher ginge das alles (übrigens erneut kein Wort über die selbstmitleidigen und egoistischen Geiselnehmer der „Querdenker“), so Precht, mit gesellschaftlicher Aufregung und Erregung.
„Mehr von Precht“ mit Richard David Precht und Svenja Flaßpöhler
„Sensibilisieren wir uns zu Tode?“, von Sonntag, 29. November 2021, ab 23.45 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.
Schon nach weniger als zwei Minuten drängt sich die Frage auf: Ist das eigentlich noch Dialog oder das große Winterfest der Modernitätsverweigerung? Svenja Flaßpöhler nimmt den Faden auf und schwurbelt verschachtelt über Sprechverbote, die sie „Stadium, in dem man erst mal klären muss: Was verletzt mich? Welche Art des Sprechens tangiert meine Würde und so weiter“ nennt.
„Nicht nur die Betroffenenperspektive“ dürfe zugelassen werden, sagt Flaßpöhler (obwohl diese ja „unbedingt notwendig“ sei) – und vergisst auch nicht, den Holocaust und „die Juden“ ins Spiel zu bringen. Der nächste kalte Schauder macht sich breit. Stattdessen müsse die „Betroffenenperspektive“ mit einer „Nichtbetroffenen-Perspektive“ – Achtung – „vermittelt“ werden. Weil wir ja schließlich „alle in einer Gesellschaft“ leben und „miteinander klarkommen müssen“. Übersetzt: Von Alltagsrassismus und Frauenfeindlichkeit Geplagte sollen doch bitte auf ihre Aggressoren zugehen. Eine Art Täter-Opfer-Gespräch also, mit Bringschuld bei den Betroffenen. Ist das Ihr Ernst, Frau Flaßpöhler?
Flaßpöhler bei Precht im ZDF: „Ontologische Einfühlungsgrenzen“
Ist es: „Weil beide Positionen etwas sehen, was die anderen nicht sehen.“ Ah ja. Der Weiße, alte Mann sieht also etwas, das Schwarze respektive sexuell belästigte Frauen so selbst nicht sehen können. Was soll das sein, Frau Flaßpöhler? Das Bedürfnis etwa, sich nach der guten, alten Zeit zu sehnen, in denen diese Menschen schön den Mund hielten? Precht sekundiert: Bisher habe man das Thema ja selten aus einer „Betrachtungsperspektive“ betrachtet, so wie es Svenja Flaßpöhler mache, sondern lieber gleich zu „Empörungen“ gegriffen. Schweinerei. Wie kann man nur emotional und empört reagieren, wenn man auf seine Hautfarbe oder sein Geschlecht reduziert wird? Mehr Sachlichkeit im Moment der Demütigung, bitteschön!
Man mag nach weniger als fünf Minuten abschalten. Oder Precht fragen, ob er im weiten Rund keine Schwarze gefunden hat, die er dazu hätte befragen können. Stattdessen: Alte Weiße Menschen erörtern wieder einmal die Befindlichkeiten Schwarzer, die selbst nicht zu Wort kommen dürfen.
Flaßpöhler verteidigt diesem Umstand durch angebliche „ontologische Einfühlungsgrenzen“. Man dürfe nicht sagen, „Weiße können Schwarze nicht verstehen und Schwarze können umgekehrt Weiße nicht verstehen“. Das könne nicht sein, was „wir mit Fortschritt und Partizipation bezeichnen“. Was sie nicht erwähnt, ist der klitzekleine Unterschied, dass Weiße nicht seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten, gegen eine rassistische Ungleichbehandlung ankämpfen müssen.
Richard David Precht vermisst „Erotik“ am Arbeitsplatz
Precht macht es noch schlimmer. Sein Buch „Wer bin ich und wenn ja wie viele“ sei ja schließlich von einer Schwarzen Frau übersetzt worden. Er habe dabei nicht das Gefühl gehabt, dass sie sich nicht in ihn hätte hinein fühlen können. Es drängt sich der Verdacht auf, dass dieser selbstgefällige Mann noch nie seiner Hautfarbe wegen in eine Polizeikontrolle geraten ist und schlicht nicht versteht, worum es geht.
Dafür beschwert er sich darüber, dass die „Erotik“ inzwischen ihr „eigenes Fach“ bekommen habe und von der Berufswelt getrennt werde. Das sorge dafür, dass die Berufswelt „steriler“ werde. Und manche dachten wirklich, dass der Arbeitsplatz schon immer in erster Linie ein Ort zum, nun ja, arbeiten gewesen sei. Natürlich kann man aber auch, wie offensichtlich Precht und noch offensichtlicher ein gewisser ehemaliger Chefredakteur, dem Großraumbüro als Singlebörse hinterhertrauern. Flaßpöhler stimmt mit ein: Die neue Sensibilität ginge mit einer „Härte“ einher, einer „ganz strengen Regulation“.
