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MDR-Polizeiruf „Black Box“ heute in der ARD: Es gibt für alles eine Erklärung

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Von: Judith von Sternburg

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Eloi Christ (r.) mit Kai Müller als Tomi. Foto: Conny Klein/MDR/filmpool fiction
Eloi Christ (r.) mit Kai Müller als Tomi. Foto: Conny Klein/MDR/filmpool fiction © MDR/filmpool fiction/Conny Klein

„Black Box“: Der Polizeiruf aus Magdeburg zieht viele Register, aber Frau Brasch wird es richten.

Frankfurt - Frühes Misstrauen keimt bei dem Kinderspiel „Welche Farbe hatte das Auto, das eben vorbeigefahren ist?“. Man kann immer nur eine Runde davon spielen. Denn selbstverständlich weiß man die Antwort, wenn man hingestarrt hat. Bedenklich ist aber nicht die falsche Antwort, sondern dass man sich so sicher ist. Das Gehirn bietet sofort etwas an, füllt die Lücke, eine fürsorgliche Manipulation, denn der Mensch soll sich sicher fühlen auf der Welt, in die er hineingeworfen ist.

Hier geht es aber nicht darum, was das für die Wichtigkeit von Augenzeugen vor Gericht heißt, und was es wiederum über den Menschen sagt, dass er sich weiterhin am liebsten auf sich und seinesgleichen verlässt, wenn es ernst wird. Hier geht es um eine finstere Variante der Operettenzeile „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“.

MDR-Polizeiruf „Black Box“ (ARD): Unzuverlässigkeit von Erinnerung

Vor zwei Wochen drehte sich der Münchner Tatort um Demenz und Verdrängung in einer, sagen wir einmal: originellen Versuchsanordnung. Es ist wieder eine jener Sonntagabendkrimi-Koinzidenzen, dass es auch im letzten Polizeiruf der Saison um die Unzuverlässigkeit von Erinnerung geht, dass erneut psychologische Expertise eingeholt wird und die Ausgangslage wieder ungewöhnlich ist. Und ein wenig bemüht. Aber neugierig ist man schon.

Ein junger Mann ist nämlich mit seinem Geliebten im Zug unterwegs. Ein Typ kommt ins Abteil, schimpft und schnauzt am Telefon herum, ein furchtbarer Kerl, klar. Gleichwohl ist es eine Überraschung, dass der junge Mann ihn ad hoc erschlägt, mit einem Nothammer, wie sich zeigt. Am Vorfall selbst gibt es keine Zweifel, so viele Augenzeugen und Augenzeuginnen wie am Sonntagabend vor dem Fernseher können nicht irren.

Es bleiben allerdings Fragen, nicht nur, weil der Schauspieler Eloi Christ so niedlich ist und so haarscharf erst dem Kinderdarstelleralter entsprungen. Sondern auch, weil der junge Adam selbst sich an die Tat nicht erinnert und weil die einflussreichen Eltern Druck machen, die Sache rasch auf Notwehr hinlaufen zu lassen.

RolleDarsteller:in
Doreen BraschClaudia Michelsen
Uwe LempFelix Vörtler
Günther MárquezPablo Grant
Adam DahlEloi Christ
Tomislav BogunovicKai Müller
Klaus-Volker DahlSven-Eric Bechtolf
Bianca DahlCorinna Kirchhoff
und andere

MDR-Polizeiruf „Black Box“ (ARD): Auch die Ermittlerin ist traumatisiert

Die Magdeburger Ermittlerin Brasch schleppt ihrerseits noch ein Trauma aus der vorangegangenen Folge „Der Verurteilte“ mit sich. Kaum eine will man in dieser aufreibenden Lage lieber beobachten als Claudia Michelsen, die zwar unter Ute Wielands feiner Regie tut, was Traumatisierte im Fernsehfilm so tun – zu sirenenhafter Musik durch die Gänge wanken, um Fassung ringen, Türen und Fenster offen halten, in Tüten atmen –, aber doch von eigenem Ernst ist dabei. Auch gibt ihr das Drehbuch von Zora Holtfreter überraschende Sätze an die Hand. „Ich geh zu niemandem, der Bräunlich heißt.“ Die stoische Therapeutin Bräunlich, Susanne Böwe, wird ihr nachher noch mehrfach helfen. Ein Trauma ist eben weder nett noch vernünftig.

Dafür verdoppelt es Braschs Empfindlichkeit für Adams Probleme. Auch wir bekommen sehr deutlich vorgeführt, dass der junge Mann leidet (ältere Frauen scheinen etwas interessanter zu leiden als jüngere Männer), und Brasch wird nicht lockerlassen. An ihrer Seite: Ihr Chef, Felix Vörtler, der manchmal ein Hemmnis ist, aber vor allem der Rückhalt, von dem wir alle träumen. Hinzu kommt der hellwache Günther, Pablo Grant, der polizeiliche Nachwuchs, der nach dem betrüblichen Weggang von Matthias Matschke als sinnige Ergänzung nach vorne geschoben wird. Eine gute Entwicklung.

MDR-Polizeiruf „Black Box“ (ARD): Druck auf die Ermittlerin

Adams Eltern: Wenn eine Mutter im Krimi sagt „Unser Sohn hatte die beste Kindheit, die man einem Kind nur angedeihen lassen kann“, weiß man schon, dass einiges im Argen liegt. Wenn Corinna Kirchhoff es sagt, gefrieren die Worte und zerbrechen als Kristalle auf dem Steinboden um sie her. Auch Adams Mutter ist Psychologin, zudem Autorin des Buches „Master of Memory“. Da wirkt das alles noch relativ überschaubar. Den operativen Teil – Druck auf die Ermittlerin, noch mehr Druck auf die Ermittlerin – übernimmt der Ex-LKA-Vater, Sven-Eric Bechtolf. „Wer reich ist, hat recht“, sagt Brasch, auch das eine Spur unter ihrem Niveau.

„Polizeiruf 110: Black Box“

Sonntag, 3. Juli 2022, 20.15 Uhr, ARD

Das Ende nach der Riesenenthüllung – aus dem Baukasten für krasse Krimiverwicklungen – ist dann ein wenig lieb. Aber man ist dennoch erleichtert. Geglückt ferner die Einlage zum Intervallfasten in Querfurt mit David Ruland. Dass man das so gerne sieht, zeigt, wie „Black Box“ insgesamt gut funktioniert. Könnte sogar sein, dass man sich ausgerechnet diese Szenen gut merken wird. (Judith von Sternburg)

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