Precht: „Das ist die Kehrseite freiheitlicher Gesellschaften.“ Diese „freiheitliche Gesellschaft“ beschreibt er mit „einer Notwendigkeit zur Selbstzensur“. Es handle sich um eine Gesellschaft des „sich fünfmal Überlegens, sag ich das, tu ich das, mach ich das“. Tatsächlich wirkt Precht nur noch selten, als denke er fünfmal nach. Schon gar nicht, als er von einer „Öffentlichkeit“ faselt, „die abweichendes Verhalten sehr stark stigmatisiert“.
Richard David Precht verdingt sich im ZDF verlässlich an einer Täter-Opfer-Umkehr
Precht palavert ohne rot zu werden, dass man „umzingelt“ sei von „ganz, ganz sensibilisierten Menschen, die sich sehr, sehr leicht verletzt fühlen“. Der Philosoph sehnt sich nach „früheren Zeiten“, in denen man „Verletzlichkeit nicht gezeigt“ habe. Denn: „Heute ist Verletzlichkeit legitim. Die Verletzlichkeit wird gezeigt und sie zeigt sich dann häufig in Aggression oder in Empörung.“ Wieder verdingt er sich verlässlich an einer Täter-Opfer-Umkehr.
Wie Menschen, die sich Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund äußerer Merkmale wie Hautfarbe oder Geschlechtsidentität ausgesetzt sehen, gegen dieses Mobbing aufbegehren können, will einfach keinen Platz finden vor seinem Horizont. Stattdessen sagt Precht: „Nach dem Motto, wie kann der sowas über mich sagen, wo ich doch Frau bin.“ Es ist schwer zu ertragen.
Schuld an all diesem Übel der Moderne ist, geht es nach Precht, übrigens „ein gnadenloser Wettkampf der Medien um Aufmerksamkeit“. Jene „die Medien“ also, denen er überhaupt erst seine Bühne verdankt. Und die Aufmerksamkeit, die er erreicht. Flaßpöhler will nun mal eine Lanze brechen für „die linken Woken“. Eine aggressive Reizbarkeit sei ihnen nicht exklusiv, auch Rechtsextreme verfügten über eine „ganz hohe Reizbarkeit“, die mitunter „mörderische Konsequenzen“ habe. Sie erwähnt den Tankstellenmord eines Menschen, der sich „so gereizt“ gefühlt habe von der Maskenpflicht, dass er einem jungen Mann in den Kopf schoss.
Richard David Precht fehlt der Mumm, mit Schwarzen über Schwarze Lebenswirklichkeiten zu reden
Precht dimmt diesen kurzen, hellen Moment direkt runter. Reizbarkeit habe keine politische Farbe, sagt der Philosoph. Und nimmt die „Querdenker“ in Schutz, indem er ihnen eine „Angst“ einräumt, in einer Zeit, die ja sei wie „im Krieg“. Maske tragen auf einer Stufe mit Bomben, Mord und Vertreibung. Der Mann meint es wirklich so. Und sagt wirklich, dass ein Krieg wenigstens irgendwann vorbei wäre, wohingegen aktuell ein Gefühl herrsche, ewig mit dieser Pandemie leben zu müssen. Es schwingt mit: Im Gegensatz zur Maskendiktatur ist Krieg ja eigentlich ganz okay.
Zum Ende des Gesprächs hin ignoriert Svenja Flaßpöhler dann noch einmal ungeniert, dass Jasmina Kuhnke die Frankfurter Buchmesse mied, weil sie sich als Schwarze Autorin von den Schergen der rechten Verlagsmeute bedroht fühlte. Und eben nicht aus Gründen des Boykotts, getrieben von einer diffus behaupteten Social Media-Öffentlichkeit. Auf die Bühne hätte sie doch lieber gehen sollen, sagt die Philosophin.
Damit macht sie ein letztes Mal deutlich, dass sie als Weiße Frau so gar nichts versteht aus der Lebenswirklichkeit von Menschen, die sich Anfeindungen und Morddrohungen aufgrund ihrer Hautfarbe und des Umstands ausgesetzt sehen, dass sie den Mund nicht mehr halten wollen. Und verdeutlicht, dass Richard David Precht, verfügte dieses Schneeflöckchen über auch nur ein klein wenig Mumm, statt Flaßpöhler lieber Kuhnke selbst hätte einladen sollen. Aber wozu, solange Weiße weiterhin zufrieden damit sind, die Befindlichkeiten Schwarzer Menschen unter sich zu verhandeln. (Mirko Schmid)